Ungeschlagen auf Platz eins der beliebtesten Lehrberufe der Schweiz ist die Grundbildung zur Kauffrau/Kaufmann. Grossbanken, die diese Ausbildung anbieten, sind bei den Kids sehr beliebt: Es findet jeweils ein regelrechter Run auf KV-Banklehren statt. Die Infoveranstaltungen der Grossbanken, die jeweils im Frühjahr stattfinden, sind schnell vergriffen. Die Konkurrenz ist gross, der Druck bei den Teenies noch grösser. Diese Erfahrung muss jetzt auch die 15-jährige Sekundarschülerin Lara* machen.
Gegenüber watson erzählt Laras Mutter: «Meine Tochter hat gefühlt wöchentlich einen Nervenzusammenbruch, wegen der Lehrstellensuche und dem Leistungsdruck in der Schule.» Lara habe schon einige Absagen erhalten. Gleichzeitig habe fast die Hälfte von Laras Klasse bereits eine Lehrstelle zugesagt bekommen. Laras Mutter sei geschockt gewesen, als sie gehört habe, dass vereinzelt Kinder bereits vor den Sommerferien zu Bewerbungsgesprächen eingeladen worden seien.
«Das hat unsere Tochter noch mehr verunsichert und unter Druck gesetzt. Während der Sommerferien konnte sie überhaupt nicht abschalten.» Lara besucht die zweite Klasse der Sek A in einer ländlichen Gemeinde des Kantons Zürich. Ihr Notendurchschnitt liegt knapp bei 4.5.
«Ich habe mich relativ früh für eine Banklehre entschieden, weil ich den Finanzsektor sehr spannend finde. Die Infoveranstaltungen der UBS, CS, Julius Bär, ZKB und anderer Banken habe ich schon in der zweiten Sek besucht und es hiess eigentlich bei allen, man schaue nicht nur auf die Noten.»
Am liebsten hätte Lara ihre Ausbildung bei der Zürcher Kantonalbank gemacht, weil die Leute dort «so sympathisch» gewesen seien und immer wieder betont hätten, dass man sich auch mit mässig guten Noten bei ihnen bewerben könne. «Als dann von der ZKB die Absage kam, war ich schon sehr verzweifelt», erklärt Lara gegenüber watson. Und Laras Mutter ergänzt: «Ich fühle mich in diesem ganzen Prozess sehr alleine gelassen und hätte mir von der Schule auch mehr Unterstützung gewünscht. Das ging mir alles viel zu schnell.»
Mit dieser Situation der Betroffenen vertraut ist auch Domenica Mauch, Geschäftsführerin des grössten Lehrstellenportals der Schweiz: «Ganz generell rate ich den Schülerinnen und Schülern, sich nicht stressen zu lassen und offen zu bleiben. Dazu gehört auch, sich nicht auf Plan A festzubeissen.» Selbst wenn es in der dritten Sek noch nicht mit einem Lehrvertrag klappe, gäbe es nebst dem 10. Schuljahr etliche andere Anschlusslösungen, wie beispielsweise ein Sprachaufenthalt, ein Praktikum oder ein Au-pair-Jahr, erklärt die yousty-Expertin.
Mit dem Lehrplan 21 hätten sich auch die Anforderungen für Schülerinnen und Schüler geändert. Man würde sich viel früher mit den eigenen Schwächen und Stärken sowie Interessen auseinandersetzen, und folglich würde der Berufsorientierungsprozess früher beginnen.
Die oberste Lehrerin der Schweiz, Dagmar Rösler, widerspricht dem entschieden: «Dass Kinder schon so früh rekrutiert werden, hat definitiv nichts mit dem Lehrplan 21 zu tun. Ganz im Gegenteil.» Die zweite Sekundarstufe sollte eigentlich dazu dienen, den Kindern die Berufswahlphase zu ermöglichen, erklärt die Zentralpräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz.
«Es gibt ein schweizweit geltendes Agreement, um eben genau dieser Entwicklung der frühen Rekrutierung entgegenzuwirken.» Dieses werde jedoch regelmässig unterwandert.
«Solche Geschäftspraktiken setzen auch Lehrerinnen und Lehrer unter Druck und können sich negativ auf den Schulbetrieb und die Schülerinnen und Schüler selbst auswirken», erklärt Rösler weiter. Es sei sehr herausfordernd, Jugendliche für den Unterricht in der dritten Sekundarklasse zu motivieren, wenn sie bereits Ende August eine Lehrstellenzusage erhalten.
Lara wurde schon früh im Berufswahlprozess verunsichert: «Als mir jemand erzählte, dass er bereits kurz nach dem Schnuppertag von der Bank angerufen und ermuntert wurde, sich dort zu bewerben, ahnte ich nichts Gutes. Ich wusste, dass es schwierig wird für mich.»
Auf Anfrage von watson bestätigt die Zürcher Kantonalbank, dass ihr Rekrutierungsprozess jeweils am 1. Juli startet. Dann werden die Lehrstellen ausgeschrieben und im August finden bereits Vorstellungsgespräche mit Schülerinnen und Schülern statt. Die ZKB handhabe dies ganz gemäss dem Commitment der Verbundpartner der Berufsbildung. Gemäss diesem Commitment dürften Lehrstellen jedoch frühestens im August des Jahres vor Lehrbeginn ausgeschrieben werden.
Auch andere Banken halten sich nur teilweise an die Grundsätze der besagten Vereinbarung, die besagt, dass Lehrstellenverträge «frühestens» ein Jahr vor Lehrbeginn abzuschliessen und zu genehmigen seien. Auf Anfrage von watson schreibt die UBS: «Unsere Lehrstellen werden jeweils vor den Sommerferien ausgeschrieben.» Vorstellungsgespräche mit Schülerinnen und Schülern hätten auch schon stattgefunden. Weiter erklärt die UBS, dass die Vergabe der Lehrstellen bis zu ein Jahr vor Lehrbeginn in der Deutschschweiz üblich sei.
Dass der Bewerbungsprozess bei Banken bereits sehr fortgeschritten ist, weiss auch Lara: «Bei mir in der Klasse haben einige Mitschüler schon in der ersten Woche nach den Sommerferien mündliche Zusagen von der CS und UBS bekommen.»
Lara, die noch keine Lehrstelle hat, nervt besonders eine Sache: «Die meisten Schülerinnen und Schüler aus meiner Klasse, die jetzt eine Zusage bekommen haben, machen noch die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium. Die Lehre bei einer Bank ist für sie nur Plan B.»
* Name der Redaktion bekannt.
Auch damals war es so das im September ein teil der Klasse schon zusagen hatten. Die KV Lehrstellen bei den Banken waren auch schon weg und mit 4.5 in der Sek hatte man einen schweren Stand bei einer ZKB oder CS zu landen.
Wer aus der Realschule (Heute Sek B) ein KV Stelle wollte, konnte das bei Banken gleich vergessen. Auch war es üblich das gute Sek Schüler die Lehre nur als Plan B sahen. Und das die Lehrer uns alle aufforderten auch einen Plan B zu haben.
Es ist eine grosse Schweinerei, dass Betriebe schon vor den Sommerferien beginnen, Lehrstellen zu vergeben. Aber wirklich neu ist es leider doch nicht, obwohl es ja diese inoffizielle Vereinbarung gäbe (im Text als Commitment beschrieben; Ich würde eher Gentlement Agreement dazu sagen).