Vor einer Woche hat sich in der Ostschweiz eine Geschichte abgespielt, die für einige Schlagzeilen sorgen sollte. In der St.Galler Innenstadt hielt ein Mann ein Schild in die Höhe, auf dem geschrieben stand: «Achtung!!! Kauft nicht bei Juden – Version 2019?». Mit dem Finger zielte der Mann auf zwei Personen, die sich in seiner Nähe aufgestellt hatten und ebenfalls Schilder mit sich trugen.
Hintergrund der Geschehnisse ist eine Auseinandersetzung, die schon länger in Städten ausgetragen wird. Es geht um die Standaktionen von Organisationen wie dem CCHR, Narconon oder Dianetik. Dabei handelt es sich laut Sektenexperten um Tarnorganisationen von Scientology.
Untergruppen, die unter anderem Namen auftreten und letztlich dazu dienen, die Lehre der Sekte zu verbreiten. Und es geht um ein Ehepaar aus dem Baselbiet, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Passanten darüber aufzuklären – und damit den Unmut der Standbetreiber auf sich zieht.
«Wir wollen so viele Menschen wie möglich vor Scientology retten», sagt Yolanda Sandoval Künzi. Seit Juni dieses Jahres tourt sie mit ihrem Mann durch die Schweiz. Immer wieder kommt es dabei laut den beiden zu Anfeindungen durch die Standaktionenveranstalter. Am Samstag gipfelte dies im Schild mit dem Nazi-Vergleich. Die Behörden klären derzeit, ob es gegen das Gesetz verstösst.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Frage, wie die Schweizer Städte mit Scientology und seinen Tarnorganisationen umgehen sollen. Diese sind in grösseren und vielen kleineren Städten präsent. Nicht überall gibt man auf Anfrage die Zahl der Standaktionen detailliert preis. Bern etwa kann gar keine Angaben machen. In Zürich kam es 2018 zu 68 Standaktionen von Scientology oder einer Untergruppe. Luzern weist seit 2015 die Zahl von 50 aus; St.Gallen zählt für 2018 insgesamt 30 Auftritte von Scientology und 6 der Bürgerrechtskommission für Menschenrechte (CCHR), laut Sektenexperten eine der Tarnorganisationen von Scientology.
Im Umgang mit Scientology ist der Handlungsspielraum der Städte begrenzt. Wer eine Standaktion durchführen will, kann sich auf Grundrechte wie die Religions- oder die Wirtschaftsfreiheit berufen; ein Verbot wäre widerrechtlich. Bleibt als Hebel die Bewilligungspraxis. Städte können etwa Kontingente einführen – also die Zahl der Standaktionen beschränken – oder Auflagen machen. Diese Instrumente setzen sie unterschiedlich ein. Während die Grossstadt Zürich pro Organisation und Jahr 48 Standaktionen gewährt, sind es in Luzern 12. Andere Städte, etwa St.Gallen, kennen keine Kontingente.
Sektenexperte Georg Otto Schmid von der evangelischen Informationsstelle relinfo findet, dass die Städte zu wenig aus ihrem Handlungsspielraum machen. Er fordert zahlenmässig klare und kleinere Kontingente als heute. Und er verlangt auch, dass die Städte alle Scientology-Aktivitäten – auch die von Tarnorganisationen – zum gleichen Kontingent rechnen. «Sonst erziehen wir Scientology dazu, die Strategie mit den Untergruppen weiterzuführen», sagt er. Sein Ziel: Die Einschränkung der Aktivitäten von Scientology. Susanne Schaaf von der Fachstelle für Sektenfragen verlangt «klare Transparenz». Dass dort, «wo Scientology drin ist, auch Scientology draufstehen soll, und zwar auch bei allen Unterorganisationen». Ihr schwebt eine gut sichtbare Deklaration am Stand vor.
Bei den Städten reagiert man wenig begeistert auf die Forderungen. Das Stadtzürcher Sicherheitsdepartement schreibt, Vereine dürften ihre Meinung an Standaktionen kundtun, unabhängig davon, ob sie ähnliche Ziele verfolgten wie andere Vereine. Kurt Fluri, Stadtpräsident von Solothurn und Präsident des Städteverbands, warnt vor «unverhältnismässigem Aufwand». Der FDP-Nationalrat sagt, der aufgeklärte Bürger sei selbst in der Lage, die Scientology-Lehre zu durchschauen.
Bei Scientology wehrt man sich gegen den Ruf nach schärferen Regeln. Jürg Stettler, Präsident von Scientology Zürich, bestreitet auch die Darstellung, dass es sich bei CCHR oder Narconon um Tarnorganisationen handelt: «Das sind eigenständige Vereine. Wer sie zu Scientology rechnet, müsste etwa die Caritas als Untergruppe der katholischen Kirche bezeichnen.»
Welch eine Doppelmoral. Bei Wahlen und Abstimmungen wird mit Desinformation und Manipulation gearbeitet, dass es kracht. ("Verlust von Arbeitsplätzen!" "Steigende Kriminalität!") Die Parteien, die so vorgehen, wissen genau, dass das funktioniert. Aber wenn es darum geht, die Menschen vor den manipulativen Methoden von Sekten zu schützen, verweisen sie scheinheilig auf die mündigen Bürgerinnen und Bürger.