Schweiz
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Pünktlichkeit bei der SBB: Das droht dem Personal bei Nichterreichen

Drei neue Flirt Evo Zuege der Stadler Rail, von Thurbo, links, SBB, Mitte, und RegionAlps, rechts, waehrend einer gemeinsamen Praesentation der SBB, Thurbo und RegionAlps von neuen Flirt Evo Zuegen de ...
Die SBB will pünktlicher werden.Bild: keystone

Das droht dem SBB-Personal, wenn die Züge nicht pünktlicher werden

Die SBB und ihr Personal streiten um die Aufgaben der Kundenbegleiter. Auf einer ersten Fernverkehrslinie will die Bahn wichtige Aufgaben streichen. Das Personal warnt vor Folgen für die Sicherheit.
31.01.2025, 21:2503.02.2025, 11:58
Stefan Ehrbar / ch media
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Die SBB könnten dem Personal erstmals auf einer Fernverkehrslinie die Aufgabe wegnehmen, den Fahrbefehl für die Züge zu erteilen. Konkret droht dies auf der Strecke im St.Galler Rheintal. Die Kundenbegleiter laufen Sturm: Sie fürchten, dass das neue Prozedere auf Kosten ihrer Sicherheit geht. Das Thema ist emotional aufgeladen, seit im August 2019 ein Kundenbegleiter der SBB bei einem Unfall in Baden von einer Türe eingeklemmt und mitgeschleift wurde und in der Folge verstarb.

Um den Streit zu verstehen, muss man das Prozedere kennen. Bei den meisten Fernverkehrszügen geben Kundenbegleiter das Signal zum Abfahren an die Lokführerin oder den Lokführer. Sie tun das, wenn die Abfahrtszeit erreicht ist und alle Kunden sicher ein- und ausgestiegen sind. Sie schicken dann per SMS ein Signal an den Führerstand, dass die Fahrt weitergehen kann.

Künftig könnte dieser Schritt entfallen und an die Lokführerinnen und Lokführer delegiert werden. Diese sehen zwar, ob Türen blockiert sind, und können in den Rückspiegel schauen. Doch die gleiche Übersicht wie die Kundenbegleiter, die im Idealfall zu zweit auf dem Perron stehen, haben sie kaum. Die SBB gehen dafür davon aus, dass die sogenannte Selbstabfahrt schneller vonstattengeht.

Leidet die Sicherheit?

Sie haben das Projekt «Selbstabfahrt IR 13» ins Leben gerufen, benannt nach dem Interregio 13, der von Zürich via St.Gallen nach Sargans fährt. Dieser bietet in St.Gallen und Sargans relativ knappe Umsteigezeiten. Bei Verspätungen sind die Anschlüsse oft weg. Gleichzeitig können mit der Selbstabfahrt möglicherweise einige Sekunden gewonnen werden, etwa, weil das SMS etwas Zeit braucht, um beim Lokpersonal anzukommen.

Ihrem Personal setzten die SBB Ende 2024 eine Art Ultimatum: Wenn die Pünktlichkeits- oder Umsteigekriterien – wie die Anschlusspünktlichkeit in St.Gallen und Sargans – der IR 13 während dreier Kalenderwochen nicht eingehalten werden, ist es die Abfertigungsfunktion los und die Lokführer kümmern sich alleine um den Abfahrtsprozess.

Das Zugpersonal steigt auf die Barrikaden. An der Vorstandssitzung des Zugpersonalverbands (ZPV) der Eisenbahnergewerkschaft SEV Mitte Dezember sei das Thema «heiss diskutiert worden», heisst es in der aktuellsten SEV-Mitgliederzeitschrift: «Die Emotionen gingen hoch.» Das Zugpersonal dürfe die SBB-Idee nicht hinnehmen, «zumal die negativen Auswirkungen auf die Sicherheit in keinem Verhältnis zu den allenfalls minimalen Verbesserungen stehen».

Südostbahn ging voraus

Was damit gemeint ist, erklärt René Zürcher. Er ist beim SEV für den Personenverkehr der SBB zuständig. «Technisch ist die Selbstabfertigung mit den FV-Dosto, die auf dem IR 13 zum Einsatz kommen, zwar möglich», sagt er. «Doch die Lokführer haben bei den zum Teil langen Zügen einen weniger guten Überblick, als es die Kundenbegleiter haben.»

Mit der Selbstabfertigung werde die gesamte Verantwortung auf eine einzelne Person im Führerstand übertragen. «Bei der Abfertigung durch das Zugpersonal hingegen gibt es schlicht mehr Augen, die etwas sehen könnten. Die Sicherheit ist deshalb höher.»

Nach dem Unfall von Baden sei das ein emotionales Thema für die Kundenbegleiter. «Es ist ihnen wichtig, dass die Sicherheit so hoch wie möglich ist. Die Abfertigung hilft dabei. Es ist leider so, dass die SBB diesen Aspekt mit der Selbstabfahrt zu ignorieren scheinen.»

Beim Unfall von Baden wurde der Zug vom Personal abgefertigt. Damals wurde das SMS mit der Fahrerlaubnis aber verschickt, bevor die Kundenbegleiter im Zug waren und die eigene Türe verschlossen hatten. Dieser Prozess wurde angepasst: Das SMS wird erst versendet, wenn sich das Personal im Zug befindet. Die Befürchtung, dass mit der Selbstabfahrt diese Garantie nicht mehr gegeben wäre, äusserte der SEV schon 2023.

Zwar gibt es die Selbstabfahrt im Fernverkehr auch auf den Interregio-Zügen der Südostbahn (SOB), die ebenfalls im Rheintal verkehren. Deren Personal übernimmt nur noch kommerzielle Aufgaben, etwa den Verkauf von Billetten oder die Beratung.

Zurzeit sind die Züge pünktlich

Die Situation sei aber nicht mit jener der SBB zu vergleichen, sagt SEV-Sekretär René Zürcher. «Die SOB fährt mit kürzeren Zügen von Stadler, die für die Selbstabfahrt besser geeignet sind.» Dass die IR 13 der SBB im Rheintal unpünktlich seien, habe viele Gründe. «Dass die Abfertigung durch das Personal länger dauert, sehen wir nicht.»

Anders sehen das die SBB. Die Sicherheit sei bei der Selbstabfahrt jederzeit gewährleistet. Das Rollmaterial sei so ausgerüstet, dass diese problemlos möglich sei, sagt Sprecherin Sabrina Schellenberg. Auf vielen Regioexpress- und S-Bahn-Linien mit ähnlich langen Zügen und hohem Reisendenaufkommen sei das Verfahren seit vielen Jahren Standard.

Das Fahrplangefüge im Rheintal sei eng und beinhalte nicht viel Reserve. Für die Kundinnen und Kunden sei es wichtig, dass die Züge pünktlich verkehrten. «Würden die Zugs- und Anschlusspünktlichkeit während mehrerer Wochen nicht erreicht, würde auf die Selbstabfahrt umgestellt», bestätigt Schellenberg. So könnten wertvolle Sekunden gewonnen werden.

Gegenüber den Mitarbeitenden seien die SBB transparent. Diese würden offen über mögliche Massnahmen informiert. Bisher habe es nur wenige Rückmeldungen gegeben. Fürs Erste wird nicht umgestellt: Das Ziel der Anschlusspünktlichkeit von 95 Prozent werde im Rheintal derzeit erfüllt. Vergangene Woche seien die Werte zwischen 97 und 100 Prozent gelegen, «nicht zuletzt dank des engagierten Einsatzes des Zugpersonals». Im Moment seien keine Massnahmen nötig. Doch die Angst vor der Umstellung kann Schellenberg dem Personal nicht nehmen: «Wir beobachten die Situation weiterhin.» (aargauerzeitung.ch)

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nore9
01.02.2025 09:04registriert August 2016
Für uns Lokführer macht es im Wesentlichen keinen Unterschied, ob wir selbst abfertigen oder nicht. Wir sind uns das von der S-Bahn her gewohnt. Wenn die S-Bahn in Stadelhofen um die Kurve steht, sehen wir auch nur die erste Türe und haben keine Ahnung was hinten sonst noch so passiert. Wenn ich aber Zugpersonal dabei habe, welches den Fahrgastwechsel überwachen kann, dann ziehe ich das klar vor, weil die Sicherheit damit erhöht wird. Klar passiert auch ohne ZP in 99.99% nie etwas Schlimmeres, aber wenn nur 0.01% der Unfälle verhindert werden können, ist mir das den kleinen Zeitverlust wert.
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Chrigu‘s Meinig
01.02.2025 08:38registriert April 2022
Meine ehemalige Mitbewohnerin ist Lokführerin und meint zu dem Thema dass es bei einem kurzen Regiozug möglich sei, aber bei den heutigen meist über 200m langen Zügen völlig unmöglich sei im Rückspiegel genug zu erkennen. Und in gewissen Bahnhöfen wie Bern die eine Kurve sind ist es eh nicht möglich.
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Flauschibüsi
01.02.2025 02:10registriert März 2022
Jeder Lokführer der schon das Vergnügen hatte einen RegioExpress mit dem FV Dosto zu machen weiss, dass Selbstabfahrt mit diesem Zug definitiv nicht schneller gehen wird als mit Zugpersonal.
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