Vor der Abstimmung am Sonntag hatte sich Regierungsrätin Susanne Hochuli, die für das Flüchtlingswesen im Aargau zuständig ist, zurückhaltend zum Asylstreit von Oberwil-Lieli geäussert. Nach dem Nein zur Aufnahme von zehn Personen schrieb sie auf Twitter: «Es zeigt sich: Mit Unwahrheiten lassen sich Abstimmungen gewinnen.» Die az hat bei der Regierungsrätin nachgefragt.
Es zeigt sich: Mit Unwahrheiten lassen sich Abstimmungen gewinnen.# Oberwil-Lieli.#fb
— Susanne Hochuli (@susannehochuli) 1. Mai 2016
Aargauer Zeitung: Frau Hochuli, was haben Sie mit Ihrem Tweet genau gemeint?
Susanne Hochuli: Es wurde im Vorfeld der Abstimmung behauptet, dass die Gemeinde Oberwil-Lieli nach fünf respektive sieben Jahren die Sozialhilfe für die in der Gemeinde untergebrachten Asylbewerber übernehmen muss. Das stimmt nicht: Erstens weist der Kanton den Gemeinden keine Asylbewerber zu, sondern vorläufig aufgenommene Personen. Zweitens übernimmt der Kanton für diese während sieben Jahren die Kosten für Unterkunft, Lebensunterhalt und Betreuung. Danach entfällt lediglich die Pauschale für die Betreuung, die Pauschalen für Unterbringung und Lebensunterhalt werden weiter vom Kanton bezahlt.
Befürchten Sie, dass der Volksentscheid in Oberwil-Lieli nun Signalwirkung hat und sich andere Gemeinden weigern könnten, ihre Aufnahmepflicht zu erfüllen?
Nein, dafür gibt es keine Hinweise – im Gegenteil. Die Gemeinden sind intensiv daran, Vorkehrungen für die Erfüllung der Aufnahmepflicht zu treffen. Oberwil-Lieli ist nach heutigem Stand der Dinge ein Einzelfall.
Nun fehlen dem Kanton zehn Plätze für vorläufig Aufgenommene in Oberwil-Lieli – wo werden diese Menschen nun untergebracht? Muss eine andere Gemeinde zusätzliche Plätze bereitstellen?
Letztlich ist die Erfüllung der Aufnahmepflicht stets eine Frage der Solidarität. Jene Personen, die von Gemeinden entgegen dem Willen des Gesetzgebers nicht aufgenommen werden, müssen anderweitig untergebracht werden. Das wäre auch im Fall der Personen so, die Oberwil-Lieli aufnehmen muss.
Sie kritisieren Oberwil-Lieli alsunsolidarisch, aber das neue Gesetz sieht die Möglichkeit einer Ersatzzahlung ja vor? Müsste man dies im Gesetz ändern, damit solche Fälle nicht mehr vorkommen?
Eine Ersatzvornahme – also der Ersatz real entstehender Kosten – ist für den Fall vorgesehen, dass eine Gemeinde trotz Zuweisungsverfügung ihre Aufnahmepflicht nicht erfüllt. Diese Möglichkeit muss es geben, weil Situationen vorstellbar sind, in denen Gemeinden ihre Pflicht nicht erfüllen und Ersatz zu leisten haben, weil die Personen faktisch unterzubringen sind. Es wäre aber falsch, das Gesetz, das der Grosse Rat erst letztes Jahr revidiert hat, wegen des Einzelfalls Oberwil-Lieli anzupassen. Das wäre völlig unverhältnismässig.
Andreas Glarner sagt, Ersatzabgaben seien in der Schweiz völlig normal, zum Beispiel beim Feuerwehr- oder Militärpflichtersatz – können Sie diesen Vergleich nachvollziehen, oder wo ist der Unterschied?
Es ist ein zentraler Unterschied, ob ein Bürger, eine Bürgerin als Individuum für die Leistung einer Ersatzabgabe ins Recht gefasst wird – oder ob wir wie hier von Verpflichtungen unter und zwischen Staatsebenen sprechen. In diesem Sinn ist der Vergleich nicht haltbar.
Grüne verspotten Glarner
Derweil veröffentlichte Hochulis Partei auf Facebook einen Flyer mit dem spöttischen Spruch «Mitleid mit Oberwil-Lieli: Lieber zehn Eritreer als ein Glarner». Grünen-Präsident Daniel Hölzle sagt auf Nachfrage, dies sei eine spontane Reaktion auf das Abstimmungsergebnis. Die Grünen wollten «den 48 Prozent von Oberwil-Lieli, die ihre Verantwortung übernehmen, «unser Mitleid kundtun, dass sie ihren Ruf wegen des Gemeindeammanns immer wieder verteidigen müssen».
#Glarner #oberwillieli pic.twitter.com/ukpPo54aqq
— Daniel Hölzle (@Hoeuzli) 2. Mai 2016
Hölzle sagt weiter: «Ich respektiere den demokratischen Entscheid der Bevölkerung, aber wir haben zum Beispiel bei uns in Zofingen 120 Asylbewerber – und diese regen mich viel weniger auf als Andreas Glarner.» Dieser entgegnet, in der Schweiz gelte Meinungsfreiheit, gegen Hölzles Aussage sei nichts einzuwenden.
«Ich kenne in diesem Zusammenhang auch einen passenden Spruch», sagt der SVP-Politiker: «Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus.» Glarner geht davon aus, dass die IG Solidarität, die sich für die Aufnahme der Flüchtlinge einsetzte, den Volksentscheid nun akzeptiert.
IG-Sprecher Martin Uebelhart sagt, es werde bei der Gemeindeversammlung am 10. Juni, die nochmals über die Ersatzzahlung entscheiden muss, keinen Antrag von ihrer Seite mehr geben. Doch reichen die 290 000 Franken, die budgetiert wurden, überhaupt aus? Schliesslich muss Oberwil-Lieli nun zehn und nicht wie ursprünglich angenommen acht Menschen aufnehmen. Glarner erklärt: «Ja, der Betrag reicht, weil der Kanton noch keine Zuweisung gemacht hat und die Abgabe deshalb nur für sieben oder acht Monate fällig wird.»
(aargauerzeitung.ch)