Fernunterricht, Homeoffice, teils sogar Kurzarbeit – so sieht derzeit der Alltag von Lehrlingen aus. Die Pandemie dauert bereits so lange an, dass Lernende, die in diesem Jahr ihren Abschluss machen, die Hälfte ihrer Ausbildung im Ausnahmezustand verbracht haben. Das hat zur Folge, dass die Jugendlichen weniger Erfahrung in der Praxis sammeln konnten und den Schulstoff von zu Hause aus am Bildschirm büffeln mussten. Eine optimale Vorbereitung auf die Prüfungen sieht anders aus. Und das birgt Risiken.
«Es besteht eine realistische Gefahr, dass in diesem Jahr mehr Lernende durch die Prüfungen fallen», sagt Jürg Schweri, Professor am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB). Schon die erste Welle habe die Betriebe und ihre Auszubildenden vor grosse Herausforderungen gestellt.
Mancherorts mussten Lernende auf Kurzarbeit gesetzt werden, an den Schulen sei zudem teilweise die Infrastruktur für den Fernunterricht noch nicht ausreichend vorhanden gewesen. Dadurch fehle es manchen nun an praktischer Erfahrung, manchen am nötigen Wissen. «Während der Pandemie sind Bildungslücken entstanden, die bis im Frühsommer gefüllt werden müssen», sagt Schweri. Aber wie?
«Immerhin dauert es noch ein paar Monate bis zu den Prüfungen», sagt Schweri. «Wer beim Stoff hinterherhinkt, soll sich jetzt intensiv damit auseinandersetzen und sich auf die Prüfungen vorbereiten.» Damit meint Schweri aber nicht nur das Lernen selbst, sondern auch, dass sich die Lernenden frühzeitig mit dem Prüfungsstoff beschäftigen: Was wird verlangt? Wo habe ich Lücken und wer kann mir helfen, sie zu schliessen? Sind die Lücken erkannt, könnten Schulen und überbetriebliche Kurse in Einzelfällen helfen, den verpassten Stoff nachzuholen.
Aber auch die Vorgesetzten müssten jetzt Verantwortung übernehmen: «Die Betriebe können feststellen, wo die Auszubildenden Schwächen haben und sich mit den Schulen absprechen», sagt Schweri. Gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten sei ohnehin der Schlüssel zu einer erfolgreichen Lehre. Eine gute Betreuung helfe, sich auf den praktischen Teil der Prüfung vorzubereiten. Schweri sagt:
Laut Schweri hängt die Situation der Auszubildenden in diesem Jahr stark von der Branche ab: «Für die Lernenden im Gesundheitswesen gab es teilweise eine hohe Zusatzbelastung, in der Gastrobranche fehlte dagegen die Arbeit».
Schliesslich sind die Betriebe aktuell geschlossen. Lernende haben also überhaupt keine Möglichkeit, an ihrem praktischen Wissen zu feilen. Dort sind folglich innovative Lösungen gefragt. Schweri nennt hierzu ein Beispiel des Kantons Bern, wo Gastro-Lernende derzeit zusammen an gewissen Tagen von Berufsbildnern in der Praxis unterrichtet werden.
Trotz der schwierigen Voraussetzungen hält Schweri ein Aufschieben der Prüfung – wie dies von diversen Lernenden gefordert wurde – für keine gute Lösung. «In dieser Krise ist es besonders wichtig, dass die Lernenden einen normalen Berufsabschluss machen können und kein Jahr verlieren.»
Er warnt auch davor, den Prüflingen einen generellen Sonderstatus zu gewähren und etwa das Niveau der Prüfungen zu senken. Letztlich müssten sie ja die beruflichen Qualifikationen erfüllen. «Sonst könnte der Eindruck entstehen, dieser Jahrgang habe einen Billig-Abschluss erworben», sagt Schweri. Trotzdem läge es an der Prüfungsleitung, die schwierigen Umstände angemessen zu berücksichtigen.
Eine erhöhte Durchfallquote muss folglich nicht zwangsläufig zur Tatsache werden. Gleichwohl wird die Zukunft der Lernenden auch mit einem erfolgreichen Abschluss nicht rosiger. Für die kommenden Jahre befürchtet Schweri eine erhöhte Jugendarbeitslosigkeit. «Studien haben gezeigt, dass Rezessionen schädlich sind für den Berufseinstieg», sagt Schweri. Einerseits schrumpfe das Beschäftigungswachstum, andererseits gebe es mehr schlecht bezahlte Stellen. Schweri sagt:
Darüber macht sich auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund Sorgen. «Die Jungen brauchen eine Perspektive», sagt Präsident Pierre-Yves Maillard. «Sobald die unmittelbare Gesundheitskrise endet, braucht es eine Offensive im Arbeitsmarkt, dass für sie Stellen geschaffen werden und sie den Eintritt ins Berufsleben nicht verpassen.»
Für die künftigen Jahrgänge sieht die Situation nicht besser aus. Während die Krise im vergangenen Jahr noch keine allzu grosse Auswirkung auf die abgeschlossenen Lehrabschlussverträge hatte, – das Wachstum war lediglich etwas weniger gross als erwartet – droht das Jahr 2021 heikler zu werden: «Die ganze Rekrutierung läuft momentan unter Coronabedingungen», sagt Schweri.
Es gebe bereits erste Hinweise auf Rückstände im Lehrstellenangebot. Für eine klare Aussage sei es aber noch zu früh. «Es kommt jetzt ganz darauf an, wie sich die Pandemie und die damit verbundenen Massnahmen im Frühling entwickeln», sagt Schweri.
Tatsache ist, dass die Berufswahl im Moment extrem erschwert ist. Es dürfen keine Berufsmessen stattfinden, Infoveranstaltungen werden abgesagt. Wer jetzt eine Lehrstelle sucht, muss sich per Video und Internet über die Berufe schlau machen.
«14-jährige Jugendliche sind mit so einer schwierigen und lebensverändernden Aufgabe ohnehin stark gefordert», sagt Schweri. Dass man sich nicht vor Ort über die Berufe kundig machen kann, stelle sie vor weitere Herausforderungen. «So ist es schwierig, ein Gspüri für den Beruf zu entwickeln.» (bzbasel.ch)