Energiewende und Waffenlieferungen: So wollen sich Parteien im Ukraine-Krieg profilieren
Der Nationalrat hat am Montag entschieden, das Armeebudget bis 2030 um zwei Milliarden Franken zu erhöhen. Der Entscheid ist eine direkte Folge des Krieges in der Ukraine. Es ist die bislang konkreteste Änderung in der Schweizer Politik, hervorgerufen durch den russischen Angriff.
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt viele Interessensgruppen und Parteien. Greenpeace etwa startete am Montag die Kampagne «Solar for Peace» - für mehr Solarenergie. Und der Schweizerische Bauernverband findet die Massnahmen zur Reduktion des Pestizideinsatzes angesichts des Krieges in der Ukraine unverantwortlich. Kurzum: Der Krieg ist überall in der Schweizer Politik. Was machen die Parteien draus?
SVP: Partei der Putin-Versteher oder letzte Anwälte der Neutralität?
Das fordert die SVP:
- Mit weniger Steuern auf Treibstoffe das Portemonnaie der «hart arbeitenden Menschen in der Schweiz» entlasten: Das verlangte die SVP bereits wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine, als die Öl-, Diesel- und Benzinpreise rasant anstiegen. Seither bewirtschaftet die SVP das Thema mit mehreren Vorstössen im Nationalrat wie auch im Ständerat.
- Zudem ist die SVP die einzige grosse Partei, welche die Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt. Diese würden die Schweizer Neutralität verletzen, lautet der Tenor in der Volkspartei. Alt Bundesrat und SVP-Doyen Christoph Blocher will nun eine Volksinitiative zur Neutralität lancieren, die Sanktionen generell als mit der Neutralität unvereinbar ausschliessen würde. Die SVP setzt sich auch ein für ein höheres Armeebudget.
Das will die Partei erreichen:
- Mit der geforderten Treibstoffsteuersenkung richtet sich die SVP explizit an den Mittelstand und das Gewerbe, als deren Fürsprecher sich die Partei sieht. In der Neutralitätsdebatte bedient die SVP einerseits Anhänger eines verklärten Bildes der Eidgenossenschaft. Andererseits jene, die entweder mit Putin sympathisieren oder seine Motive verstehen. Gemäss einer Umfrage von Tamedia im März ist dies die Hälfte der SVP-Basis.
Das sind die Stolpersteine:
- Mit ihrem Verständnis von Neutralität steht die SVP ziemlich alleine da. Der Tenor bei den übrigen grossen Parteien ist klar: Sanktionen gegenüber dem Aggressor Russland verletzen die Neutralität nicht. Bekannte SVP-Exponenten wie Magdalena Martullo-Blocher, Andreas Glarner und Roger Köppel ernteten Kritik, weil sie russische Propaganda übernahmen. Ist das noch neutral? Das darf zumindest stark bezweifelt werden.
SP: Kampf gegen die Lieblingsfeinde Banken und Oligarchen
Das fordert die SP:
- Man müsse russischen Oligarchen den Geldhahn zudrehen, fordert die SP seit Kriegsausbruch. Nun geht sie sogar noch weiter: Die Schweiz soll die russischen Gelder auf Schweizer Bankkonten einziehen und der Ukraine zukommen lassen.
- Die SP prangert die «Taten- und Verantwortungslosigkeit» der Schweizer Behörden an, welche die Sanktionen in den sozialdemokratischen Augen zu lasch umsetzen. Die Partei setzte sich auch ein für Sanktionen im Bereich des Rohstoffhandels und will die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren. Zudem fordert die Partei Solidarität mit den Geflüchteten und organisiert Demonstrationen für den Frieden.
Das will die Partei erreichen:
- Oligarchen und Banken sind die Lieblingsfeinde der SP, welche sie nun im Namen der sozialen Gerechtigkeit ins Kreuzfeuer nimmt. Von Anfang an versuchte die Partei (teils erfolgreich), die grosse Solidarität der Schweizer Bevölkerung mit den Geflüchteten für sich zu vereinnahmen. So konnte man bei der SP gratis regenbogenfarbige Friedensfahnen bestellen, wodurch die Partei im Gegenzug an viele Adressen von potenziellen Unterstützerinnen und Unterstützern kam. Einen ersten Erfolg feierte die SP in der Umweltkommission des Nationalrates: 10’000 Franken soll jeder Haushalt vom Staat erhalten, der seine fossile Heizung gegen eine Öko-Variante austauscht.
Das sind die Stolpersteine:
- Mit Tricks wie der Fahnenaktion, um an Adressen zu kommen, muss die SP vorsichtig sein: Es schadet der Glaubwürdigkeit, wenn man den Krieg allzu offensichtlich für den eigenen Wahlkampf benutzt.
- In Fragen der Aufrüstung und Waffenlieferungen ringt die SP um eine klare Position: Man gibt sich gesprächsbereit, doch verharrt in Passivität. Auch die Forderung, russische Gelder einzuziehen, ist heikel und mit rechtsstaatlichen Prinzipien schwer vereinbar – sogar die Grünen reagierten skeptisch auf den SP-Vorschlag.
FDP: Trendthemen wie Nato-Debatte und Armeebudget besetzen
Das fordert die FDP:
- Eine «sehr viel engere Zusammenarbeit» mit der Nato will FDP-Präsident Thierry Burkart. Einen Nato-Beitritt lehnt die Partei ab, doch sie würde die Teilnahme an mehreren Nato-Programmen begrüssen. Die Schweiz könne sich nicht alleine vor allen Bedrohungen schützen. Es brauche mehr internationale Zusammenarbeit, so die Argumentation. Zudem fordert die FDP gemeinsam mit den anderen bürgerlichen Parteien ein höheres Budget für die Schweizer Armee.
Das will die Partei erreichen:
- Wäre eine Annäherung an die Nato vor wenigen Jahren noch hochumstritten gewesen, scheint sie nun eine logische Folgerung des Kriegsausbruchs zu sein. Andere neutrale Länder wie Finnland und Schweden, die sich aufgrund ihrer geografischen Lage von Russland stärker bedroht fühlen, streben gar einen Nato-Beitritt an.
- Mit dem Sicherheitspolitiker Thierry Burkart an der Spitze will sich die FDP in Sicherheitsfragen profilieren. Eine Debatte über das Verhältnis der Schweiz zur Nato kommt da gerade recht. Auch die Forderung nach einem höheren Armeebudget, die zum rechts-bürgerlichen Standardprogramm gehört, hat viel bessere Chancen als vor Kriegsausbruch – am Montag sprach sich auch der Nationalrat dafür aus. Dieses Momentum weiss die FDP für sich zu nutzen.
Das sind die Stolpersteine:
- Burkarts Pläne führten zu einem schleichenden Nato-Beitritt, kritisierte SP-Präsident Cédric Wermuth. Wie soll eine engere Zusammenarbeit mit der Nato ohne Beitritt aussehen? Bis zu welchem Punkt ist das mit der Neutralität vereinbar? In diesen Fragen bleibt Burkart vage und beruft sich lediglich auf einen «flexiblen Neutralitätsbegriff».
Mitte: Endlich gute Aussichten für Amherds Kampfjets
Das fordert die Mitte:
- Ähnlich wie die FDP fordert auch die Mitte eine Aufstockung des Armeebudgets und – natürlich – die möglichst rasche Beschaffung von neuen Kampfjets. Bis vor kurzem war es das Problemgeschäft von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd, nun spielt der Ukraine-Krieg den Kampfjet-Befürwortern in die Hände.
- Für Aufsehen sorgte Mitte-Präsident Gerhard Pfister, als er vorschlug, dass der Bundesrat die Lieferung von Schweizer Munition via Deutschland an die Ukraine erlauben solle. Dies nicht zu tun, sei «unterlassene Hilfe» des Bundesrates, twitterte Pfister. Damit befeuerte er die Debatte über Kriegsmateriallieferungen und deren Vereinbarkeit mit dem Schweizer Gesetz und der Neutralität.
Das will die Partei erreichen:
- Es wäre zum Wohlgefallen der Mitte und Amherds, wenn die Kampfflugzeuge schon im Sommer durchs Parlament gebracht würden, wie es die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats will. Ebenso scheint Präsident Pfister eine Chance zu wittern, die Mitte hinsichtlich eines neuen, flexiblen Neutralitätsbegriffs als pragmatische Kraft zu positionieren – im Schulterschluss mit der FDP. Pfister fordert eine wertebasierte Neutralität. Er wird zudem nicht müde, dem Bundesrat in dieser Krise Führungsschwäche vorzuwerfen.
Das sind die Stolpersteine:
- Allzu übermütig darf die Mitte ob der günstigen Vorzeichen nicht werden: Bundesrätin Amherd erntete harsche Kritik, als sie den Rückzug der Volksinitiative gegen die Beschaffung von Kampfjets forderte. Manche sahen darin einen Eingriff in den direktdemokratischen Prozess.
- Mitte-Präsident Pfister muss sich den Wendehals-Vorwurf gefallen lassen. Erst im letzten Herbst wurde das Kriegsmaterialgesetz verschärft: Waffenexporte an Länder, die in Kriege verwickelt sind, sind ohne Ausnahme verboten – bei diesem Beschluss war die Mitte das Zünglein an der Waage. Dass nun plötzlich alles anders sein soll, sorgt auch parteiintern für Kontroversen.
Grüne: Wo ist im Krieg die Rolle der Friedenspartei?
Das fordern die Grünen:
- «Erneuerbare Energien sind Friedens- und Freiheitsenergien», lautet das aktuelle grüne Motto. Fossile Treibstoffe seien nicht nur klimaschädlich, sondern würden die Schweiz auch von autoritären Staaten wie Russland abhängig machen. Deshalb fordern die Grünen «dringender denn je» die grüne Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Gemeinsam mit der SP lancieren die Grünen eine Klimafonds-Initiative, die mehr Geld für Klimaschutz und Biodiversität verlangt.
Das will die Partei erreichen:
- Mit dem Krieg werden Forderungen salonfähig, die den grünen Interessen diametral zuwiderlaufen – etwa nach Aufrüstung oder Treibstoffsubventionen. Die Grünen müssen aufpassen, bei den Kriegsthemen nicht ins Abseits gedrängt zu werden. Umso unermüdlicher bearbeiten sie nun ihre Hauptthemen Klimaschutz und Energiewende.
Das sind die Stolpersteine:
- Aufrüstung ist en vogue, man diskutiert bis in linke Kreise hinein über Waffenlieferungen an die Ukraine: schlechte Zeiten für die Grünen, die sich selbst als Friedenspartei sehen. Ihre Mahnung, Aufrüstung schaffe bloss eine Scheinsicherheit für die kleine Schweiz, verhallt ungehört. Es scheint, als würden die Grünen an den Hauptsorgen der Bevölkerung vorbeipolitisieren.
GLP: Radikale Forderung bei Kriegsmateriallieferungen
Das fordert die GLP:
- Am Tag des Kriegsausbruchs verlangte die GLP bereits, die Schweiz müsse EU-Sanktionen übernehmen. Im Krieg sei es noch wichtiger, dass die Schweiz näher an Europa rücke.
- Dann positionierte sich die GLP in der Frage der Waffenexporte: Sicherheitspolitiker Beat Flach forderte, diese zu erlauben, wenn sich eine Demokratie auf eigenem Territorium verteidigen müsse. Man solle Rüstungsgüter nur noch an Demokratien liefern, «die die Menschenrechte respektieren», nicht aber an Länder wie Saudi-Arabien. Die Erhöhung des Armeebudgets lehnte die GLP ab. Sie findet die Verknüpfung von Militärausgaben und Bruttoinlandprodukt unsinnig.
Das will die Partei erreichen:
- Zwischen der Mitte und der FDP hat es die kleinere GLP nicht einfach, als eigenständige Stimme wahrgenommen zu werden. Darum setzt die GLP auch mal auf eher exzentrische Forderungen wie jene von Flach, die dafür viel Echo auslösen. Ausserdem betont sie besonders die proeuropäische Haltung, die sie von anderen Parteien abhebt.
Das sind die Stolpersteine:
- Laut einem Politikwissenschaftler steht Flachs Vorschlag nicht nur im Widerspruch zur Neutralität, sondern wirke auch «sehr unausgereift». Auffällig ist auch, dass die GLP Schweiz nach der ersten Mitteilung zum Kriegsausbruch keine einzige weitere Mitteilung zum Krieg veröffentlichte. Präsident Jürg Grossen bleibt unsichtbar. Es scheint, als täte sich die GLP mit der richtigen Kommunikationsstrategie schwer.