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ETH-Rat plant neues Superinstitut – doch der Widerstand wächst

ETH-Rat plant neues Superinstitut – doch der Widerstand wächst

Der ETH-Rat will seine kleineren vier Forschungsanstalten zusammenlegen – gegen Widerstand von innen und aus der Politik.
24.05.2025, 21:2824.05.2025, 21:28
Florence Vuichard / ch media
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Das Fusionsprojekt des ETH-Rats sorgt für Kopfzerbrechen. Schnelle Genesung ist nicht in Sicht.
Das Fusionsprojekt des ETH-Rats sorgt für Kopfzerbrechen. Schnelle Genesung ist nicht in Sicht.Bild: Keystone

Angefangen hat es mit einem harmlosen Brief. Entstanden ist ein Machtkampf, bei dem es um Egos, Prestige und um die Angst vor dem Verlust von Selbstbestimmung geht. Die Auseinandersetzung dürfte die öffentliche Hand Millionen kosten – vorerst ohne erkennbaren Mehrwert.

Die Zeilen, die Wirtschaftsminister Guy Parmelin vor drei Jahren in einem Schreiben an den Präsidenten des ETH-Rats, Michael Hengartner, richtet, klingen wie viele aus den Berner Amtsstuben. Im Brief ist von einer «Zwischenevaluation» die Rede und von der «strategischen Planung», wonach die Hochschule ihre «Struktur» einer «Überprüfung unterziehen» müsse. Gefordert wird eine «Auslegeordnung» als Basis für die nächsten «Eignergespräche».

Der ETH-Rat begnügt sich aber nicht mit einer Auslegeordnung, sondern startet kurz darauf das Projekt «Fit for the future». Er will damit die vier kleineren ETH-Forschungsanstalten fusionieren: das Paul Scherrer Institut (PSI) mit Sitz im aargauischen Villigen, die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf ZH, die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) und die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag), beide in Dübendorf ZH.

Das ETH-Universum

Während der ETH-Rat für sein Projekt mit «Fit for the future» einen gängigen Namen aus dem Manager-Handbuch gewählt hat, sprechen die Opponenten in den vier Forschungsanstalten von einer «Mega-Fusion», ein Begriff, der Angst auslösen soll – und dies auch tut. Denn mit dem «Swiss National Lab», wie das angestrebte Fusionsprodukt heisst, würde ein «Koloss» mit über 4500 Mitarbeitenden an 12 verschiedenen Standorten in 9 Kantonen entstehen, wie Kritiker monieren. Ein Institut, das sich um alles kümmert – von der Materialoberflächenforschung bis zu Überschwemmungsmessungen, von der Protonentherapie für Krebskranke bis zur Abwasserkontrolle.

Bildungspolitiker stellen sich gegen eine Fusion

In den vier Forschungsanstalten fürchten Mitarbeitende um ihre Selbstbestimmung. Und sie warnen, dass letztlich bei der Übung nicht viel herauskommen werde ausser viel Bürokratie und hohe Kosten. Das sind Bedenken, die auch in der Politik geteilt werden. «Die Idee überzeugt mich nicht», sagt etwa SVP-Nationalrat Roman Hug, der im Winter das Präsidium der parlamentarischen Bildungskommission übernehmen wird. «Bis jetzt hat uns niemand erklären können, was diese Fusion bringen soll.»

Die Skepsis im Parlament ist gross, und sie ist nicht neu. So erteilte die Bildungskommission des Nationalrats mit 23 zu 1 Stimmen bereits im Oktober 2023 den Fusionsbestrebungen von ETH-Präsident Hengartner eine Abfuhr und forderte, dass der ETH-Rat seine Strukturevaluation «ergebnisoffen» gestalte. «Auf Einrichtungsebene ist der Status quo zu erhalten», hält sie in einem Brief an den zuständigen Bildungsminister Parmelin fest. Darin schlägt sie den «Aufbau von Plattformen» vor, mit denen die Zusammenarbeit zwischen den sechs Institutionen, also den beiden ETH in Zürich und Lausanne sowie den vier Forschungsanstalten, verbessert werden könnte.

Michael Hengartner, Praesident ETH-Rat, spricht waehrend einer Medienkonferenz von Swissuniversities zum Entlastungspaket 2027, am Dienstag, 11. Februar 2025 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
ETH-Ratspräsident Michael Hengartner.Bild: keystone

Doch die Opposition aus dem Parlament scheint den ETH-Rat nicht zu beeindrucken. Das Gremium, das vom Bundesrat gewählt ist, will nicht vom eingeschlagenen Weg abweichen – und schickt das Projekt im Herbst 2024 in die ETH-interne Vernehmlassung. Das Resultat fällt durchmischt aus. Die beiden ETH sowie das PSI und die WSL stehen dem Swiss National Lab «positiv oder eher positiv» gegenüber, wie aus einer Antwort des Bundesrats auf einen Vorstoss von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen hervorgeht. Die Empa und die Eawag schätzten die Schaffung einer neuen Struktur «noch kritisch» ein und benötigten «für eine Beurteilung weitere Informationen».

Die Empa begründet ihren Widerstand auch mit den hohen Fusionskosten, die sie auf 230 Millionen Franken beziffert, wie aus dem ETH-internen Vernehmlassungsbericht hervorgeht. Darin enthalten sind sowohl die Kosten für allfällige externe Berater wie auch der interne Aufwand. Dabei geht die Empa davon aus, dass die obersten Führungsebenen der vier Forschungsinstitutionen «für die nächsten acht Jahre mit der Fusion beschäftigt» sein dürften, statt sich auf ihre Forschungstätigkeit zu konzentrieren.

Der ETH-Rat wiederum erachtet den Empa-Befund als unrealistisch hoch. Er hat bis heute selbst keine Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht, wie Präsident Hengartner auf Anfrage einräumt. «Wir sind zurzeit daran, die Kosten sowie den Nutzen und die potenziellen Synergien zu berechnen. Erste Ergebnisse werden im Herbst vorliegen.» Fakt sei, dass «in den ersten drei Jahren des Projekts insgesamt weniger als 1 Million Franken für externe Beratung ausgegeben wurde». Und auch der Kreis der involvierten Mitarbeitenden der vier Forschungsanstalten sowie deren Belastung sei bedeutend kleiner als von der Empa angenommen. Trotz fehlender Datengrundlage hat der ETH-Rat an seiner Sitzung vom 4. und 5. Dezember 2024 bereits einen «Richtungsentscheid» zugunsten einer Fusion gefällt.

Fürs neue Dach wird ein neuer Chef gesucht

Im Vordergrund steht nicht eine Vollfusion, sondern die Schaffung einer Art Holding-Struktur. Hengartner spricht lieber von einer «Zusammenführung der Forschungsanstalten unter einem Dach». Für den ETH-Rat sei entscheidend, dass «die Stärken des aktuellen Systems erhalten bleiben». Dazu gehörten die «äusserst wertvollen und sichtbaren ‹Brands› der Institutionen und deren engen Verbindungen zu den Stakeholdern», wie Hengartner betont. Die Standorte blieben ebenfalls erhalten. Es soll also ein neues «Dach» geschaffen werden, unter dieses die vier Forschungsanstalten gebündelt würden. In Zukunft könnten dann, so die Pläne des ETH-Rats, auch weitere, neu zu schaffende Einheiten hinzukommen. Der ETH-Rat verspricht sich von der Fusion Effizienzgewinne beim Personalwesen, der IT oder der Koordination sowie weniger Doppelspurigkeiten bei den Forschungsthemen.

Wo der Sitz des neuen Swiss National Lab dereinst sein soll, ist unklar. Ebenso wer sie leiten soll. Die Stelle «soll zu gegebener Zeit öffentlich ausgeschrieben werden», sagt Hengartner. Die vier Direktoren der vier Forschungsanstalten sollen in der Geschäftsleitung des Swiss National Labs Einsitz nehmen – und würden damit degradiert. Die Wahrscheinlichkeit jedenfalls ist gross, dass der Topjob mit einem externen Kandidaten besetzt wird. In den Gängen der ETH jedenfalls kursieren schon Namen – unter anderem jener des früheren Nasa-Managers Thomas Zurbuchen, der seit seiner Rückkehr aus den USA Professor am ETH-Departement für Erd- und Planetenwissenschaften ist und als Gastredner durch die Schweiz tourt.

NASA Associate Administrator for Science Thomas Zurbuchen answers a reporter s question during a media gaggle, on Wednesday, June 2, 2021, at NASA Headquarters Mary W. Jackson Building in Washington.  ...
Thomas Zurbuchen, ehemaliger Forschungsdirektor der Nasa und ETH-Professor.Bild: www.imago-images.de

Das Projekt läuft, mit Dieter Schmid ist gar ein Transformationscoach an Bord. Er unterstütze «insbesondere die interne Projektorganisation», sagt Hengartner. «Voraussichtlich 2026» werde der ETH-Rat einen Entscheid treffen. Beobachter zweifeln nicht, dass die Zusammenlegung forciert werden soll. «Die Fusion wird einfach durchgezogen, trotz berechtigter Kritik», sagt Wasserfallen. «Das Lobbying der ETH in diesem Fall war sehr stark und der Prozess von Anfang bestimmt in eine Richtung gelenkt.»

Der nächste Termin steht schon. Am 11. Juni lädt Parmelin die Parlamentarier zum «Sessions-Frühstück» zur «Organisationsentwicklung» des ETH-Bereichs ein. Gemäss Einladung sollen dann Hengartner und die frühere Ständerätin Pascale Bruderer, die Anfang 2024 das Vizepräsidium des ETH-Rats übernommen hat, über «den aktuellen Stand des Projektes» informieren. Ebenfalls vor Ort sind dann die vier Direktoren der vier Forschungsanstalten sowie die Präsidentin der EPFL und der Präsident er ETHZ.

Es wird nicht der letzte Schritt sein in diesem Machtkampf. (aargauerzeitung.ch)

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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Firefly
24.05.2025 22:01registriert April 2016
Fusionen sind grundsätzlich zu vermeiden. Sie machen einige wenige mächtiger, viele ohnmächtig und töten Innovation.

Fusion nein, Transparenz und Kommunikation ja.
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Kong
24.05.2025 22:21registriert Juli 2017
Fraktale hybride Organisationsformen mit viel Eigenbestimmung statt Grossgebilde. Ist nicht die erste "Firma" die ich bei solchen Fusionen stehen sehe und Synergien versprochen werden, jedoch nur die Administration Überhand nimmt... die Frage wäre doch - wo sind die heutigen Probleme - was wird besser. Das scheint nicht geklärt. Wie so oft.
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Quaerentius
24.05.2025 22:29registriert Mai 2022
“Er [der ETH-Rat] hat bis heute selbst keine Kosten-Nutzen-Rechnung gemacht, wie Präsident Hengartner auf Anfrage einräumt. «Wir sind zurzeit daran, die Kosten sowie den Nutzen und die potenziellen Synergien zu berechnen. Erste Ergebnisse werden im Herbst vorliegen.»”
Das ist angesichts der Grösse und Bedeutung des Projekts top unprofessionell und politisch so tölpelhaft wie überhaupt nur möglich! Hat es in diesem ETH-Rat kein einziges Mitglied, das in etwa wüsste, wie man ein solches Geschäft taktisch aufgleist? Absolut dilettantisch!
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