Das Papierticket in Bus, Tram und Zug ist ein Auslaufmodell. Die Branche des öffentlichen Verkehrs will den Billettverkauf so rasch wie möglich digitalisieren: Handy statt Münz und Papier, lautet die Devise. Doch auf der Reise vom klassischen Billett zum vollständig digitalisierten Fahrausweis zeichnet sich nun ein Zwischenhalt ab. In den Fokus rückt eine Lösung, die der Kanton Graubünden vorantreibt. Dort können seit vergangenem Dezember Passagiere ihr Bus- und Zugbillett per Karte kaufen. Die Lesegeräte, die am Perron oder direkt im Bus stehen, akzeptieren neben dem Swisspass mit Bezahlfunktion auch Debit- und Kreditkarten.
Nächstes Jahr soll die Lösung für den gesamten Kanton zur Verfügung stehen. Zudem ist eine sogenannte «Tap-in, tap-out»-Funktion geplant. «Das heisst, der Kunde hält seine Karte beim Ein- und Aussteigen an das Gerät. Im Hintergrund wird dann für den Kunden der günstigste Fahrpreis berechnet», sagt Thierry Müller, Leiter öffentlicher Verkehr im Kanton, auf Anfrage. Das Bündner System akzeptiert zwar noch Bargeld, aber nur noch eingeschränkt: Wer sein Billett bar bezahlen will, kann sich beim Buspersonal ein Prepaid-Kartonbillett im Wert von 10 oder 20 Franken mit QR-Code kaufen und dieses am Automaten einlösen.
Der Kanton Graubünden zeigt sich mit dem bisherigen Absatz «sehr zufrieden». Bereits 95 Prozent der Kundinnen und Kunden bezahlten bargeldlos. Am beliebtesten sei dabei die Bankkarte, sagt Thierry Müller.
Jetzt wird die Bündner Kartenlösung auch national diskutiert. Im Mandat für die Branchenorganisation Alliance Swisspass erarbeiten die SBB derzeit ein «Fachkonzept». Dabei geht es neben einheitlichen technischen Standards auch um die Frage, ob und wie weitere Verkehrsverbünde an das System andocken können. Der Bericht soll im April vorliegen. Weiter äussern wollen sich die SBB dazu nicht.
Auf den ersten Blick machen die ÖV-Strategen damit einen Schritt rückwärts, da sie eigentlich nicht mehr in neue Automaten investieren wollen. «Ab 2035 sollen Tickets im Normalfall nur noch digital gekauft werden», sagte René Schmied, Präsident des Strategierats der Alliance Swisspass, kürzlich im Interview mit CH Media. «Wir wollen von Investitionen in physische Ticketlösungen wegkommen.»
Auf diesem Weg gebe es aber Raum für lokale Alternativen wie in Graubünden, sagt Helmut Eichhorn, Geschäftsführer der Alliance Swiss Pass. «Aktuell müssen viele Unternehmen ihre Automaten erneuern. Sie stellen sich die Frage, welche Art des Ticketverkaufs jetzt Sinn ergibt.» Hier könne ein Kartensystem eine Übergangslösung sein, sagt Eichhorn.
Deshalb werde die Alliance Swisspass eine Auslegeordnung der bestehenden Kartenangebote in den Regionen vorlegen. «Wir möchten die Frage beantworten, ob eine gemeinsame, kartenbasierte Bezahllösung Sinn macht – und wie diese technisch umgesetzt werden könnte», so Eichhorn. Dies sei angesichts der langfristigen Strategie, Tickets nur noch digital zu verkaufen, eine Herausforderung. Aber: «Das müssen wir aushalten.»
Finanziell könnte sich die Übergangslösung rechnen. Die Bündner Automaten jedenfalls kosten deutlich weniger als herkömmliche Bargeldsysteme oder der Ticketverkauf beim Chauffeur. Der Kanton kalkulierte für sein Projekt mit einer Investition von 4.6 Millionen Franken. «Gegenüber klassischen Verkaufsautomaten sind wir durch den Verzicht auf Bargeldannahme und Ticketdruck auf Papier rund 70 Prozent günstiger in Anschaffung und Betrieb», sagt Thierry Müller. Geld spart der Verkehrsbetrieb auch, weil er im Fahrplan weniger Pufferzeiten einplanen muss. Bereits nach 1.8 Jahren will man die Kosten wieder reinholen.
Käme die Alliance Swisspass zum Schluss, dass ein Kartensystem überregional ausgerollt werden sollte, wäre die Schweiz in guter Gesellschaft: Auch London, Südtirol und Länder wie Skandinavien, Holland, Italien und Frankreich setzten auf die Technologie. Der Kanton Graubünden zeigt sich offen, seine Schnittstelle zu teilen. «Wir haben das System so angeschafft, dass sich auch andere Regionen oder Transportunternehmungen anschliessen können», so Müller.
Interessant könnte das Konzept besonders für Tourismusdestinationen sein. Feriengäste hätten oft kein Datenabo fürs Mobiltelefon, erklärt Müller. Und das wiederum verteuere den Kauf eines digitalen Bus- oder Zugtickets. «Erfahrungswerte zeigen, dass bei diesen Kunden die Roaminggebühren um ein Vielfaches höher sind als der Fahrpreis», sagt er. Und verweist auf eine weitere Problematik, die er aus eigener Erfahrung als Tourist kennt. Viele Feriengäste scheuten sich davor, vor jeder Fahrt eine neue App herunterladen und dort ihre Daten und Zahlungsmittel zu registrieren.
Der mögliche Kartenkompromiss im öffentlichen Verkehr zeigt, dass besonders eine Institution bald Geschichte sein dürfte: der klassische Billettautomat an der Haltestelle. Oder wie ihn René Schmied, Direktor von Bernmobil, bezeichnet: der «Tresorschrank mit Bargeldbezahlmöglichkeit». (aargauerzeitung.ch)
Ich will nicht, dass die SBB weiss, wann ich wie wohin fahre.