Schon am Freitag treffen Klimaschützer auf 30 Radrouten in Bern ein. Und am Samstag sind es 31 Extrazüge aus Genf, St. Gallen, Luzern, Basel und Zürich, die im Hauptbahnhof Bern einfahren. Zwischen 50'000 und 100'000 Personen dürfte die nationale Klimademo mobilisieren, glauben Insider. Die Klima-Allianz mit 80 Organisationen ruft zur Demo auf.
Just am Tag vor der nationalen Demonstration präsentiert «Work» einen spektakulären Plan: Wie die Schweiz bis 2030 CO2-neutral werden kann. «Wir wollen zeigen, dass eine Netto-Null-Schweiz in Sachen CO2 machbar ist, wie sie die Klimastreikenden verlangen. Praktisch, technisch, politisch - und sozial», sagt Marie-Josée Kuhn, die Chefredaktorin der Zeitung der Gewerkschaft Unia.
Bisher habe noch niemand in der Schweiz konkret aufgezeigt, wie ein solcher öko-sozialer Umbau gelingen könnte, sagt Kuhn. «‹Work› tut es. Und ich bin stolz darauf.» Der Plan stamme von einer Gruppe von Energie-und-Technologie-Experten, die seit 15 Jahren die «Technik-Umwelt-Politik»-Rubrik «Rosa Zukunft» von «Work» bespiele.
Hinter dem Pseudonym «Rosa Zukunft» dürfte sich unter anderem der Hotelier Peter Bodenmann verstecken. Das zeigen Recherchen. «P.S.», die linke Zürcher Zeitung, schrieb schon 2016, Bodenmann propagiere via «Work» regelmässig die «Rosa Zukunft». Er war SP-Präsident zwischen 1990 und 1997.
Peter Bodenmann selbst will dies auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Seine Handschrift hinter dem Konzept scheint aber unverkennbar. Kern ist eine hohe Lenkungsabgabe mit voller Rückerstattung, wie er sie schon als SP-Präsident propagierte. Dafür hatte die SP 1991 die Studie «Umweltabgaben für die Schweiz» von Ruedi Meier und Felix Walter erstellen lassen. Die Abgabe soll sozialverträglich sein und verträglich für die Randregionen. Dazu kommen Gebote und Verbote, die nach 2030 überflüssig würden.
Die SNB verfügt über Devisenreserven von deutlich über 800 Milliarden Franken. Die SNB halte knapp 300000 Aktien der «First Cannabis Company» von Nordamerika, heisst es im Konzept. Statt Cannabis-Aktien zu kaufen, solle Nationalbank-Chef Thomas Jordan besser den schnellen ökologischen Umbau der Schweiz finanzieren. Mit 100 Milliarden zinsfreien, aber rückzahlbaren Darlehen.
Die Nationalbank soll die Gelder in verschiedenste Projekte investieren. Im Inland zum Beispiel könnte sie den ökologischen Wohnbau fördern, in Nordafrika die Produktion von Windenergie und von synthetischem Heizöl. Damit würde die Versorgungs-Sicherheit verbessert. In Äthiopien könnte die Nationalbank einen besonderen Schritt tun, wenn sie 800 Millionen Bäume finanziert, heisst es im Konzept. In diesem Land verschwanden in den letzten 100 Jahren 90 Prozent der Bäume.
Ein Baum nimmt pro Jahr 100 Kilo CO2 auf. 100 Bäume reichen aus, um die 5 Tonnen CO2 zu kompensieren, die ein Schweizer pro Jahr produziert. Die 800 Millionen Bäume würden für einen Baum pro Einwohnerin und Einwohner der Schweiz stehen:
Der Umbau-Plan ist nicht nur auf die Schweiz ausgerichtet. Wind- und Solarstrom sollen auch im Ausland produziert werden. Dafür brauche es einen «nicht-imperialen Marshallplan mit und für Afrika», heisst es im Konzept. Ganz in der Logik des deutschen Entwicklungsministers Gerd Müller. Dieser schrieb in der deutschen «WirtschaftsWoche» von einer «Ökologisierung der Entwicklungszusammenarbeit» (siehe Box).
Das «Work»-Konzept enthält ein ganzes Bündel an Massnahmen, die den öko-sozialen Umbau der Schweiz ermöglichen sollen. Unter anderem auch ein Verbot von Kurzstreckenflügen unter 600 Kilometern.
Statt 10 Millionen Parkplätze seien in der Schweiz längerfristig nur noch zwei Millionen nötig. Und statt 3.6 Millionen Fahrzeuge weniger als eine Million, steht im Konzept. Viele Jugendliche machten gar keinen Führerschein mehr, weil sie den öffentlichen Verkehr nutzten. Die verbleibenden Autos würden elektrisiert. «Volkswagen» als grösster Autokonzern der Welt setze auf das Elektroauto. Es werde bereits in wenigen Jahren billiger sein als ein Benzin- oder Dieselfahrzeug.
In der Schweiz gibt es 1.4 Millionen Wohngebäude. Mehr als eine Million müssten früher oder später total saniert werden. Der Energieverbrauch lasse sich aber auch für nicht sanierte Gebäude nahezu halbieren. Dazu brauche es Kellerdecken, Isolierungen des Dachbodens, neue Fenster und neue Pumpen und Steuerungen. Statt 160 Kilowattstunden Öl pro Quadratmeter und Jahr verbrauche ein derart teilsaniertes Haus nur 20 Kilowattstunden Solar- oder Windstrom.
Der Flugverkehr trage viel zur menschengemachten Klimaerwärmung bei. In der Schweiz der Vielflieger entspreche das 20 Prozent. Doch Flugzeuge könnten auch mit klimaneutralem Kerosin fliegen. Die Kosten pro Liter synthetischem Kerosin werde bis 2030 auf einen Franken sinken. Das verteuere das Fliegen massvoll und sozialverträglich: einen Flug nach Mallorca um 20 Franken, einen nach New York um 150 Franken. Im Konzept wird aber auch ein Verbot von Kurzstreckenflügen unter 600 Kilometer propagiert. Damit wären zum Beispiel Flüge nach Paris verboten. Sie würden dank schnellerer Bahnen überflüssig.
Als zentralen Treiber des ökologischen Umbaus sieht das Konzept eine Lenkungsabgabe vor, die auf fossile Energieträger erhoben wird. Der Preis pro Tonne ausgestossenes CO2 soll von 130 Franken im Jahr 2022 auf 210 Franken im Jahr 2030 ansteigen. Ziel ist es, die Einnahmen, die mit der Lenkungsabgabe verbunden sind, der Bevölkerung vollumfänglich zurückzuerstatten.
Sogenannte bifaziale Solaranlagen erzielen einen massiv höheren Wirkungsgrad als monofaziale. Sie können das einfallende Sonnenlicht nicht nur über die Vorder-, sondern auch über die Rückseite nutzen. Die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien der ZHAW Wädenswil testet sie zurzeit oberhalb von Davos auf 2000 Metern. Sie sollen da fast doppelt so viel Strom produzieren wie Anlagen auf dem Dach etwa in Olten. Und produzieren im Winter wegen der höheren Einstrahlung und des Schnees gleich viel Strom wie im Sommer. «Bergkantone wie Wallis, Uri, Tessin oder Graubünden müssten sofort mit grossen Testanlagen starten», steht im Konzept.
Die Schweiz brauche neu kleinzellige, abschottbare, regionale Stromnetze, die über Notstromaggregate oder Brennstoffzellen als zuschaltbare Stromgeneratoren verfügten, heisst es im Konzept. «Diese befreien uns von den drei Plagen: Blackouts, Dunkelflauten und Verbrauchsspitzen.» Diese dezentralen Notstromanlagen müssten eine unterbrechungsfreie Kapazität von mindestens 10000 Megawatt Leistung aufweisen. Zudem könnte die Schweiz künftig 110 Milliarden Kilowattstunden Energie in Öl-Pflichtlagern der Händler und in privaten Heizöltanks lagern. Sie könnten auch mit synthetischem, klimaneutralem Heizöl gefüllt werden.
Dass die Unia in ihrer Zeitung «Work» ein öko-soziales Umbau-Konzept für die Schweiz propagiert, hat mit den Interessen der Gewerkschaft zu tun. «Die Klimakrise ist ein zentrales Thema auch der Unia», sagt Chefredaktorin Kuhn. Es gehe um technologischen Wandel, um Arbeitsplätze, um Industriepolitik und Lebensqualität. «Niemand hat mehr Interesse an der Erreichung der Pariser Klimaziele als die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen und Renten», sagt sie. «Diese leiden am meisten, wenn es immer wärmer wird.»
Für Hotelier Peter Bodenmann ist klar: SP und Grünliberale seien in Sachen Umbau konzeptionell «noch etwas schwach auf der Brust». Am wenigsten hätten die Grünen zu bieten: «Sie profitieren vom Namen, von der Marke Grün.»
Bodenmann ist dennoch überzeugt, dass die linken und grünen Parteien zumindest einen «kleinen Wahlsieg» landen. Dann werde, angesichts der dramatischen Umweltveränderungen, in zwei Jahren «alles neu gedacht und konzipiert». Je klarer der Wahlsieg werde, desto rosiger sei die ökologische Zukunft, hält der Hotelier fest. Und nichts würde dafür mehr nützen als der Abbruch eines Teils des Mont Blanc Gletscher.
Zynismus, wie er typischer nicht sein könnte für Peter Bodenmann. (aargauerzeitung.ch)
Es darf jeder einmal versuchen, seinen Alltag so zu gestalten, dass der ökologische Fussabdruck unter 1.0 liegt. Auf motorisierte Fahrzeuge jeglicher Art kann man dann gleich mal komplett verzichten.