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Die Geschichte ging um die Welt: Vier ägyptische Teenager der christlichen Minderheit mussten sich wegen eines Handyvideos vor Gericht verantworten. Die Anklage: Beleidigung des Islams. Seit letzter Woche befinden sich Albir Shehata (17), Klenton Fargalla (18), Moller Yasa (17) und Bassem Younan (17) in Sicherheit. In Thun im Berner Oberland. Aber alles der Reihe nach.
Mit diesem harmlosen Video fing alles an:
Es entstand am 14. Februar 2015 und zeigt die vier Jugendlichen beim Herumalbern während eines Schulausflugs. Albir scheint ein islamisches Gebet zu verrichten, Bassem tut so, als würde er ihm die Kehle durchschneiden. Klenton, Moller und ein Fünfter lachen. Ihr Lehrer filmt die Szene mit seinem Telefon. So weit, so harmlos.
Wie das Video an die Öffentlichkeit gelangte, ist nicht restlos geklärt. Zu Beginn hiess es, der Lehrer habe es auf Facebook gepostet. Laut einer anderen Version verlegte er sein Telefon. Später fand es jemand im Dorf, spielte das Video ab und erhielt den Eindruck, dass sich die jungen Christen über Muslime lustig machen.
Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Irgendeiner dichtete noch dazu, dass ein Koran geschändet worden sei, ein anderer, das Video sei nur ein kurzer Ausschnitt aus einem stündigen Film. Die vier waren ihres Lebens nicht mehr sicher und mussten sich zu Hause verstecken, während draussen ein muslimischer Mob wütete. Selbst aus Nachbardörfern kamen sie angereist und attackierten jeden Kopten, der ihnen begegnete.
Als die Proteste nachliessen, gingen sie zum Bürgermeister, der sie in Begleitung von Soldaten zur Polizei schickte. Er hatte sie im Glauben gelassen, dass sie eine Ermahnung erhalten und anschliessend nach Hause geschickt würden. Stattdessen wurden sie verhört, geschlagen und anschliessend eingesperrt. Im Gefängnis gingen die Misshandlungen weiter, diesmal von anderen Insassen, angestachelt von den Wärtern.
Zu Prozessbeginn kamen sie gegen eine Kaution von 10'000 ägyptischen Pfund (umgerechnet 1100 Franken) pro Person frei. Zu diesem Zweitpunkt hatten sie über 50 Tage in Haft verbracht. Aus Angst kehrten sie nicht in ihr Dorf zurück, sondern tauchten unter. Zwei in Sharm el Sheikh, einer in Hurghada und einer in Kairo. Unterstützung erfuhren sie kaum, auch nicht von Kopten, weil die sich zu sehr fürchteten.
Aus ihren Verstecken erfuhren sie, wie ihr Verteidiger vor Gericht argumentierte: Sie hätten sich nicht über den Islam, sondern über den «IS» lustig gemacht. Dieser hatte zwei Tage, bevor das Video entstand, Aufnahmen veröffentlicht, auf denen seine Kämpfer in Libyen 21 christliche Kopten enthaupten. Die vier streiten dies vehement ab.
Dann am 25. Februar dieses Jahres kam das niederschmetternde Urteil: Fünf Jahre Gefängnis wegen Verstoss gegen Artikel 98f des ägyptischen Strafgesetzbuches, das sogenannte Blasphemie-Gesetz. Mit dem Video hatten die vier Teenager den Islam beleidigt. Laut dem Anwalt hatte der zuständige Richter das Video nicht einmal angeschaut.
Für die Eltern war der Fall klar, dass ihre Kinder das Land verlassen müssen: In Ägypten müssen erstinstanzlich Verurteilte bereits während des Berufungsverfahrens hinter Gitter. Doch bis dieses abgeschlossen ist, können Jahre vergehen. Im April flohen die vier jungen Kopten in die Türkei, vermutlich mit Unterstützung christlicher Hilfsorganisationen.
In Istanbul waren sie zunächst in Sicherheit, erlebten allerdings auch dort Diskriminierung wegen ihres christlichen Glaubens. Während sie bei der UNO offiziell um Flüchtlingsstatus baten, beantragten Hilfsorganisationen parallel in mehreren Ländern Einreisevisa, damit sie dort einen ordentlichen Asylantrag stellen können.
«Einige Länder baten um Zeit, andere lehnten ab – die Schweiz hingegen sagte schnell zu», bestätigt Daniel Hoffman von Middle East Concern (MEC) auf Anfrage von watson. Das in London beheimatete Hilfswerk setzt sich für verfolgte Christen im Nahen Osten ein und kümmerte sich um die vier Teenager in Istanbul.
#Egypt: #Coptic teenagers sentenced to prison for defaming #Islam flee to #Switzerland - see https://t.co/gwjhSNGPTA pic.twitter.com/jX8tOgr5AB
— Middle East Concern (@MiddleEConcern) 5. September 2016
Das Botschaftsasyl wurde 2013 abgeschafft, doch die vier Jugendlichen nutzten die kleine Hintertür, die offen geblieben ist: In Ausnahmefällen können Verfolgte im Ausland bei einer Schweizer Vertretung um ein humanitäres Einreisevisum bitten, damit in die Schweiz reisen und dort ein offizielles Asylgesuch stellen. Aufgrund des unsäglichen Unrechts, das ihnen bereits angetan worden war und weiter drohte und wohl auch wegen ihres jugendlichen Alters bewilligte das Staatssekretariat für Migration (SEM) den Antrag der Schweizer Vertretung in Istanbul.
Auf Schweizer Seite war die Arbeitsgemeinschaft Religionsfreiheit von der Schweizerischen Evangelischen Allianz federführend. Sie vermittelte auch die beiden Gastfamilien, bei denen die vier Kopten nun wohnen. Gegenüber watson erklärt ihr Präsident, wie es dazu kam:
Und so endete am 1. September 2016 die Flucht von Albir, Klenton, Moller und Bassem mit der Landung in Zürich. Ihre Chancen, im ordentlichen Asylverfahren als Flüchtlinge anerkannt zu werden, stehen gut. «Ich bin sehr glücklich», sagte Albir Shehata vor dem Abflug nach Zürich einem Reporter der christlichen News-Website Morning Star News. «Ich habe die Chance auf ein besseres Leben als in Ägypten, wo meine Zukunft ruiniert ist. In der Schweiz bekomme ich eine zweite Chance.»