Es gibt da diese Szene in der Kult-Komödie «Airplane». Alle drei Piloten fallen wegen einer Lebensmittelvergiftung aus. Doch zum Glück gibt es den Autopiloten, eine sich selbst aufblasende Gummipuppe, die das Steuer übernimmt - bis ihr wortwörtlich die Luft ausgeht.
Klingt verrückt? Nicht für die Luftfahrtindustrie, mal abgesehen vom Autopilot in Plastikform. Denn in absehbarer Zeit möchten Airlines ihre Flüge vermehrt durch künstliche Intelligenz durchführen lassen und dabei nur noch einen Piloten aus Fleisch und Blut an Bord haben. Das Ziel: Tiefere Kosten.
Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Fluggesellschaft Cathay Pacific aus Hong Kong zusammen mit dem europäischen Flugzeugbauer Airbus ein entsprechendes Ein-Piloten-System für Langstreckenflüge entwickeln will. «Flüge mit reduzierter Crew», wie es in der Industrie heisst. Anfang Jahr liess die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA verlauten, dass sie eine entsprechende Lockerung der Cockpit-Besatzungsregel ins Auge fasst. Und der US-Logistikkonzern Fedex hat bereits Cargoflüge mit nur einem Piloten durchgeführt.
Diese Entwicklung bereitet vielen Airline-Piloten Sorge – so auch jenen der Swiss und Edelweiss. Ihr Verband Aeropers hat deshalb nun intern einen Experten speziell mit diesem Thema beauftragt. Dabei handelt es sich um einen langjährigen Swissair- und Swiss-Piloten und studierten Informatiker. Der Langstrecken-Kapitän nimmt seit diesem Jahr auch Einsitz in der Taskforce der europäischen Pilotenvereinigung, die sich das Thema ebenfalls auf die Fahne geschrieben hat und in Brüssel für ihre Anliegen lobbyiert.
«Wir müssen stärker auf die potenziellen Gefahren dieser Entwicklung hinweisen», sagt Aeropers-Sprecher Thomas Steffen, auch er Swiss-Pilot. Für ihn ist klar: «Auch wenn die treibenden Kräfte sagen, man wolle die Flugsicherheit mit der neuen Technologie erhöhen, geht es in erster Linie ums Geld.»
Swiss-Sprecherin Karin Müller spricht von einem «möglichen, nächsten Entwicklungsschritt in der Airline-Industrie», den man mit Interesse verfolge. Die Airline stehe mit Fachleuten der Lufthansa-Gruppe in Kontakt, die zusammen mit den Flugzeugherstellern an diesem Thema arbeiten. Das Ein-Piloten-Cockpit könne noch in diesem Jahrzehnt Realität werden, sagt Müller.
Die Zuversicht beruht auf der Vergangenheit: «Die Airline-Industrie hat bereits mehrere ähnliche Effizienzschritte im Cockpit vollzogen, beispielsweise mit der Abschaffung des Funkers, Navigators und zuletzt des Flight Engineers.» Für gewisse Flugphasen sei es durchaus wahrscheinlich, dass in mittlerer Zukunft nur ein Pilot im Cockpit sitzen müsse, sagt Müller. «Bei Starts und Landungen wird es mittelfristig jedoch weiterhin zwei Piloten benötigen.» Zudem seien noch einige technische Hürden zu meistern. So müsse das autonome Fliegen gewährleistet sein, wenn die einzige Pilotin am Steuer ausfällt, und ihr Stellvertreter nicht im Cockpit, sondern in der Ruhepause ist.
Sofern die richtigen System eingesetzt werden, stehe auch das Bundesamt für Zivilluftfahrt der Entwicklung positiv gegenüber, sagt Sprecher Urs Holderegger. Für Reiseflüge sei denn auch schon bald zu erwarten, dass zu gewissen Flugphasen nur noch eine Person im Cockpit ist. Wie die Swiss verweist das Holderegger auf die schwindende Zahl an Fachkräften im Cockpit in den vergangen Jahren: «Es handelt sich um die logische Fortführung einer technischen Entwicklung, die schon vor Jahrzehnten begonnen hat.» Ob mit der Einsparung eines oder irgendwann zweier Piloten beine massive Kostensenkung erzielt werden kann, sei hingegen fraglich.
Die Aeropers-Experten rechnen damit, dass in den nächsten fünf Jahren die ersten Bewilligungen für künstliche Intelligenz zur Unterstützung im Cockpit ausgesprochen werden, allerdings noch mit zwei Piloten an Bord. Und bis 2030 hält es die europäische Flugsicherheitsbehörde EASA für realistisch, dass im Cockpit nur noch eine Person sitzt, selbst für den Start und die Landung. Und für ausserordentliche Situationen.
Insbesondere für diesen Fall, den Notfall, wird es laut Aeropers-Sprecher Steffen schwierig. «Denn was, wenn der Pilot ausfällt, und der Computer auch die Zwangslage beheben muss?» Noch sei die Technologie bei weitem nicht reif genug, insofern halte man den Zeitplan der EASA für äusserst ambitioniert. Für gewisse, unvorgesehene Situationen brauche es noch lange die menschliche, intuitive Reaktion, die sich Piloten regelmässig im Simulator aneignen würden.
«Dort, wo mehr als das automatische Abarbeiten von Checklisten gefordert ist, kann bis auf Weiteres nur der Mensch passende Lösungen finden», sagt Steffen. Komme hinzu, dass der Kapitän stets die Zweitmeinung des Co-Piloten verlangt, um die Lösungsidee kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenspiel entstehe über Jahre hinweg auch der Know-how-Transfer, der sich in einem Ein-Personen-Cockpit nicht trainieren lasse.
Aber: Tatsächlich ist oftmals menschliches Versagen die Ursache für Flugzeugabstürze. Steffen streitet dies nicht ab: «Klar, auch Piloten können Fehler machen.» Doch aus seiner Sicht machen Flugzeughersteller und Airlines einen Denkfehler: «Was nicht berücksichtigt wird, sind die zahlreichen Fälle, in denen der Mensch die Situation gerettet hat.» Der Autopilot helfe in erster Linie beim Geradeausfliegen. Studien zeigten, dass im Schnitt bei jedem fünften Flug die Piloten technische Probleme beheben müssen. «Die Technik ist nur schon heute bei weitem nicht 100 Prozent zuverlässig. Die Passagiere an Bord bekommen dies aber dank der Arbeit der Piloten fast nie mit», sagt Steffen.
Dennoch stellt sich die Frage, ob sich die Pilotenbranche nicht einfach gegen den Fortschritt wehrt. «Nein», sagt Steffen. «Irgendwann in Zukunft wird es möglicherweise gar keine Piloten mehr brauchen, aber die Einführung dieser neuen Technologien darf nicht zu Lasten der Sicherheit gehen.» Aktuell habe man nun mal den Eindruck, dass die potenzielle Kostensenkung der Haupttreiber dieser Debatte sei.
Steffen betont, dass automatisierte Computerprogramme sehr wohl die tägliche Arbeit im Cockpit erleichtern würden - im Normalbetrieb. Komme es aber zu Notfällen, sei die Bewältigung schwieriger, da die Komplexität im Hintergrund zugenommen habe. «Bei Flugzeugen der älteren Generation musste der Pilot zig Schalter in einer bestimmten Abfolge bedienen, um das Triebwerk zu starten. Heute sind es noch zwei.»
Klar sei auch, dass der Schritt von zwei zu einem Piloten an Bord, die grössere Revolution sei als von einem zu keinem, sagt Steffen. «Denn wenn der einzig verbliebene Pilot ausfällt, muss das Flugzeug sowieso schon fähig sein, alle Herausforderungen selber zu meistern, bis hin zur Landung.»
Der aufblasbare Plastik-Pilot aus «Airplane!» – schön wäre es. Steffen verweist lieber auf andere, bedrohlichere Hollywood-Filme: «Terminator» und «2001». Darin verlieren die Menschen die Kontrolle über die künstliche Intelligenz. «Was, wenn der Pilot eingreifen möchte, der Computer sich aber dagegen wehrt?» Auch mit solchen Szenarien müsse man sich auseinandersetzen. «Dann braucht es einen 'Kill-Switch', um den Computer zu umgehen.»
Als grösste Gefahr stufen die Aeropers-Experten das Thema «Cyber-Security» ein. Heute kann jeder Laie jeden Flug auf Aviatik-Apps im Detail verfolgen und sogar Teile der Funkgespräche mithören. Bei einer Fernsteuerung oder der Steuerung durch ein Softwareprogramm öffne man Tür und Tor für Hacker. «Terroristen könnten so die Flugroute manipulieren, oder schlimmstenfalls gar die Kontrolle über die Maschine übernehmen.»
Steffen verweist zudem auf das Wohlbefinden der Gäste an Bord. Rund ein Viertel aller Passagiere habe Flugangst. «Für viele von ihnen sind die Ansagen des Kapitäns wichtig, wenn dieser in Ruhe erklärt, weshalb es Turbulenzen oder einen verspäteten Abflug gibt.» Schliesslich sei er von jeder Entscheidung im Cockpit auch selbst betroffen. «Wie alle Passagier möchte auch jeder Pilot wieder sicher zu seiner Familie nach Hause kehren.» Über diese Glaubwürdigkeit werde ein Computer nie verfügen. (aargauerzeitung.ch)
Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie so eine Ansage mit der warmen Stimme von HAL-9000 wohl auf die Passagiere wirken würde. 🤔