Köbi Kuhn berichtet in seiner morgen erscheinenden Autobiografie, er sei in seiner Jugend sexuell missbraucht worden, von einem älteren Kollegen während seiner Zeit bei seinem ersten Verein. Lange habe er geschwiegen, auch aus Scham. Doch als er die Vereinsleitung damit konfrontierte, nachdem 2016 Missbrauchsdiskussionen durch die Medien gingen, sei ihm mitgeteilt worden, dass der Mann noch immer in der Jugendarbeit im Klub engagiert sei. So schildert es die Zürcher Fussballlegende Kuhn in einem Vorabdruck seines Buchs, der gestern im «Blick» erschien.
Kuhns erster Verein war der Zürcher Quartierklub FC Wiedikon, dem er mit elf Jahren beitrat. Wegen seines Talents durfte er damals schon bei den 12- bis 15-Jährigen mitspielen. FCW-Präsident Roger Ansorg wies gestern Kuhns Darstellung, wonach Kuhn die Vereinsleitung wegen des Missbrauchs 2016 kontaktierte und erfuhr, dass der Mann noch immer in der Jugendarbeit des Klubs tätig sei, auf Anfrage zurück: «Ich habe davon erst heute aus dem ‹Blick› erfahren», so Ansorg. «Seit dem Legendenspiel zur Einweihung unseres neuen Kunstrasens hatte ich keinen Kontakt mehr mit Köbi Kuhn.» Das Spiel fand im Juni 2013 statt.
Auch im Vereinsvorstand sei Kuhns Missbrauchsgeschichte nie ein Thema gewesen, sagt Ansorg, der den FC Wiedikon seit einem Jahrzehnt präsidiert. Schon allein aufgrund des Alters könne es nicht sein, dass der ältere Kollege, der Kuhn in jungen Jahren missbraucht haben soll, noch immer in der Jugendarbeit des Klubs tätig sei: «Keiner unserer Funktionäre ist älter als Köbi Kuhn. Das war auch schon 2016 so.» Und: «Wenn mir Derartiges zu Ohren käme, dürfte die betreffende Person sicher nicht mehr mit Kindern arbeiten und würde sofort aus dem Verein ausgeschlossen», sagt Ansorg.
Er betont, dass der FC Wiedikon die Vorgaben des Fussballverbands zum Schutz der Kinder vor sexuellem Missbrauch strikt befolge: «Alle unsere Trainer müssen eine entsprechende Erklärung unterschreiben.» Ansorg verweist auch darauf, dass sich der Missbrauch gemäss Kuhns Schilderung ausserhalb des Trainings im privaten Umfeld ereignet haben soll.
Kuhn wollte sich gestern auf Anfrage dazu nicht äussern. Er habe im Buch alles gesagt, liess der 75-Jährige durch Sherin Kneifl, die Co-Autorin seiner Autobiografie, ausrichten. Dort schildert er die Vorfälle wie folgt: «Als Frischling bei meinem ersten Verein freundete sich ein älterer Kollege mit mir an. Er war nett zu mir und lud mich eines Nachmittags zu sich nach Hause ein. Törichterweise bin ich mitgegangen. Denn als wir allein waren, hat er mich benutzt, um sich selbst zu befriedigen und mich gezwungen mitzumachen.»
Und weiter: «Als 2016 derartige Fälle von Missbrauch im Fussball geballt in den Schweizer Medien geschildert wurden, konnte ich nicht mehr schweigen. Ich habe meiner Frau von meinem traumatischen Erlebnis erzählt. Daraufhin schrieben wir an die Vereinsleitung, um etwas über den Verbleib der Person zu erfahren und bestenfalls einen Kontakt zu bekommen. Man teilte uns mit, dass dieser Mann noch heute ehrenamtlich in der Jugendarbeit im Klub engagiert ist!»
Auch Peter Spahni, Vorstandsmitglied und langjähriger Leiter der Juniorenabteilung des FC Wiedikon, widerspricht Kuhns Darstellung. Der ehemalige FCZ-Star und Ex-Nationalmannschafts-Trainer habe ihn zwar 2016 im Zusammenhang mit Vorarbeiten zu seiner Autobiografie kontaktiert. Dabei habe Kuhn auch den Missbrauchsvorfall mit einem etwa drei Jahre älteren Wiediker Fussball-Kollegen aus Jugendzeiten angesprochen. Doch besagter Kollege sei schon seit rund 20 Jahren nicht mehr Funktionär des FC Wiedikon und danach bis vor vier Jahren nur noch sporadisch als Helfer im Küchenbereich bei Vereinsanlässen im Einsatz gewesen.
Je nach Perspektive sieht die Geschichte anders aus. In Kuhns Autobiografie endet die Episode mit den Worten: «Man hat mich abgekanzelt, hinterfragt, warum ich erst jetzt, nach all den Jahren komme. Trotzdem hoffe ich, dass meine Offenheit etwas bewirkt. Wer Verantwortung im Fussball übernimmt, muss diese auch wahrnehmen. Zumindest gibt es mittlerweile ein Konzept in dem Verein gegen sexuellen Missbrauch. Die Schutzwirkung soll jährlich überprüft werden.»
Na gut, dann kann ja wirklich nichts mehr passieren.