«Hoi Roscheee!», «tschau Roscheee!» - als Roger Schawinski in den CH Media-Büros in Zürich zum Interview auftaucht, ist er sofort gefragt. Die jungen Journalisten von Tele Züri möchten einen kurzen Schwatz mit dem Mann, der ihren Sender 1994 gegründet hat. Nun kehrt er an seine alte Wirkungsstätte zurück. Nachdem seine Sendungen bei SRF und Blue eingestellt worden sind, erhält er beim Zürcher Lokalsender eine eigene Talkshow. Ab September, pünktlich vor den Wahlen, wird er mit Gästen aus Politik, Wirtschaft, Sport und Unterhaltung sprechen.
Werden Sie lieber interviewt oder bevorzugen Sie es, das Interview selbst zu führen?
Roger Schawinski: Ich stelle lieber die Fragen selbst. Da hat man die Kontrolle. Zudem bin ich ein neugieriger Mensch und erfahre gern mehr über andere Personen.
Sie kehren nach vielen Jahren zu Tele Züri zurück. Ist es nach wie vor «Ihr» Sender?
Der Sender hat sich erstaunlicherweise kaum weiterentwickelt. Das Grundkonzept ist nach wie vor das gleiche: 30 Minuten News, 30 Minuten Talk. Ich hatte damals nur Geld für eine halbe Stunde Fernsehen. Deshalb stellte sich die Frage: Was machen wir in der zweiten halben Stunde? So entstand «Talk Täglich», das kostete praktisch nichts. Dann bist du mit allen Gästen nach drei Monaten durch, sagte man mir. Dann machen wir die und sehen dann weiter, antwortete ich. Nun gibt es die Show seit 29 Jahren.
Und wie oft schauen Sie heute noch Tele Züri?
Hie und da. Ich schaue generell gerne Talk Shows.
Welche Hosts gefallen Ihnen am besten?
Ich finde Markus Lanz, der drei Sendungen pro Woche beim ZDF hat, super. Sandra Maischberger, die ich gut aus meiner Deutschland-Zeit als Sat-1-Chef kenne, finde ich ebenfalls hervorragend. Und beim ORF gefällt mir Armin Wolf.
Jetzt haben Sie niemanden vom SRF erwähnt.
Es gibt beim SRF nun mal keine kritische Eins-zu-eins-Talkshow.
Von Ihrem Nachfolger Urs Gredig sind Sie also nicht begeistert?
Er hat einen völlig anderen Stil. Das ist der Entscheid der SRF-Direktorin Nathalie Wappler. Sie bevorzugt diese Art von Fernsehen. Sie möchte sich damit wohl der Kritik aus der Politik entziehen. Aber ich habe das Gefühl, damit erreicht sie das pure Gegenteil.
Werden Sie Nathalie Wappler zu einem Interview einladen?
Ich hatte sie in meiner SRF-Sendung «Schawinski». Dann lud ich sie in meine TV-Sendung bei Blue ein, da sagte sie ab - angeblich aus Termingründen. Ich hoffe, dass sie sich nun meinen Fragen stellen wird. Vor allem auch wegen der Initiative, welche die SRF-Gebühren von 335 auf 200 Franken senken will. Dieser Diskussion muss sich das SRF stellen.
Wie werden Sie stimmen?
Ich bin tendenziell dagegen, aber ich weiss es noch nicht. Für mich ist klar, dass das SRF-Management jetzt gezwungen ist, zu liefern. Es braucht eine sichtbare Vorwärtsstrategie und nicht bloss PR.
Was wäre Ihr Vorschlag?
Zum Beispiel eine Sendung wie die von Markus Lanz, dreimal pro Woche um 11 Uhr abends. Das würde nicht viel kosten, aber das Programm beleben. Zurzeit zeigt das SRF ein Schmalspur-Programm. Als ich bei Sat 1 war, begannen wir um 6 Uhr morgens mit dem Frühstücksfernsehen. Beim SRF gibt es eigentlich nur ein 5-Stunden-Fernsehen von 18 bis 23 Uhr. Im Hauptprogramm herrscht Lethargie. Stattdessen konzentriert man sich heute immer mehr auf Tiktok und Youtube ...
... es wäre doch fahrlässig, das nicht zu tun und die junge Kundschaft links liegen zu lassen!
Ich frage mich, ob das funktioniert. Und wie hilft das dem Service public? Die mit Zwangsgebühren finanzierte SRG sollte für vertiefende Information stehen, nicht für Häppchen, wenn sie deswegen das Hauptprogramm vernachlässigt. Und das tut sie meiner Meinung nach.
Inwiefern denn?
Es fehlt an Innovationen. Das einzig Innovative in Sachen Information war in den letzten Jahren, dass «Schawinski» durch Gredig ersetzt wurde. That's it. Das lineare Fernsehen ist nach wie vor sehr gefragt. Aber die SRG-Führung sagt ihren eigenen Leuten ständig, dass ihre Kernarbeit eigentlich gar nicht mehr wichtig sei, dafür das neue Zeug. Das ist fatal für die Motivation der Angestellten.
Ist denn die private Konkurrenz auch zu wenig innovativ?
Na ja, ich glaube nicht, dass sich der damalige Medienminister Moritz Leuenberger, der sich für die TV-Privatisierung einsetzte, vorstellte, dass dereinst der «Bachelor» die meistgeschaute Privat-TV-Sendung sein würde. Aber bei den regionalen TV-Sendern steht die Information zum Glück im Vordergrund. Das ist eine gute Entwicklung.
Dennoch: Nationale Privatsender wie 3+, der wie dieses Medium zu CH Media gehört, haben keine News-Sendung. Fehlt es SRF national an Konkurrenz?
Natürlich. Deshalb gründete ich ja Tele 24. Mit einem Budget von maximal 30 Millionen Franken hätte ich es als echte SRF-Konkurrenz etablieren können. Aber der damalige SRG-Generaldirektor Armin Walpen sorgte dafür, dass die vielen Millionen ausschliesslich an kleine Lokalstationen verteilt werden. Da wurde eine Chance verpasst. Dieser Zug ist leider abgefahren.
Heute hätte Tele 24 also keine Chance?
Nein. Heute gibt es so viele Sender, so viele Streaming-Angebote. Aber hätte man es vor 25 Jahren richtig unterstützt, dann wäre es gut gekommen. Die Informationsleistung vom SRF war nie so gut wie zu den Zeiten von Tele 24. Denn plötzlich mussten sie sich sputen. Sie kopierten uns sogar bei abwegigen Themen, die sie sonst nie gemacht hätten.
Zum Beispiel?
Wir machten eine Live-Übertragung der Beerdigung des Schweizer Kickboxers Andy Hug. Und plötzlich hatte auch SRF einen Übertragungswagen vor dem Grossmünster. Als Tele 24 verschwand, kehrten sie in den alten Schnarchmodus zurück.
Sie sprechen viel vom linearen Fernsehen. Sie machen nach wie vor Radio, schreiben Bücher. Alles Dinge, die - bös gesagt - zur alten Medienwelt gehören. Wird man Sie nie auf Tiktok sehen?
Sicher nicht! Aber es ist ja gar nicht alles linear. News-Sendungen schaue ich oft zeitversetzt. Das Gleiche gilt für Podcasts. Und ich schaue auf Youtube täglich US-News-Sendungen und Comedy-Shows wie jene von Stephen Colbert, wenn in Hollywood nicht gerade gestreikt wird. Das Medienangebot war noch nie so gross und einfach zu nutzen wie heute.
Ihren Jugendradio-Sender «Planet 105» haben Sie an «20 Minuten» von Tamedia verkauft. Weil Sie vielleicht doch nicht mehr die Sprache der Jungen sprechen?
Ich fand, es passe marketingmässig optimal zu «20 Minuten». Aber das funktionierte nicht, auch weil es nicht richtig betreut wurde. Nun heisst der Sender «Goat» und spielt Hits aus den 80er- und 90er-Jahren. Dabei war ich der Erste, der dieses Format vor 15 Jahren mit Radio 1 lancierte, dem Radio für Erwachsene. Inzwischen werde ich auch hier von immer mehr Sendern kopiert.
Wie kam Ihr Tele-Züri-Comeback eigentlich zustande? Bewarben Sie sich bei der CH Media-Verlegerfamilie Wanner?
Sagen wir es so: Es hat sich im Gespräch ergeben.
So bleibt es bei der Vermutung, es könnte ein Eitelkeitsschritt Ihrerseits sein, weil Sie über das Aus Ihrer Sendung beim SRF verbittert sind.
Eigentlich dachte ich ja, dass meine TV-Karriere nach dem Aus bei SRF zu Ende sei. Dann kam die Sendung bei Blue. Doch jetzt muss die Inhaberin Swisscom sparen. Ich dachte erneut: Das war's definitiv. Die Rückkehr zu Tele Züri ist für mich deshalb eine völlig überraschende Wiederauferstehung, und dies im zarten Alter von 78.
Wie emotional ist dieses Comeback?
Das ist schon sehr speziell. Der Täter findet zum Tatort zurück (lacht). Das freut mich besonders.
Und wie hoch ist Ihre Gage?
Etwas tiefer als bei der SRG. Völlig okay. Es geht nicht um Geld.
Sie möchten vor den Wahlen im Herbst auch politische Gespräche führen. Was schwebt Ihnen vor?
Ich möchte mich mit den spannendsten Partei-Exponenten unterhalten und ihnen kritische Fragen stellen.
Sie sprechen von spannenden Partei-Exponenten. Sind es dann nicht einfach die Lautesten, von denen Sie sich hohe Einschaltquoten versprechen?
Die Liste steht noch nicht. SVP-Präsident Marco Chiesa muss nicht unbedingt dabei sein, dafür vielleicht Thomas Aeschi. Aber sicher nicht Andreas Glarner. Der ist bloss ein Krawallmacher. Er war übrigens der Einzige, der sich selbst in meine Sendung beim SRF eingeladen hatte.
Gibt es Personen, die Sie nicht mehr einladen würden? Andreas Thiel oder Salomé Balthus zum Beispiel, die in Ihrer Sendung für Schlagzeilen sorgten.
Ich möchte keine Gäste, die nur Gegenfragen stellen. Und ich möchte keine reinen Provokateure.
Was ist mit Marco Rima, der in den Nationalrat will, in der Coronakrise aber mit seiner fragwürdigen Meinung auffiel, die nicht Ihrer entsprach?
Wieso nicht? Ich mag ihn. Wir haben es gut miteinander, auch wenn er bei Corona auf dem falschen Dampfer unterwegs war. Das könnte ein spannendes Gespräch werden.
In eine seltsame Richtung tuckert auch «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel mit seiner Russland-Nähe. Sie gaben ihm über Jahre hinweg eine Plattform mit der Radiosendung «Roger gegen Roger». Fühlen Sie sich für die verstärkte Polit-Polarisierung mitverantwortlich?
Gar nicht. Übrigens erhielt ich zum kürzlichen Geburtstag ein überschwängliches E-Mail von Roger. Er schrieb, ich sei für ihn ein unerreichtes journalistisches Vorbild. Da fragte ich mich: Was habe ich nur falsch gemacht? Wenn ich wirklich sein Vorbild wäre, wäre er nicht bei Putin gelandet.
Zu Ihrem Freundeskreis gehört auch Ex-Credit-Suisse-Präsident Urs Rohner, der seit dem Bankendebakel untergetaucht ist. Wie oft sprechen Sie mit ihm?
Hie und da. Diese Woche habe ich mit ihm telefoniert, wir treffen uns demnächst wieder. Ich schätze ihn seit Jahren als Freund. Wenn ein Freund einen so brutalen Bruch im Leben erlebt, distanziere ich mich nicht automatisch von ihm. Aber ich habe natürlich viele Fragen zu seiner Leistung bei der CS. Ich will unbedingt das erste Interview mit ihm machen. Daran arbeite ich schon länger.
Weshalb hat er sich bisher geweigert?
Vor kurzem ging ich mit ihm im Wald spazieren, und ich spürte, dass er noch nicht so weit ist. Ich sagte ihm: Urs, in der Öffentlichkeit bist du ein Loser, schlimmer als damals Marcel Ospel, weil es die UBS noch gibt, nicht aber die CS. Aber du bist auch ein Phantom, das einfach abgetaucht ist. Das Image des Losers, das wirst du wohl nie mehr los. Aber das des Phantoms schon, wenn du mit der nötigen Demut über deine Rolle sprichst.
Könnten Sie bei diesem Gespräch mit einem engen Freund der neutrale, hartnäckige Journalist bleiben?
Absolut, und ich werde kritisch und fair sein. Aber natürlich wird es Leute geben, die mich kritisieren werden, unabhängig davon, was ich mache.
In der Zürcher Schickeria gibt es also echte Freundschaften.
Ich bin nicht Teil der Zürcher Schickeria! Ich bin weder im Rotary-Club noch in einer Zunft oder im Golf-Club Dolder. Ich bin immer unabhängig gewesen.
Aber golfen, das tun Sie schon?
Ja, aber nicht im Dolder. Der Club wollte mich nicht aufnehmen. Ihr Argument war, dass ich polarisiere. Das sagt wohl mehr über diesen Club aus als über mich.
Sie sind Ökonom und hatten immer wieder mit der CS zu tun in Ihrer beruflichen Laufbahn. Wie erklären Sie sich Ihr Ende?
Das kann ich nicht. Wir haben damals bei der «Tat» im Jahr 1977 den grossen Chiasso-Skandal aufgedeckt, und ich habe die Schlagzeile «SKAndal-Bank» kreiert. Später hat die CS Teile meiner Firma gekauft. Ihr Ende war wie für alle - auch für mich - ein unvorstellbarer Schock.
Im Jahr 1979 gründeten Sie als 34-Jähriger Radio 24 als Radiopirat und sendeten vom italienischen Pizzo Groppera aus. Damit scheuchten Sie die ganze Medienlandschaft auf. Wie denken Sie heute an diese Zeit zurück?
Es war die aufregendste Zeit meines Lebens. Manchmal denke ich mir: Ich war schon ein verrückter Typ, dass ich das alles wagte. Aber ich tat es, weil ich gar nicht wusste, worauf ich mich einlassen würde. Bei jedem neuen Projekt beginnt man mit viel zu wenig Informationen und kennt die Schwierigkeiten noch nicht. Das ist gut so, sonst würde man meist gar nie damit starten.
Steckt der Revoluzzer von damals noch in Ihnen?
Gerade eben habe ich ein Konzessionsgesuch für ein Privatradio im Kanton Graubünden eingereicht. Dort gibt es ein totales Medienmonopol von Somedia. Regionale Monopole sind die allerschlimmsten! Weil ich immer gegen Monopole gekämpft habe und sogar Bündner Wurzeln habe - mein Vater ist in Chur geboren und aufgewachsen -, will ich nun noch einmal ein solches brechen.
Welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Bei ähnlich guten Gesuchen muss laut Gesetz zwingend jenes gewinnen, das mehr Unabhängigkeit garantiert. Deshalb müssen wir den Zuschlag bekommen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Und ich habe das Gefühl, dass Bundesrat Albert Rösti nicht einfach Copy-and-Paste machen will.
Was wäre heute Ihre Pizzo-Groppera-Revolution, wenn Sie noch einmal 34 Jahre alt wären?
Die Zeiten sind ganz anders. Aber es gibt immer Möglichkeiten für junge Leute. Mein Sohn Kevin, der Astrophysiker, hat vor einigen Jahren eine Firma im Bereich der künstlichen Intelligenz gegründet und gesagt, das werde das nächste grosse Ding. Er hat recht bekommen! Das freut mich ungemein.
Wie gehen Sie mit dem Älterwerden um?
Ich bin begeistert! Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Alter noch so viel machen kann. Ich hatte früher die Vorstellung von Leuten in meinem Alter als tattrige Greise. Aber meine Generation ist anders. Wir haben die sexuelle Revolution lanciert, den Rock 'n' Roll, den Umweltschutz und vieles mehr. Wir werden auch das Alter anders bewältigen. Ich versuche, so lange wie möglich körperlich und geistig fit zu bleiben. Sendungen zu moderieren, ist eine Art Gehirnjogging. Ich muss Fakten und Namen in Sekundenschnelle abrufen können. Solange das funktioniert, mache ich weiter.
Und was tun Sie für Ihre körperliche Gesundheit?
Ich habe nach der Knieoperation wieder mit dem Joggen begonnen. Auf dem Hometrainer fahre ich gerade die Tour de France. Am Donnerstag bin ich die Bergetappe gefahren und mit Pogačar ins Ziel gekommen. Ich habe sogar ein Maglia-Rosa-Trikot von Tony Rominger, aber es wurde dann doch ein wenig eng.
Zum Älterwerden gehört auch das Abschiednehmen von langjährigen Freunden. Zuletzt starb Tina Turner, die Sie gut kannten. Wie verändert sich da der Blick auf das gelebte Leben?
Ich schaue vor allem nach vorne. Vor ein paar Jahren schrieb ich eine Autobiografie. Ich war selber überrascht, weil ich habe so viel mehr erreicht im Leben, als ich mir je hätte vorstellen können. Aber das ist Vergangenheit. Wenn ich im Studio bin, zählt nur diese eine Sendung. Die Tausenden Sendungen vorher sind dann egal.
Sie gelten als die wohl prägendste Medienfigur der letzten Jahrzehnte in der Deutschschweiz, müssen niemandem mehr etwas beweisen. Dennoch haftet Ihnen das Image des Eitlen an, der gerne im Scheinwerferlicht steht und seine Erfolge betonen muss. Wie erklären Sie sich das?
In der Öffentlichkeit zu stehen, ist nun mal mein Job. Ich wurde auch immer wieder als zu aggressiver Interviewer kritisiert. Aber das ist nur eine Rolle. Das ist nicht der ganze Mensch. Ich war letzte Woche an einer Veranstaltung in Heiden, wo ich interviewt wurde. Die Leute kamen nachher zu mir und sagten, sie hätten ein ganz anderes Bild von mir erhalten. Das höre ich immer wieder. (aargauerzeitung.ch)