Als Zürcher bin ich von der internationalen Fluganbindung verwöhnt – wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht. Auch die Infrastruktur in Kloten ist topmodern. Der Genève Aéroport hingegen wirkt, als sei er in den 70er-Jahren steckengeblieben. Tiefe Decken, enge Platzverhältnisse, veraltete Bauten. Das gleiche gilt für den integrierten SBB-Bahnhof. Einer internationalen Stadt wie Genf ist der Flughafen unwürdig. Immerhin bietet er zurzeit eine quarantänefreie Reisemöglichkeit – in die Vergangenheit.
Gibt es einen schöneren Arbeitsweg, als frühmorgens bei Sonnenschein in eine «Mouette» zu steigen – eines dieser lieblichen, gelb-roten Mini-Boote –, um damit auf die andere Seeseite zu gelangen, den Blick auf den Jet d’Eau und das glitzernde Wasser gerichtet? Certainement pas!
Die Genfer Hektik, insbesondere das Autochaos (siehe «V» wie Verkehr), kann manchmal aufs Gemüt schlagen. Da empfiehlt sich der Gang nach Carouge, ein Städtchen mit italienischer Geschichte, das sich in den letzten Jahren zum Hipster-Mekka mit hohen Mieten gemausert hat. Der Charme ist aber geblieben: Hier reihen sich Gelaterias, Ateliers und Cafés aneinander, und alles geht etwas gemächlicher zu und her.
Nirgendwo sonst in der Schweiz ist die Prostitution so sichtbar wie in Genf. Im Pâquis-Quartier (siehe «Z» für «Zentrum») buhlen leicht bekleidete Sexarbeiterinnen um Freier, was bei vorbeilaufenden Touristen immer wieder für ungläubige Blicke sorgt.
Die Kinder freuen sich jeden Dezember auf das Stadtfest, die «Escalade», die an die erfolgreiche Verteidigung Genfs gegen Karl Emanuel von Savoyen 1602 erinnert. Denn fester Bestandteil sind nicht nur ein Stadtlauf und ein uniformierter Fackelzug durch die Altstadt, sondern auch die «Marmites» - schokoladene Töpfe gefüllt mit Marzipangemüse. Der Erzählung nach liess die Symbolfigur Mère Royaume in der kriegerischen Nacht einen gusseisernen Topf gefüllt mit Gemüsesuppe auf die gegnerischen Soldaten fallen - und half so, diese in die Flucht zu schlagen.
Zürich hat sein «Züri Fäscht», Baden die «Badenfahrt». Aber in Bezug auf die Besucherzahl können sie alle nicht mit den jährlichen «Fêtes de Genève» mithalten. Während vier Wochen feiern Romands und Franzosen aus der Umgebung mit Musik und Essen im Genfer Seebecken – mit pompösen Feuerwerk-Shows als Highlight. Bloss: Die Organisatoren haben etwas zu viel Pulver verschossen und kämpften 2019 mit Finanzierungsproblemen. Wie es weitergeht, ist unklar.
Malaysisch, koreanisch, senegalesisch, peruanisch, brasilianisch, chinesisch, libanesisch, vietnamesisch, eritreisch, somalisch, französisch, italienisch, US-amerikanisch – und alles gleich um die Ecke. Die Restaurant-Dichte und -Vielfalt ist in Genf, insbesondere im bunten Pâquis-Quartier (siehe «D» wie Dirnen), einmalig und lässt nichts zu wünschen übrig. (Siehe Gastro-Tipps am Ende des Artikels)
Anfang der 2010er-Jahre wurde der Bahnhof Cornavin einer dringend nötigen Modernisierung unterzogen. Doch nach wie vor mangelt es an Platz. Die Pendlerströme bringen die Station an ihre Kapazitätsgrenze.
Nein, Genf ist nicht fast schon Frankreich, wie Deutschschweizer oft monieren. Genf ist Schweiz. Und das Land sollte stolz darauf sein. Aber ja, Genf ist ein Sonderfall inmitten der Schweiz. Nur vier Kilometer ist die Grenze zum Resten der Schweiz, über 100 Kilometer zu Frankreich. Logisch, ist die Denkweise von der «Grande Nation» mitgeprägt: Mehr Vertrauen in den Zentralstaat, ein bisschen mehr Sozialismus – aber auch etwas mehr «laisser faire», im Guten wie im Schlechten.
Selbst in der Romandie stechen die Genfer heraus. Das Autokennzeichen GE stehe für «geules élastiques» (elastische Schnauzen), wird gespottet, da die Genfer - ähnlich wie die Zürcher – gerne palavern. Und «Le Temps» bezeichnete den Kanton einst als «exzentrische Tante» der Romandie-Familie: Sie gehört dazu, aber sie macht oft ihr eigenes Ding, ist stolz auf ihre Einzigartigkeit und foutiert sich um Gepflogenheiten. Ein Beispiel? Die Kehrichtsack-Gebühr existiert in Genf nach wie vor nicht - obwohl sie national vorgeschrieben wäre.
Bei ihm zeigt sich, dass Genf stets nach Höherem strebt: Der Jet d’Eau schiesst bis zu 140 Meter Wasser des Genfersees gen Himmel. Er ist die postkartentaugliche Sehenswürdigkeit mit Wiedererkennungsfaktor, die vielen anderen Schweizer Städten fehlt. Und die Genfer lieben ihn. Als er während der Pandemie zeitweise abgestellt wurde, regte sich prompt Widerstand im Volk.
Es ist eines dieser Klischees, die Deutschschweizer von der Romandie haben – dass es ennet der Saane etwas weniger sauber ist. Was Genf anbelangt, ist diese Erkenntnis nicht grundfalsch, auch wenn Einheimische beteuern, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren gebessert hat. Als Fussgänger empfiehlt sich ein steter Kontrollblick beim nächsten Schritt. Denn in manchen Strassen häufen sich die Häufchen der Hunde.
580 Quadratkilometer beträgt die Fläche des Genfersees, der Künstler wie William Turner, Ferdinand Hodler und Deep Purple («Smoke on the Water») inspirierte. Kein Wunder, mit den französischen Alpen im Hintergrund, inklusive dem Mont Blanc, wirkt er schlicht epochal – und lädt im Sommer an verschiedenen Stränden in Genf zum Schwimmen ein. Und für Sissi-Liebhaber gibt es eine Statue der österreichischen Kaiserin, die 1898 am Ufer des Genfersees ermordet wurde.
Genf ohne Pierre Maudet? Gibt’s nicht. Kein anderer Politiker dominierte die Schlagzeilen in den vergangenen Jahren so sehr wie der einstige Bundesratskandidat. Und auch wenn er nun als Staatsrat nicht wiedergewählt wurde, wird er aus dem Rampenlicht nicht verschwinden.
Auch in der Banken- und Uhrenstadt geht es hektisch zu und her. Aber der Freizeit wird zuweilen mehr Bedeutung geschenkt, ganz nach dem Motto: Wir arbeiten, um zu leben – anstatt umgekehrt. Diese Leichtigkeit des Seins widerspiegelt sich in den zahlreichen wunderschönen Pärken, dem Parc des Bastions, in dem man sich in Paris wähnt, dem touristischen Jardin Anglais oder dem pompösen Parc de la Grange.
«La Boum»-Feeling gibt es im beliebten Strandbad «Bains de Pâquis». Und die im Sommer auf der Wiese liegenden Genfer im Parc de la Perle du Lac erinnern an Seurats Gemälde «Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte». Dann noch eine Crêpe - la vie est belle! Dazu gibt es regelmässig Gratis-Festivals, -Konzerte und -Open-Air-Filmvorführungen.
Das kantonale Amt für Bevölkerung und Migration – kurz OCPM – ist die Schande von Genf. «Schrecklich», «mies», «erbärmlich» – so lauten die völlig zutreffenden Kritiken auf Google zum Büro, wo man bis zu vier Stunden anstehen muss, um danach von einem genervten Beamten unfreundlich abgefertigt zu werden.
Nein, nicht der umgebaute Sechseläutenplatz ist der grösste Platz in einer Schweizer Innenstadt, wie die Zürcher einst tollkühn behaupteten. Sondern die imposante «Plaine de Plainpalais», wo regelmässig Gemüse- und Früchtehändler Spalier stehen. Hier steht übrigens auch die Statue des «Frankenstein»-Monsters, zu deren Geschichte Mary Shelley während ihrer Zeit im noblen Genfer Vorort Cologny inspiriert wurde.
Ein weiteres Klischee aus Deutschschweizer Sicht, das sich in Genf oftmals bewahrheitet: Sei es von manchen Handwerker-Arbeiten bis hin Mängeln beim Strassen- oder Wohnungsbau – oft wird alles nicht ganz so genau genommen, wie man es sich als Deutschschweizer «Tüpflischisser» wünschte. Dafür wirkt vieles charmanter, ungezwungener und weniger perfektionistisch.
Die Shoppingmeile von Genf ist vor allem auch bei den gut betuchten Touristen populär. Kein Wunder. Gucci, Prada, Hermès – fast jede Luxusmarke präsentiert sich hier mit einem eigenen Shop – inklusive Türsteher.
Dieses Genfer Produkt dürfte jedes Schweizer Schulkind schon mal in den Händen gehabt haben: Die Bunt- und Bleistifte der Familienfirma Caran d’Ache. Sie werden am Rande der Stadt in Thônex hergestellt.
Jeden Mittwoch, Samstag und am ersten Sonntag des Monats findet der wohl grösste Flohmarkt der Schweiz auf dem Plainpalais-Platz statt – mit alten Kostümen, Vasen, Schallplatten, DVD-Sammlungen und Comics.
Genfs Restaurants und Hotels hängen massiv von den Angestellten und Diplomaten ab, die für die UNO, das Rote Kreuz oder die Weltgesundheitsorganisation arbeiten. Insgesamt zählt die internationale Gemeinschaft in Genf rund 43'000 Personen. 350 Nicht-Regierungsorganisationen sind in der Stadt vertreten. Und vor der Pandemie wurden in Genf jährlich über 2500 internationale Konferenzen durchgeführt. Immer wieder wird in Genf Geschichte geschrieben.
Regelmässig werden Fahrgäste zu Stosszeiten gebeten, das Tram oder den Bus zu verlassen. Der Grund: Rien ne va plus! Genf leidet noch immer unter einem Kardinalfehler aus der Vergangenheit. Die Stadt, die in den 30er-Jahren das dichteste Tram-Netz der Welt aufwies, setzte nach dem Zweiten Weltkrieg voll auf den mondänen Autoverkehr und riss die Tramschienen aus dem Boden.
Mit der Folge, dass die Innenstadt heute chronisch verstopft ist. Dazu tragen auch Franzosen und in Frankreich wohnhafte Schweizer bei, die jeden Morgen mit dem Auto nach Genf zur Arbeit fahren. Täglich sind es 120'000 Haushalte.
Immerhin versucht die Politik zurzeit mit Hochdruck, dieses Malheur zu beheben. Ende 2019 wurde das grösste, länderübergreifende S-Bahn-Netzwerk Europas, der «Léman Express», eingeweiht, der von der Waadt über Genf bis nach Frankreich reicht. Zudem sind neue Velowege, Tramlinien und -Verlängerungen geplant. Auch über eine Maut-Gebühr fürs Zentrum wird diskutiert.
Nicht nur Rolex hat seinen Hauptsitz in Genf. Auch Patek Philippe, Piaget oder Vacheron Constantin. Die Branche versammelt sich jährlich an der Uhrenmesse, die neu «Watches & Wonder» heisst. Zu verdanken hat die Stadt ihr Uhrenimage dem Reformator Johannes Calvin. Dieser verbot Mitte des 16. Jahrhunderts die Zurschaustellung von Luxusgütern. Also mussten die Goldschmiede umdenken und investierten in schöne Uhren, die Calvin als Gebrauchsgut erlaubte.
Nirgendwo sonst in der Schweiz ist der Ausländeranteil grösser als in Genf. Die Offenheit gegenüber dem Fremden hat verschiedene Gründe, von der durchmischten Tourismus-Klientel bis hin zu den humanitären Organisationen. Vor einigen Jahren sorgte der multikulturelle Kanton mit der «Papyrus»-Aktion für Aufsehen, einem Legalisierungsprogramm für Sans-Papier.
Yvoire ist ein malerisches, historisches Dorf in Frankreich, 40 Autominuten von Genf entfernt, das sich für einen Samstagnachmittagsausflug eignet. Wie viele andere Regionen in Frankreich und in der Waadt zählt auch Yvoire zum wirtschaftlich und kulturellem Einzugsgebiet «Grand Genève», das keine Grenzen kennt und stetig grösser wird.
Pâquis ist ein verrückt-buntes Quartier, wie es mit seinem kruden Mix sonst nirgends in der Schweiz existiert. Hier buhlen Sexarbeiterinnen um Freier inmitten von Familienwohnungen, Kebab-Ständen, Barbershops und Restaurants mit Menüs aus aller Welt (siehe «G» wie Gastronomie). Die edlen Fünf-Sterne-Hotels liegen nur ein Block weit entfernt. Auch Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss sieht man hier in der Migros einkaufen. Zuletzt entstanden vermehrt Luxus-Apartments, von deren Balkons man direkt auf die Rotlicht-Trottoirs blickt. In diesem Schmelztiegel verkehren Diplomaten, Randständige, Hipster, Manager und Kinder. Pâquis – das ist das Herz und die Seele von Genf.
Bon Appétit! Sechs Genfer Gastro-Tipps – von süss bis salzig
L’Isola: Hier gibt es italienisches «Street Food» von Pizza-Meister Biagio. Extrem günstig und extrem fein. Geheimtipp (nicht auf dem Menü): Chiacchiere con Nutella – che buono!
www.isolastreetfood.ch
The Hamburger Foundation: Dieses hippe Genfer Original bringt es inzwischen auf drei Filialen. Auch top: Der teure, aber perfekte Cheesecake.
www.thehamburgerfoundation.ch
Muller’s Factory: Eine Genfer Institution seit den 60er-Jahren. An vier Standorten verkauft dieser Familienbetrieb seine süssen und salzigen Crêpes. C’est si bon!
www.mullersfactory.ch
Chez Boubier – Café de Paris: Eine Karte erhält man nicht. Seit 1930 gibt es nur ein Menü: Ein zartes Entrecôte in «Café de Paris»-Butter schwimmend, dazu Pommes frites. Génial! www.chezboubier.com
Boréal: Die junge Genfer Kaffee-Kette hat sich zur Starbucks-Alternative gemausert und sogar den Schritt in die Deutschschweiz gewagt.
www.borealcoffee.ch
Manu: Echtes italienisches Gelato mit allen Geschmacksrichtungen an vier Standorten. Besser geht’s nicht.
www.manugelato.ch