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SRF-Arena zur Agrarpolitik 2022: Dieses Glas Erde soll die Lösung sein

Bio-Weinbauer zeigt seine Zukunftsformel für die Biodiversität.
Zeigt seine Zukunftsformel: Bio-Weinbauer Roland Lenz. Bild: srf/arena
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Alle streiten über die Zukunft der Landwirtschaft – dieses Glas Erde soll die Lösung sein

In der SRF-«Arena» über die Zukunft der Landwirtschaft sind sich die Politiker und Experten uneinig, wie diese aussehen soll – sie fallen lieber mit Schuldzuweisungen auf. Ein Bio-Weinbauer findet seinerseits, die «Zukunftsformel» entdeckt zu haben – und er wirft den Parlamentariern vor, die Agrarpolitik 2022 «zerfleddert» zu haben.
11.03.2023, 03:1012.03.2023, 05:40
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Ein Ritter hat einen Sieg erkämpft. Oder genauer gesagt: Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands, selbst Bio-Bauer und Mitte-Nationalrat, konnte diese Woche eine grosse Schlacht gewinnen: Das Parlament einigte sich auf die Ausrichtung der Agrarpolitik (AP22+) – ohne zusätzliche Klimaziele.

«Sie sind der Sieger der Woche», attestierte ihm auch Moderator Sandro Brotz zu Beginn der Sendung. Doch wo es Gewinner gibt, sind auch Verlierer zu finden. Im Nationalrat kam es bei der Abstimmung zu 65 Enthaltungen von GLP, Grünen und SP.

Diese kritisieren, dass die Bauern-Lobby, rund um den Schweizer Bauernverband (SBV), die Umweltthemen in der Agrarreform «verwaschen» haben. Die neue Ausrichtung sei lediglich eine Gesetzesanpassung mit beschränkter Wirkung.

SRF-Erklärvideo zur Agrarpolitik 2022

Video: srf/arena

Nach den Abstimmungen im Parlament zur Agrarpolitik geht es nun um die Umsetzung und um nichts anderes als die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft. Darüber diskutierten in der SRF-«Arena» drei Männer und eine Frau:

  • Tiana Angelina Moser, Zürcher GLP-Nationalrätin und Umweltwissenschaftlerin.
  • Markus Ritter, St. Galler Mitte-Nationalrat, Präsident des Schweizer Bauernverbands und Bio-Bauer.
  • Mike Egger, SVP-Nationalrat St. Gallen, Leiter Geschäftsentwicklung Micarna.
  • Martin Ott, Demeter-Landwirt und Ex-Stiftungsratspräsident Forschungsinstitut für biologischen Landbau.

Der Kuhflüsterer und das Stickstoffproblem

Eine «Arena» über die künftige Agrarpolitik geht natürlich nicht ohne einen Kuhexperten. Als solcher wird Martin Ott bezeichnet. Der Demeter-Bauer versteht sich in der Kommunikation unter und mit Kühen – als «Kuhflüsterer».

Auskennen tut er sich auch in der Bio-Landwirtschaft: Ott ist als Ex-Stiftungsratspräsident des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) bekannt.

Gleich zu Beginn warnte er, dass die Schweizer Landwirtschaft ein Ökologieproblem habe. Vieles sei zwar besser geworden – einen Bio-Bauer an der Spitze des grössten Bauernverbandes habe man sich früher nie erträumen lassen. Markus Ritter lächelt zufrieden.

Martin Ott: «Die falschen Signale.»

Video: srf/arena

Doch dann holt Ott aus und sagt, es gebe ein einziges Problem: «Wir haben 100'000 Tonnen zu viel Stickstoff in der Schweiz. Das ist der grösste Food-Waste, den es gibt, denn in jedem Kilo Stickstoff sind zwei Liter Erdöl.»

Genau das habe man in der neuen Agrarpolitik verpasst – absichtlich. Ott weist die Schuld dem Parlament zu. Alles, was in der aktuellen Revision zur Stickstoffreduktion vorgeschlagen wurde, sei abgelehnt worden. «Das gibt die falschen Signale», wettert der Kuhflüsterer.

Anderer Meinung ist SVP-Nationalrat Mike Egger: «Den Stickstoffausstoss konnten wir um 15 Prozent reduzieren. Die Landwirte im Land schauen zur Umwelt».

Mosers Dreifach-Attacke auf Ritter

Von einem falschen Signal spricht auch die Zürcher GLP-Nationalrätin Tiana Moser, die sich mit Schuldzuweisungen in der «Arena» nicht zurückhält. Dreimal greift sie den Bauernpräsidenten an und macht ihn verantwortlich für die Situation.

GLP-Nationalrätin Tiana
GLP-Nationalrätin Tiana Moser.Bild: srf

Stillstand unter Ritters Federführung

«Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist die Versorgungssicherheit der Schweiz gefährdet», sagt sie adressiert an den Mitte-Nationalrat. Die Schweiz erlebe «eine Versäuerung der Böden, einen Artenschwund, Insekten- und Vogelsterben». Wenn man dies verhindern wolle, müsse man sich verändern. «Diese Veränderung hat das Parlament unter der Federführung von Herr Ritter nicht gemacht», reklamiert sie. Es herrsche Stillstand bei den Umweltthemen.

Der Bauernpräsident verteidigt sich: «Ich weise das entschieden zurück, dass wir die Umwelthemen nicht angehen.» Diese habe man sogar vorgezogen mit einer parlamentarischen Initiative, die in der Umsetzung sei.

«Pflanzenschutz aber auch der Nährstoffteil mit weniger Stickstoff und weniger Phosphor sowie die Gewässeranpassung mit den Zuströmbereichen, das wurde alles beschlossen», erklärt Ritter. Man sei sogar schneller, als es die AP22+ vorgesehen habe. «Jetzt Forderungen zu stellen, die Agrarpolitik im Umweltbereich nochmals nachzuschärfen, ist völlig fehl am Platz», sagt Ritter.

Jahrelang nichts machen

Ritters angesprochene Massnahmen seien Symptombekämpfungen, die zwar wichtig seien, aber man müsse auch die Ursache der Agrarproblematik angehen, holt Tiana Moser aus. Sie wirft dem Bauernverbandspräsidenten vor, lieber sechs Jahre lang nichts machen zu wollen. Dabei könne man die Ursachen mit den Direktzahlungen bekämpfen.

Moser vs. Ritter «Bauern rennen bereits»

Video: srf/arena

Auch diese Anschuldigungen müsse er «mit Entschiedenheit zurückweisen», sagt Markus Ritter. Es würden bereits «hunderte Millionen» Franken an Direktzahlungen in solche (Umwelt-) Programme umgelagert.

Dann schiesst der Bauernpräsident zurück: «Die Landwirtschaft engagiert sich und sie ist riesig gefordert. Die Bauern rennen bereits. Aber ihr ruft immer ‹noch schneller, noch schneller›!» Moser schüttelt nur den Kopf.

«Noch mehr bewegen, Herr Ritter!»

Auch ein drittes Mal ist es der GLP-Politikerin wichtig, den Mitte-Nationalrat zu erinnern, dass die Schweizer Böden irgendwann «verarmt» seien und das Trinkwasser belastet. «Ich appelliere an Herrn Ritter, sich zu bewegen. Sich noch mehr zu bewegen als bisher», so Tiana Moser.

Der Bauernpräsident findet seinerseits, dass «sie» die Agrarpolitik nur immer noch komplizierter machen wollen. Dies führe zu mehr Bürokratie und sei nicht mehr umsetzbar. Ritter fordert: «Bitte mehr Zurückhaltung. Denkt auch an diejenigen, die das in den Betrieben umsetzen müssen.»

Ritter: «Bitte mehr Zurückhaltung.»

Video: srf/arena

Der SRF- Dompteur Brotz fragt Ritter daraufhin, ob dieser jetzt nicht in der von Ott erwähnten «Opferrolle» angekommen sei. Der Bauernpräsident zieht die Augenbrauen hoch, zuckt mit den Schultern und sagt: «Nein, ich muss ja das sagen, was in den Betrieben läuft.»

Mike Eggers Ode an den Fleischkonsum

Wenn über die Agrarpolitik geredet wird, ist auch immer Fleisch ein Thema. 52 Kilo betrage der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum in der Schweiz, sagt Moderator Sandro Brotz. Das sei doch dreimal zu viel, fragte er SVP-Nationalrat Mike Egger, welcher auch als Leiter Geschäftsentwicklung beim Fleischverarbeiter Micarna arbeitet.

Der Nationalrat nutzt die Gelegenheit, um eine Ode an den Fleischkonsum zu halten und von den Vorteilen des Nahrungsmittels zu sprechen.

«Fleisch ist ein gesundes Lebensmittel.»

Video: srf/arena

Für Egger ist ein Fleischkonsum von 52 Kilo pro Jahr angemessen. Das sei, wie wenn man «täglich ein Hamburger» esse. Anders sieht das Kuhversteher Martin Ott: «Das war ein schöner Werbespot der Fleischvertreter, aber einmal Fleisch pro Woche reicht.»

Das Glas der Zukunft

Die einen bemängeln den Stickstoffausstoss, andere verteidigen den Fleischkonsum oder sie bitten um möglichst wenig Bürokratie. Doch für Bio-Weinbauer Roland Lenz ist klar, dass von den eigentlichen Herausforderungen in der Agrarpolitik abgelenkt werde – für ihn sei das speziell bei der Biodiversität der Fall.

Die ursprünglichen Ziele des Bundesrates für die Agrarpolitik seien die Richtigen gewesen, findet er. Doch das Parlament habe «alles zerfleddert». Der Bauernverband und die Wirtschaftsverbände würden nicht der Sache dienen. Und er merke selbst, dass die «Zeit davonlaufe», sagt Lenz. Während sich die Politiker gegenseitig beschuldigen, hat der Weinbauer eine Lösung mit ins Leutschenbach gebracht: ein Glas gefüllt mit Erde.

«Nach 15 Jahren haben wir eine Zukunftsformel entwickelt. Diese basiert auf fruchtbarem Boden. Dafür braucht es viel Diversität und pilzresistente Traubensorten. Wenn man mit diesen Themen Lebenskreislaufe schafft, kann man die Artenvielfalt erhalten und man wird auch wirtschaftlich», sagt Lenz. Der Bio-Bauer ist überzeugt, dass mehr Landwirte diesen Weg einschlagen würden, wenn sie davon wüssten – und zu Pionierbetrieben werden würden.

Die «Zukunftsformel»

Video: srf/arena
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141 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Clife
11.03.2023 06:38registriert Juni 2018
Können wir anfangen, Wissenschaftlern mit Ahnung mehr Plattform zu geben als Politikern, die sich einfach nur irgendeinen Quatsch zusammenreimen? Entsprechend könnte die Bevölkerung dann auch die Politiker wählen, die wirklich fähig sind, die Probleme der Schweiz zu bewältigen…
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Holunder
11.03.2023 06:49registriert Oktober 2018
Hört auf diesen Lenz! Gesunde Böden ziehen auch mehr CO2 aus der Luft. Sein Ansatz ist die Lösung für die Klimapolitik und gesunde Lebensmittel.
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Troxi
11.03.2023 08:13registriert April 2017
Politik ist, wenn es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht! Ich wäre mal für eine Arena ohne Politiker zu einem Umwelt, Gesellschaftlich oder Wirtschaftlich relevanten Thema.
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