Schweiz
Ständerat

Eine erste Machtdemonstration der Bauern in der neuen Legislatur

Eine erste Machtdemonstration der Bauern in der neuen Legislatur

Nach dem Ständerat spricht sich auch der Nationalrat dafür aus, dass die Landwirte erst ab 2025 mehr Flächen für die Biodiversität reservieren müssen. Die Linken wittern bereits einen Geheimplan, der noch weiter gehen soll.
05.12.2023, 05:46
Chiara Stäheli / ch media
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Zur Förderung der Biodiversität auf Ackerflächen sollen die Bauern Weiden extensiv nutzen oder Blühstreifen anlegen.
Zur Förderung der Biodiversität auf Ackerflächen sollen die Bauern Weiden extensiv nutzen oder Blühstreifen anlegen.Bild: Walter Schwager

Viel Zeit zum Anstossen blieb den neu gewählten Nationalrätinnen und Nationalräten nach der Vereidigung nicht: Gleich zwei Sachgeschäfte standen am Montagabend nach den Festlichkeiten auf der Traktandenliste der grossen Kammer. Besonders das eine hat es in sich – wohl auch, weil es ein grundsätzliches Spannungsfeld offenbart. Seit Jahren setzen sich Umweltschutzorganisationen für mehr Biodiversität in landwirtschaftlich geprägten Gebieten ein, ebenso lange wehrt sich der Bauernverband dagegen.

Kern der neuesten Auseinandersetzung ist eine Bestimmung aus dem landwirtschaftlichen Verordnungspaket 2023. Diese sieht vor, dass Landwirtinnen und Landwirte auf ihren Äckern künftig mehr Flächen zugunsten der Biodiversität ausscheiden sollen. Wer einen Hof mit mehr als 3 Hektaren offener Ackerfläche besitzt, muss künftig mindestens 3,5 Prozent dieser Fläche für die Biodiversität reservieren und dort etwa Blühstreifen ansäen oder Hochstamm-Obstbäume pflanzen.

Zwar scheiterten zuletzt im Parlament mehrere Versuche, welche die Anforderung gänzlich streichen wollten. Doch um den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung wird noch immer gestritten. Dazu muss man wissen: Eigentlich hätte die 3,5-Prozent-Regel bereits ab Anfang 2023 gelten sollen. Doch der Bundesrat hat die Einführung «aufgrund der unsicheren Versorgungslage wegen des Ukrainekriegs» um ein Jahr verschoben – auf den 1. Januar 2024.

Nationalrat folgt dem Ständerat

Nun fordern bauernnahe Vertreter im Parlament, das Inkrafttreten um ein weiteres Jahr zu verschieben. Schliesslich seien noch viele Fragen in Bezug auf die Umsetzung in der Praxis offen – etwa, was alles den Biodiversitätsförderflächen angerechnet werden kann. Einer entsprechenden Motion von Ständerätin Esther Friedli (SVP/SG) hat die kleine Kammer bereits zugestimmt – entgegen dem Antrag des Bundesrats. Dieser sieht in einer erneuten Verschiebung einen Verstoss gegen Treu und Glauben: «Betriebe, die bereits gehandelt haben, würden bestraft.» Ohnehin, so der Bundesrat, werde er «die Praxistauglichkeit der Massnahme im nächsten Jahr evaluieren, den Handlungsbedarf abklären und falls notwendig Anpassungen prüfen».

Wirtschaftsminister Guy Parmelin vermochte den neu zusammengesetzten Nationalrat allerdings nicht zu überzeugen. Gleich am ersten Tag der neuen Legislatur demonstrierte die schlagkräftige Gruppe der bauernnahen Politiker ihre Macht. Der Nationalrat hat dem erneuten Aufschub mit 119 zu 68 Stimmen zugestimmt. Nationalrat und Landwirt Marcel Dettling (SVP/SZ) argumentierte damit, dass die Landwirte schon heute «drei Mal mehr für die Biodiversität tun als vom Staat gefordert». Er erklärte zudem, dass die Angst unbegründet sei, wonach Bauern abgestraft würden, welche die Massnahmen bereits umgesetzt haben. Der Bund entrichte die dafür vorgesehenen Beiträge ohnehin.

Will der Bauernverband die Vorgabe ganz abschaffen?

Eine Minderheit um Nationalrätin Kathrin Bertschy (GLP/BE) hat sich vergeblich gegen die Motion gestellt. Sie verwies darauf, dass die 3,5-Prozent-Regel wichtig sei, um «die Biodiversität zu schützen und die Wirtschaftsgrundlage der Bauern zu erhalten». Zudem sei es «demokratisch fragwürdig», ein gegenüber der Stimmbevölkerung gemachtes Versprechen erneut zu verzögern oder gar zurückziehen zu wollen.

Denn unter der Linken wird befürchtet, dass die Bauern rund um Verbandspräsident Markus Ritter die Massnahme nur aufschieben wollen, um sie im nächsten Jahr dann gänzlich zu streichen. Dem widersprach Olivier Feller (FDP/VD) als Berichterstatter der vorberatenden Kommission: «Die Wirtschaftskommission stellt die Umsetzung der Vorgabe nicht infrage.» Unklar ist, ob das Ritter und der Bauernverband gleich sehen. (aargauerzeitung.ch)

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26 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fritz Spitz
05.12.2023 07:09registriert Juli 2014
Diese Bauernlobby ist echt ein Problem für die Entwicklung der Schweiz, die haben zu viel Einfluss und blocken alles ab, was irgendwie mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Weil sie kurzfristig denken und auf Geld fokussiert sind.
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Chrisbe
05.12.2023 07:05registriert Oktober 2019
Die Bauern machen grade einmal 2% der Bevölkerung aus, haben in der Politik aber eine Macht, als wären sie die Mehrheit 🤔
Irgendetwas stimmt da nicht!
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Yolo
05.12.2023 07:58registriert Mai 2015
Deshalb wähle ich keine Partei, die den Besitzstand der Bauern so vehement verteidigen... Die Bauern haben zu viel Macht und bekommen zu viele Subventionen für das, was sie tun.
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