Was wäre die Schweiz ohne ihre Tennisstars! Ein Hauch von nichts, oder? Martina Hingis, die kaltherzige Männerverschlingerin, die fatalste Femme unseres Landes, Patty Schnyder mit ihrem undurchsichtigen Per-Orangensaft-zur-Weltspitze-Trainer, Roger Federer, der Mann mit dem Samen der zwei Herzen. Sex & Crime & Elternfreuden. Und schliesslich Stan the Man, der Bio-Bauern-Sohn und Rudolf-Steiner-Schüler, dem man beides so gar nicht ansieht, ausser, dass da so was Grundgutes in seinen Augen ist und in seinem Lächeln, so eine herzige Herzlichkeit, die tiefere Gründe haben muss als den Erfolg.
Doch erst wenn Wawrinka nicht lächelt, sieht man seine Wunden. Also bei der Schwerstarbeit. Oder beim nachdenklichen Posieren. Es gibt ja Küchenpsychologen und Homöopathen, die sagen, auf der Haut trägt man die Wunden der Seele nach aussen. Ich glaub, sie haben recht. Die unglücklichsten Teenies haben die schlimmsten Pickel.
Bis jetzt dachte ich, dass Stanislas Wawrinka ein mindestens mittelunglücklicher Teenager gewesen sein muss. Ich versuche ja immer, in Sportlern jene Abgründe zu entdecken, die aus den Maschinen wieder Menschen machen. Er hatte da auf jeden Fall ein paar Narbenkrater an den Wangen und zwischen den Brauen, die Haut neben den Nasenflügeln war grossporig. Dass dies von einer ungesunden Ernährung stammt, kann ich mir nicht vorstellen, wegen bio und Rudolf Steiner. Von so einem Demeter-Apfel kriegt man keine Pickel! Von einer umschatteten Psyche schon. Vielleicht war's aber auch ganz anders, und Stanislas Wawrinka durfte einfach kein Clearasil benutzen. Wegen bio und Rudolf Steiner.
Jetzt ist ihm das Photoshop-Wunder der Optikerkette Visilab angetan worden und plötzlich sieht er aus wie irgendein doofer Sonnyboy-Bachelor ohne jede Tiefenschärfe. Aber vielleicht geht es bei dieser Kampagne ja auch gar nicht um unseren Stan, sondern darum, wie man die Welt durch die Brillen von Visilab sieht.
Dass Stars in Film und Werbung bis zur Unkenntlichkeit verschönert werden, ist eine Kulturpraktik, die so alt ist wie Hollywood selbst, und wir machen das ja mit unseren Selbstporträts namens Selfie genauso. Aber Wawrinka steht nicht erst am Anfang jener Castingshow, die sich Karriere nennt, und wir alle haben ihn schon stundenlang am TV in Grossaufnahme vor sich hin rackern und leiden gesehen und kennen jede graduelle Verfärbung seines Gesichts und jede Schweisspore. Seine Haut ist die Projektionsfolie unseres nationalen Mitfieberns. Man muss sie nicht retouchieren.
P.S. Gerade ist mir noch ein weiteres Foto in die Hände gefallen. Es stammt von Montag dieser Woche. Ach, liebstes Wawrinkind, was hast Du bloss getan! Wo sind Deine vollgelebten Wangen hin?! Aber beten wir mal, dass es sich auch hier um eine optische Täuschung handelt.