Ein hoher Strafverfolger in einem Kanton sagt: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein General wankt». Will heissen: Dass sich ein kantonaler Generalstaatsanwalt um die Nachfolge von Bundesanwalt Michael Lauber bewirbt. Dabei wäre jetzt, nach den schlechten Erfahrungen mit Lauber und seinen nicht protokollierten Treffen mit Parteivertretern, eine Person gefragt, die Erfahrung hat im Führen einer grossen Strafverfolgungsbehörde.
Am 16. Dezember, so die ursprüngliche Planung, sollte die Bundesversammlung den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Lauber wählen. Doch dazu kommt es nicht, die Wahl wird auf nächstes Jahr verschoben. Auf eine erste Stellenausschreibung hin hatten sich sechs Personen beworben, zwei kamen in die Schlussrunde. Aber keiner der beiden, weder der Genfer Generalprokurator Olivier Jornot noch der Staatsanwalt des Bundes Andreas Müller, vermochten die Gerichtskommission (GK) des Parlaments offenbar vollends zu überzeugen. Die GK unter FDP-Ständerat Andrea Caroni teilte mit: Keiner der beiden Kandidaten bringe «sämtliche persönlichen und beruflichen Fähigkeiten mit», die es «für ein derart exponiertes Amt braucht».
Jetzt wurde die Stelle erneut ausgeschrieben, mit dem exakt gleichen Beschrieb. Aber nach Jornots Schiffbruch werden sich, so Beobachter, gut qualifizierte Anwärterinnen und Anwärter erst recht hüten, ihre Ambitionen anzumelden. Zu gross ist das Risiko, öffentlich unterzugehen.
So ist die Hauptfrage, die sich mögliche Lauber-Nachfolger zunehmend stellen: Bringt die Gerichtskommission die Fähigkeit mit, die Wahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin erfolgreich vorzubereiten?
«Weshalb durchleuchtet man nicht zuerst die Strafjustiz und die Aufsicht des Bundes, bevor man die Stelle erneut ausschreibt?», fragt ein Ermittler. Warum definiere die Politik nicht zuerst, was sie eigentlich genau wolle an der Spitze der Bundesanwaltschaft. «Braucht man einen Macher? Einen Koordinator? Einen Staatsschützer? Einen Wirtschaftsstaatsanwalt? Einen Minimalkompetenzler? Eine Combo?»
Fragen über Fragen.
Aber vielleicht hat der Wahnsinn System. Vielleicht will man diese Fragen im Augenblick gar nicht beantworten. Es gibt Hinweise, dass einige Kommissionsmitglieder nicht ohne Hintergedanken gegen Jornot und Müller eintraten. Weil sie aus politischem Kalkül die Bahn für einen bestimmten anderen Kandidaten freimachen wollten.
Dieser mögliche Kandidat heisst Thomas Würgler (65), er war bis Anfang 2020 während mehr als zehn Jahren Kommandant der Kantonspolizei Zürich. Jetzt, nach seiner Pensionierung, ist er wieder als Rechtsanwalt tätig – als Partner in der Zürcher Kanzlei Umbricht Anwälte.
Würgler werde von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi derzeit im Hintergrund «vehement gepusht». Das erzählt man sich dieser Tage in den Wandelhallen im Bundeshaus. Aeschi ist selbst Mitglied der Gerichtskommission.
Würgler, dessen Frau für die SVP als Oberrichterin amtet, war einst Staatsanwalt für Wirtschaftsdelikte in Zürich – dort arbeitete er in der Abteilung internationale Rechtshilfe und Geldwäscherei mit David Zollinger zusammen.
Hier schliessen sich verschiedene Kreise. Der ehemalige Wegelin-Banker Zollinger wiederum ist ein Bekannter des abgetretenen Bundesanwalts Lauber und vor allem ist er derzeit der Anwalt von Fifa-Chef Gianni Infantino. Dieser ist wegen seiner Geheimtreffen mit Lauber im Berner Nobelhotel Schweizerhof im Visier des vom Parlament und der Aufsichtsbehörde eingesetzten Sonderermittlers Stefan Keller. Das Verfahren richtet sich auch gegen Lauber.
Zum Profil von Thomas Würgler passt, dass die Gerichtskommission Ende November gleichzeitig mit der Absage an Jornot und Müller beschloss, «die Kommissionen für Rechtsfragen einzuladen, die Rechtsgrundlagen dahingehend zu ändern, dass die Alterslimite für die Stelle der Bundesanwältin bzw. des Bundesanwalts auf 68 Jahre angehoben wird.» So könnte die Bahn freigemacht werden für einen Übergangs-Bundesanwalt im Rentenalter. Für einen wie Thomas Würgler.
Die SVP respektive ihr Bankenflügel um Thomas Matter hatte den betont finanzplatzfreundlichen Lauber immer vehement unterstützt und ihm noch im September 2019 zur Wiederwahl verholfen. Laubers Vorgänger Erwin Beyeler war noch von SVP-Justizminister Christoph Blocher ins Amt gehievt worden.
Versucht die SVP jetzt, den mit aussergewöhnlicher Macht ausgestatteten Posten des Bundesanwalts in ihrem Einflussbereich zu halten? Thomas Aeschi wollte auf Anfrage «nicht bestätigen», dass Würgler ein Thema ist.
Würgler selbst antwortete bis Redaktionsschluss dieses Artikels nicht auf eine E-Mail-Anfrage zur Sache.
c_meier
Butschina
Purscht