Was ist das denn? Ein Paar Menschenbeine, das an einem undefinierbaren, gedärmartigen Fleischklumpen klebt? Zum Teufel, ist das widerlich, denken Sie sich jetzt vielleicht.
Ein bisschen will das Andrea Hasler auch. Die Schweizer Künstlerin spielt mit den Gefühlen ihrer Betrachter, mit dem Wirrwarr, den ihre fleischigen Skulpturen auslösen, die sich irgendwo zwischen magischer Anziehung und kolossaler Abstossung bewegen.
Es sei zu vergleichen mit dem Gefühlsdurcheinander, das ein Unfallzeuge durchlebt: «Neugier, Faszination, Ekel und Abscheu vermischen sich, und der Betrachter verliert ein Stück Kontrolle bei all diesen sehr archaischen Gefühlen.»
Der Betrachter glotzt also nicht einfach (wenn er sich denn überhaupt traut) auf die Werke von Frau Hasler und denkt sich: «Ah. Kunst.» Oder: «Ah. Hässliche Kunst.» Das, was die Künstlerin wirklich interessiert, ist die emotionale Reaktion auf ihr Werk: «Oft müssen sich die Betrachter überwinden, die Skulpturen richtig anzuschauen, wollen sie aber paradoxerweise gleichzeitig berühren.»
Die Künstlerin will mit ihren Werken keine bestimmte Botschaft senden, sie will nur Grenzen öffnen, vor allem die zwischen innen und aussen. Deshalb arbeitet sie auch mit Haut, dem Trennmaterial schlechthin, das unser Inneres drin hält und uns gleichzeitig von der Aussenwelt abgrenzt. Natürlich handelt es sich dabei nicht um echte Haut, die Bildhauerin modelliert mit Wachs. Dem «ultimativ formbaren Material». Frau Haslers Material.
Zwei funkelnagelneue Skulpturen der Schweizerin stehen nun für zwei Jahre in 2300 Metern Höhe zwischen Ruinettes und La Chaux in den Walliser Alpen. Im «Verbier 3-D Foundation»-Skulpturenpark. Ihre beiden Arbeiten sind Teil der aktuellen Ausstellung «Mutations».
Haslers Werk erinnert ein bisschen an ein Rettungspaket, das man per Helikopter über Krisengebieten abwirft. Es heisst «Perishable Goods» (verderbliche Ware) und besteht aus Wachs und Harz. Das zusammengedrückte «Fleisch» quillt durch die goldene Kette, mit der das Bündel zusammengeschnürt ist. Es sei eine Art «komprimierte Luxustouristen-Lieferung», so wie die, «die jeden Winter in Verbier auf dem Berg landet».
Das Londoner «Multikulti-Chaos» gewohnt, kam die Bildhauerin in dieses beschauliche Walliser Dorf Verbier, das im Sommer nur 3000 Seelen zählt, im Winter aber anschwillt auf satte 44'000 Menschen. So kam sie auf die Idee mit dem Luxusfleisch-Paket.
Die Touristen, die hierher kommen, haben Geld, sehr viel Geld, das sie mit grosser Freude in dieser exklusiven Schweizer Bergwelt verprassen. «Sind es also diese Fremden, die die Schweizer in ihrem Land haben wollen?», fragt sich die Künstlerin. Und was ist mit den anderen Paketen, die nicht mit goldenen Ketten verschnürt bei uns ankommen? Diejenigen, die wir vielleicht gar nicht wollen, die mit den «entwurzelten Migranten» drin, die in der ganzen Welt herumgeschoben werden?
Frau Hasler hat nicht einfach ein Stück Fleisch auf dem Berg platziert. Der Ort hat sehr viel mit dem zu tun, was sie mit ihrer Kunst thematisiert: «Die Berge symbolisierten für die Schweiz historisch Grenzen, und gerade jetzt, wo sich die Schweiz auch politisch wieder mit ihren ‹Grenzen› befasst, wollte ich eine Arbeit kreieren, die dies miteinbezieht.»
So kann sich jeder Betrachter selbst fragen: Auf welcher Seite stehe ich? Drinnen oder draussen?
Ein 30 Meter langer roter Teppich hübsch über einen Hügel drapiert. Oben auf dem Gipfel zwei goldig glänzende Stangen für die gedärmartige VIP-Abschrankung. Welche Seite aber den «wichtigen Personen» zugedacht ist, bleibt offen. Ganz im Sinne der Künstlerin, die den Ein- oder Ausschluss stets als Frage zu formulieren versteht.
In «Avant/Après» (Vorher/Nachher) geht es um Sehnsucht. Um den Wunsch, sich zu verändern, zu mutieren und etwas anderes zu werden als das, was wir sind.
Der Mensch kann sich mit Luxusgütern eindecken, mit Designer-Accessoires behängen, sich die Nase gerade biegen und seine Falten verschwinden lassen. Dadurch wird er aber kein anderer. Die Veränderung bleibt letztlich immer unvollendet: «Unter der Haut, im tiefsten Inneren unserer Körper, sind wir alle aus demselben Material.»
Das gilt zumindest solange, bis das eintrifft, was die Künstlerin befürchtet: Nicht mehr die Rolex am Handgelenk, sondern die diamantenbesetzte Niere im Bauch wird der letzte Luxus-Schrei sein.
«Sobald die Aussenhülle vollumfänglich modelliert ist, scheint die Schönheitsoperation an einem inneren Organ die logische Konsequenz.»: Das Nonplusultra des Exklusiven, das nicht einmal mehr die Sichtbarkeit benötigt, um sich in seinem Status zu bestätigen.
Wir werden sehen, ob die Luxusjäger tatsächlich ohne die nach aussen kommunizierten Prestige-Abzeichen auskommen, oder ob dann vielleicht doch ein wertvoll gerahmtes Röntgenbild der schmucken Niere in ihrem Salon hängt. Nur so zur Sicherheit.