Es geht hoch zu in der «Arena». SVP-Nationalrat Christian Imark wirft dem Schweizer Fernsehen vor, eine Statistik zur Klimaerwärmung zurechtgebogen zu haben. Kurz darauf hält auch er eine Grafik in die Kamera. Die Befürworter des CO2-Gesetzes sagen, sie entspringe mehr Imarks Fantasie als den Fakten.
Moderator Sandro Brotz lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Bis Mitte Juni gibt es eine ganze Serie von «Arena»-Sendungen zu kontroversen Abstimmungsvorlagen. Es ist eine Bewährungsprobe für Brotz, der vor kurzem selber eine Kontroverse auslöste.
Das kam so: Sogenannte Coronaskeptiker trafen sich zu einer illegalen Kundgebung in Liestal. Brotz warf ihnen auf Twitter vor, dass sie damit zur Ausbreitung des Virus beitrügen. Und er bezeichnete sie als «Flat Earther», Flacherdler, also als Verschwörungstheoretiker.
Jene, die gegen #Corona-Massnahmen demonstrieren, sind dieselben, die nicht dagegen demonstrieren müssten, wenn sie die Massnahmen konsequent einhielten. Aber das ist dann wohl zu hoch für Flat Earther. #justsaying
— Sandro Brotz (@SandroBrotz) March 20, 2021
Brotz geriet in einen gewaltigen Shitstorm. Er verabschiedete sich für einige Zeit aus den sozialen Medien.
Nun sitzt er auf der Terrasse einer Pizzeria in der Nähe der Studios von SRF in Zürich und sagt, die Reaktionen seien von einer Heftigkeit gewesen – das müsse er sich nicht antun. Es habe Drohungen gegen ihn gegeben.
Kollegen am Leutschenbach finden, dass Brotz ja nicht unrecht gehabt habe mit seinem Tweet. Aber als Moderator eines gebührenfinanzierten Senders sollte er sich zurückhalten mit politischen Einlassungen. Das Geltungsbedürfnis gehe manchmal durch mit Brotz. Er sei eitel. Sehr.
Der Moderator bestellt einen gemischten Salat, als Hauptspeise. Er wägt seine Worte ab. Die Bemerkung zu den Corona-Demonstranten sei im zweiten Teil missglückt. Und: «Ja klar bin ich eitel. Jeder, der seinen Kopf in die Kamera hält, ist es.»
Sandro Brotz machte eine kaufmännische Lehre. Mit 18 begann er seine Laufbahn in den Medien, als Volontär bei der «Vorstadt», dem Quartierblatt Oerlikons. Es gibt Redaktoren, die sagen, dass Brotz manchmal schwer trage an seinem kleinen Schulsack. Wenn er sich bisweilen allzu sehr in den Vordergrund dränge, hänge das damit zusammen, dass er kein Studierter unter Studierten sei.
Brotz wechselte die Stelle oft. Er galt als Wanderniere der Schweizer Medienbranche, arbeitete beim Fernsehen, beim Radio, der Presse. Und er arbeitete viel. 2008 startete Roger Schawinskis den Sender Radio 1 und stellte Brotz als Redaktionsleiter an. Er sagt über jene Zeit:
Nach nur zwei Jahren zog Brotz weiter. Er rauchte drei Schachteln Zigaretten pro Tag, war rundlich und landete mit einer Lungenentzündung im Spital. Wo ihm ein Arzt das baldige Ableben in Aussicht stellte, wenn er seinen Lebenswandel nicht ändere.
Brotz fiel von einem Extrem ins andere. Er joggte durch die Gegend, fast täglich, und war bald auf den Teilnehmerlisten von Marathonläufen zu finden und auch bei Triathlons. Brotz ist nicht mehr füllig, sondern drahtig. Der gemischte Salat auf der Terrasse ist im Nu weg; Brotz schaut ernüchtert auf den leeren Teller. Er könnte etwas nachbestellen, tut es aber nicht.
Wegen seines Tweets über Corona-Demonstranten gerät Brotz nun von einem Teil der SVP unter Beschuss. Er habe sich als Ringrichter disqualifiziert, schreibt die «Weltwoche». Sie möchte ihn weghaben aus der «Arena».
Die Attacke hängt mit einem Satz zusammen, den 2013 Schüler auf Schweizer Pausenhöfen nachsprachen: «Sind Sie eigentlich vom Aff bissä?» Christoph Mörgeli erkundigte sich in dieser Weise bei Sandro Brotz. Er war damals Moderator der «Rundschau» und nahm Mörgeli als Studiogast in die Mangel. Thema war die Qualität der von Mörgeli betreuten Doktorarbeiten. Brotz fragte ihn, ob er zurücktrete; der SVP-Nationalrat reagierte mit der Entgegnung aus der Welt der Primaten. Seither ist Brotz für einige Exponenten der Volkspartei ein rotes Tuch.
Wenig hilfreich war auch ein Beitrag der «Rundschau» zur Kampfjetbeschaffung, der den damaligen Verteidigungsminister Ueli Maurer in Rage brachte. Armeechef André Blattmann blamierte sich mit einer Rede, in der er von «Sandro Kotz, äh Brotz» sprach. Der Kauf neuer Jets scheiterte, Blattmann trat ab.
Es ist aber nur ein Teil der SVP, der ein Problem hat mit Brotz. Der andere lobt ihn als sehr gut vorbereitet und fair. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi findet, dass Brotz ruhiger als sein Vorgänger Jonas Projer sei und dass er den Teilnehmern der «Arena» mehr Raum lasse. «Zugleich scheint mir, dass er eine Schwäche hat für die Grünliberalen und deren Exponenten wie Nationalrätin Tiana Moser.» Brotz sagt zu diesem Vorwurf, dass er in keiner Sendung irgendeine Präferenz für eine Partei habe.
Die Wanderjahre sind vorbei, Brotz arbeitet seit bald zehn Jahren für das Schweizer Fernsehen. Er ist ein Glücksfall für den öffentlichen Sender. Brotz gibt komplizierte politische Sachverhalte in einfachen Worten wieder. Und dass er gelegentlich aneckt, ist dem Interesse des Publikums nicht abträglich.
Umso mehr erstaunt es, dass seine Lohntüte nicht tiefer ist. Brotz verdient 140'000 Franken im Jahr. Die Aushängeschilder grosser Fernsehsender im Ausland kommen auf Löhne, die viel höher liegen. Ist das nicht frustrierend?
Auf der Terrasse am Leutschenbach zieht inzwischen ein Sturm auf. Brotz wählt seine Worte wieder mit Bedacht. «Mein Lohn beschäftigt mich nicht gross. Es bringt nichts, damit zu hadern, dass ich in einem anderen Land viel mehr verdienen würde.» Das klingt gut, aber ist es auch die Wahrheit?
Nächster Versuch. Dass Sie Ihre Ausbildung nach der KV-Lehre nicht fortgesetzt haben, ist das ein Problem für Sie? Brotz legt die Stirn in Falten. «Manchmal denke ich, dass es interessant gewesen wäre, Jura oder Psychologie zu studieren. Aber damals war es so, dass ich so schnell wie möglich in die Arbeitswelt wollte.» Er sei nun zufrieden mit dem, was er mache.
Dafür spricht, dass Brotz noch einige Jahre bei der «Arena» bleiben will. Er beklagt, dass die Diskussionskultur in der Schweiz schlechter werde. «Die Klimajugend wollte in der ‹Arena› nicht mit der SVP reden und umgekehrt. Das kann es doch nicht sein.» Man müsse keinen Konsens untereinander finden, aber wenigstens andere Argumente respektieren.
Dass sein Corona-Tweet kein Beitrag war zur Stärkung der Diskussionskultur im Land, weiss Brotz. Die «Arena»-Sendungen zu den umstrittenen Vorlagen hat er bisher mit Bravour moderiert. Der Traum, den er hegt, hat mit dem Fernsehen aber nichts zu tun. Brotz will Autofahren lernen. Mit 51 Jahren. In seiner ersten Fahrstunde beorderte ihn der Fahrlehrer vor 30 Jahren sogleich auf eine Autobahn. Der Schreck, der Brotz in die Knochen fuhr, war so gross, dass er sich nie mehr an das Steuer eines Autos traute. (aargauerzeitung.ch)