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Kiffversuch und Clubbesuch! Endlich nimmt SRF seine Liebe zu den Leuten vom Land aufs Korn

Hecken, die von einem Zaun gesichert sind: Das Einfamilienhaus als Festungs-Idyll.
Hecken, die von einem Zaun gesichert sind: Das Einfamilienhaus als Festungs-Idyll.Bild: SRF
Webserie «Experiment Schneuwly»

Kiffversuch und Clubbesuch! Endlich nimmt SRF seine Liebe zu den Leuten vom Land aufs Korn

29.12.2014, 14:4630.12.2014, 09:37
Simone Meier
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Auf Margrit Schneuwlys Fingernägeln kleben kleine Schmetterlinge. Hansjörg Schneuwly hat immer fettige Haare. Kinder haben sie keine. Dafür Skepsis. Allem gegenüber. Margrit (Anne Hodler) und Hansjörg (Matto Kämpf) sind seit 22 Jahren verheiratet, im bernischen Grosshöchstetten, das ist dort, wo Dürrenmatt die Sekundarschule besuchte, sagt der Werbefilm der Gemeinde Grosshöchstetten. Und auch, dass Grosshöchstetten «modern und ländlich zugleich» sei und alle Beizen «traditionell und mehr als empfehlenswert». Grosshöchstetten ebnet alle potentiellen Widersprüche derart harmonisch ein, als wolle es sich um einen Platz bei «SRF bi de Lüt – Das ideale Dorf» bewerben.

SRF musste in den letzten Jahren genug Häme einstecken für die Tendenz, sich in eine Ballenberg-Filiale zu verwandeln, in der entweder Landfrauen kochen oder Nick Hartmann Hof hält. Und in der die Leute eben alle irgendwie so sind wie die Schneuwlys. So spröd wie ein Haselnuss-Stängeli. So fassadenbewusst wie ein Balkon voller Geranien. So eingesponnen im Kokon der konservativen Komfortzone Dorf. Und vor allem so randvoll mit übervorsichtigst geäusserten Vorurteilen. Natürlich sind das alles auch Klischees. Aber SRF hat sich alle Mühe gegeben, sie zu fördern.

Nahsicht auf Margrits Fingernägel.
Nahsicht auf Margrits Fingernägel.Bild: SRF

Jetzt hat die Kritik endlich gefruchtet, denn «Experiment Schneuwly», wie die aktuelle SRF-Webserie heisst, seziert exakt diese Szene der Selbstgerechten und ein bisschen Rechten. Erfunden hat das der Berner Regisseur und Werbefilmer Juri Steinhart, zusammen mit Anne Hodler, und über die Weihnachtstage hat sich die Doku-Soap zum heiss empfohlenen Unterhaltungs-Hit gemausert. «Experiment Schneuwly» ist mit 3 mal 14 Minuten quasi noch kleinere Kleinkunst als im Frühling die Webserie «Güsel» mit 9 mal ca. 9 Minuten, aber genauso grosses Amüsement.

Also, die beiden (gespielten) Schneuwlys begeben sich mit einem Herrn Schneeberger und seinem Filmteam dreimal in ganz verrückt experimentelle (und echte) Situationen. Sie starten dabei immer auf ihrem Grosshöchstettener Sofa, und dann gehts raus, in die Kindertagesstätte, den Wald, den Ausgang. Wo sie mit Kindern, Drogen und dem Fall der eigenen Hemmungen konfrontiert werden. Und einem Deutschen.

Die Schneuwlys nach ihrer Exkursion in den Kinderhort.
Die Schneuwlys nach ihrer Exkursion in den Kinderhort.Bild: srf

Herr Schneeberger stellt dabei Fragen, als wäre er Kurt Aeschbacher: «Was dänke ir, was erwartet euch det?» (in der Kita), «Ja Ching, grossmehrheitlich», sagt Hansjörg, der wiederum von einem Knirps wissen will: «Chönntsch du dir vorschtelle, schpäter mal a d'ETH z'gah?» Und so geht es weiter, im Wald bei einem Kiffversuch und in Bern bei einem Clubbesuch. Margrit versucht krampfhaft, die Frechheit ihrer Fingernägel auch anderswo ein bisschen zu spüren, und Hansjörg ist ein geistig derart komatöser Klos, dass er sich tatsächlich fragt, ob die Mutter eines sechs Monate alten Babys eigentlich nicht noch schwanger sei. 

Natürlich ist das alles so kleinkariert wie es klingt und liegt damit in einer gutschweizerischen Unterhaltungstradition. Die richtige Komik, die passiert im Konflikt der Schneuwlys mit den kleinen Kindern im Hort und den grossen Kindern im Ausgang. Da trifft der pseudotolerante Landstammtisch dann auf die ganz normale, medial verseuchte Jugend, die sich einzig und allein für die TV-Kamera des Herrn Schneebergers und das «Sicherheitsdispositiv» der Schneuwlys interessiert und daraus ihre Schlüsse zieht. «Was sid dir? Berüehmt?» will die Jugend wissen. Eine Frage, die all den brav zuhause kochenden SRF-Landfrauen wahrscheinlich noch kaum jemand gestellt hat.

«Experiment Schneuwly» läuft immer online oder heute Montag um 23.05 Uhr auf SRF1.

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