Schweiz
Leben

Jugendpsychiatrie: Das war der SRF-DOK über Jugendliche unter Druck

Nicht der Norm entsprechen oder schlechte Noten schreiben: Gewisse Jugendliche geraten durch den Druck der Gesellschaft in eine Negativspirale.
Nicht der Norm entsprechen oder schlechte Noten schreiben: Gewisse Jugendliche geraten durch den Druck der Gesellschaft in eine Negativspirale.bild: shutterstock

«Jugendliche unter Druck» – Szenen aus dem gestrigen SRF-DOK, die du gesehen haben musst

Immer mehr Jugendliche suchen die Notfallstation der Jugendpsychiatrie auf. Warum? Ein SRF-«DOK» hat zwei Betroffene porträtiert.
12.04.2019, 05:1331.05.2019, 11:20
Mehr «Schweiz»

Der «DOK» von SRF hat sich am Donnerstagabend mit einem schwierigen Thema befasst: «Jugendliche unter Druck – In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie».

Hintergrund ist die Annahme, dass Jugendliche heute stärker als früher unter grossem Druck stehen. Zum einen durch den konstanten Vergleich mit Gleichaltrigen auf den sozialen Medien, zum anderen wegen dem wachsenden Leistungsdruck in der Schule.

Die Macher haben zwei Jugendliche begleitet, Emil (15) und Bene (18). Beide wollten nicht mehr weiterleben. Sie erzählen von ihrem Seelenschmerz, von der Therapie und von ihrer Genesung.

Emil, 15.
Emil, 15.bild: screenshot srf
Bene, 18.
Bene, 18. bild: screenshot Srf

Der ganze «DOK» ist am Ende des Beitrags zu finden. Wir haben hier die wichtigsten Szenen zusammengestellt.

Ritzen, bis man sich «fühlt»

Die Eltern von Emil, der zu Beginn des Films 14 ist, lassen ihn nicht gerne alleine. Denn Emil verletzte sich selber. Er ritzte sich die Unter- und Oberarme. Das Ritzen habe ihm geholfen, sich zu spüren. Vor sechs Monaten habe er aber damit aufgehört, erklärt der Junge.

«Ich dachte: Fuck, meine Eltern haben mich nicht zur Welt gebracht, damit ich mich selbst aufschneide.»

Ein Grund für das Unbehagen von Emil: Er wurde in der Schule lange gemobbt und geschlagen. «Das, was die Leute in der Schule vereint hat, war, den Emil fertigzumachen.»

Emil trägt seine Haare grün und kleidet sich farbenfroh. Oft malt er sich Sterne auf die Schläfe, weil ihn das Weltall fasziniert. Er fällt auf. Das habe ihm das Mobbing eingebrockt, sagt er. «Weil ich nicht der Norm entspreche.»

«Das, was die Leute in der Schule vereint hat, war, den Emil fertigzumachen.»

Selbstzweifel plagten ihn. Im Zeitalter der Selbstoptimierung hatte der Teenager lange auch das Gefühl, nicht zu genügen, zu dumm zu sein. Die Angst vor dem Mobbing liess ihn erbrechen, er schwänzte den Unterricht immer öfters. Seine beste Freundin beschreibt, wie schwierig es sein kann, in der heutigen Gesellschaft anders zu sein: «Es müssen alle gleich aussehen.»

Dazu hat auch ein Mädchen, das ihr Gesicht im Film nicht zeigen will, etwas zu erzählen. Sie ritzt sich an den Beinen. Angefangen habe ihr Unwohlsein, als die Jungs in der fünften Klasse der Primarschule eine Schönheitsliste der Mädchen aufgestellt hätten. Die Buben klassierten sie auf den letzten Platz.

Ein Schicksalsschlag kommt selten alleine

Bene hat mit seinen 18 Jahren bereits mehr durchgemacht, als so mancher Mittvierziger: Die Trennung seiner Eltern, den Umzug von Australien in die Schweiz, eine Kindheit ohne Mutter und – vor einem Jahr – den Tod seines Vaters. Er lebt nun alleine in der 5.5-Wohnung der Familie. Die älteren Geschwister waren bereits vor dem Herzinfarkt des Vaters ausgezogen. Bene macht Einzahlungen, in dem Apartment türmt sich frisch gewaschene Wäsche. Wenn er mal bei etwas Hilfe braucht, springen sein Bruder oder seine Schwester ein.

«Jeden Morgen, als ich am Bahnhof auf meinen Zug wartete und meine Zigarette rauchte, überlegte ich, ob ich vor den Zug springen sollte.»

Zusätzlich zu diesen Problemen kam die Pubertät: «Ich fühlte mich äusserlich nicht schön, innerlich nicht schön.» In seiner Verzweiflung entwickelte er eine Essstörung. Sein Leidensdruck wurde so stark, dass er sterben wollte: «Jeden Morgen, als ich am Bahnhof wartete und meine Zigarette rauchte, überlegte ich, ob ich vor den Zug springen sollte. Abgehalten hat mich die Angst vor dem, was passieren würde, wenn es nicht klappt.»

Lass dir helfen!
Du glaubst, du kannst eine persönliche Krise nicht selbst bewältigen? Das musst du auch nicht. Lass dir helfen. In der Schweiz gibt es zahlreiche Stellen, die rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen da sind – vertraulich und kostenlos.

Die Dargebotene Hand: Tel.: 143, www.143.ch
Beratung + Hilfe 147 für Jugendliche: Tel.: 147, www.147.ch
Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch

Die Kantonale Kinder- und Jugendförderung okaj zürich lancierte in Zusammenarbeit mit Prävention und Gesundheitsförderung Kanton Zürich und Gesundheitsförderung Schweiz ein Präventionsangebot zur Förderung der psychischen Gesundheit bei Jugendlichen. Mehr dazu: www.undduso.ch

Benes Therapie nebst den Konsultationen beim Psychologen: Musik. Er ist Autodidakt, das Klavierspielen hat er sich selbst beigebracht. Er möchte seine Leidenschaft zum Beruf machen und beginnt bald ein Studium an einer Musical-Schule in Hamburg. Diese Zukunftsaussicht gibt ihm Kraft.

Die Feuerlöscher

Jahr für Jahr suchen immer mehr Jugendliche die Notfallstation der Jugendpsychiatrie auf. Die Zahl der Konsultationen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verzehnfacht.

Laut Dagmar Pauli, stellvertretende Klinikdirektorin des Jugendpsychiatrischen Notfalldienstes des Kantons Zürich, hat das zwei Gründe. Zum einen seien psychische Probleme weniger tabuisiert. «Heute stigmatisiert die Gesellschaft psychische Krisen weniger als früher, deshalb suchen sich mehr Betroffene Hilfe», sagt die Expertin im Film.

Zum anderen sei es ein Ausdruck einer regelrechten «Jugendkrise». Jugendliche stünden heute vermehrt unter Druck, einem gewissen Ideal zu entsprechen, das sie insbesondere auf den sozialen Netzwerken sehen. Auch der erhöhte Leistungsdruck in der Schule sei schuld. Fachleute schätzen, dass ein bis zwei Jugendliche von zehn wegen diesem Druck an psychischen oder physischen Störungen leiden.

Im «DOK» wird klar: Für die Ärzte ist das Abwägen zwischen dem Einweisen in die Klinik oder einer ambulante Therapie das Schwierigste. Gregor Berger, Leiter des Zentralen Notfalldienstes: «Auch ein Klinikaufenthalt kann ein traumatisches Erlebnis sein.» Er sagt über seinen Job weiter: «Wir löschen Feuer, helfen in akuten Notsituationen. Der Therapeut ist der Architekt. Er hilft, etwas Solides aufzubauen.»

Wie schwierig seine Arbeit sein kann, zeigt eine Szene im Film. Ein etwa achtjähriger Bub, neben ihm sitzt seine Mutter, erzählt dem Facharzt, er wolle nicht mehr leben. Berger fragt, ob er eine konkrete Vorstellung von seinem Suizid habe. Der Junge zählt verschiedene Optionen auf, unter anderem «In einen Vulkan stürzen (...) oder mich erstechen mich mit einem Messer».

Dagmar Pauli ordnet ein: «Die meisten Jugendliche, die von Suizid sprechen, wollen eigentlich nicht sterben. Sie wollen einfach so nicht mehr weiterleben.» (kün)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Klimademo der Jungen (und auch der Alten)
1 / 19
Klimademo der Jungen (und auch der Alten)
In 13 Schweizer Städten haben am Samstag neben Tausenden Schülerinnen und Schülern auch ihre Eltern, Grosseltern und andere Sympathisanten für einen besseren Klimaschutz und die Ausrufung des Klima-Notstands demonstriert.

quelle: epa/keystone / laurent gillieron
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Kennst du die 10 Jugendwörter des Jahres?
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
93 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Denverclan
12.04.2019 06:24registriert September 2016
Es ist unendlich traurig einen solchen Beitrag zu lesen. Wo haben wir es hingebracht, wir definieren uns nur noch über Leistung, Schönheit, Oberflächlichkeiten und Norm.....Das Wesen, die Einzigartigkeit und die Sensibilität wird nicht gespürt! Der Schwache ist überwiegend nur noch auf sich selbst gestellt und erstickt daran. Leute wacht endlich auf, Empathie, Sozialkompetenz und das Einstehen für den Schwächeren sind wichtig. Die Politik lebt uns leider etwas anderes vor und trägt die Verantwortung für viele Fehlentwicklungen. Auch die ältere Generation muss dem Nachwuchs Sorge tragen.
30
Melden
Zum Kommentar
avatar
Fairness
12.04.2019 06:38registriert Dezember 2018
Ganz unschuldig ist auch da die Wirtschaft nicht. Fordern, fordern, fordern und dann wegwefen. Ein gutes Beispiel gefällig? Wir haben eine befreundete Familie, denen eine Familienholding gehört mit unterschiedlichen Unternehmen. Der Grossvater war stolz auch Behinderte anzustellen. Der Vater hat sie toleriert und mit natürlichem Abgang reduziert, aber Nur noch vereinzelt neue angestellt. Heute mit dem Sohn an der Spitze gibt es keinen einzigen Behinderten mehr dort. Die Menschlichkeit wird von der Wirtschaft mit Füssen getreten.
30
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ironiker
12.04.2019 06:50registriert Juli 2018
Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Nur jene die es besonders hart getroffen hat. Daneben hat es noch unzählige, welche dem Druck standhalten, aber nicht wirklich glücklich sind dabei.

Ich und meine Frau versuchen da wirklich unsere Kinder entsprechend zu erziehen. Leben und leben lassen. Aber gerade in der Pubertät wird's schwierig. Oft gibt es nur Schwarz oder Weiss. Man glaubt alles besser zu wissen. Dazu der Druck dazu zu gehören. Plus der Leistungsdruck allgemein.

Wir wenden viel Zeit mit Gesprächen auf, werben um Verständnis. Wir sehen uns als Eltern hier in der Verantwortung!
40
Melden
Zum Kommentar
93
Er hinterlässt Schulden und unfertige Baustellen – das ist der Verwalter der Sugus-Häuser
Sugus-Haus-Erbin Regina Bachmann hat 105 Mietparteien die Wohnung kündigen lassen. Von Unternehmer Goran Zeindler. Das soll kein Zufall sein. Zeindlers Ex-Geschäftspartner packt aus.

«Wir sprechen von Goran», sagt Luka Babic* zum Arbeiter, der sich gerade zu ihm an den Tisch gesetzt hat. Hier, in den Tiefen des Kantons Glarus, in einer Raucherbar. «Pha!», ruft der Arbeiter aus und schüttelt den Kopf. «Der Zeindler? Ein Elender ist das!», sagt der Arbeiter. Keucht. Dann zündet er sich eine Zigarette an und verstummt. Ihm fehlen offenbar die Worte.

Zur Story