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Die Waschbär-Jagd in der Schweiz tut sogar Jägern leid

Ausbreitung schreitet voran – aber die Waschbär-Jagd tut sogar so manchem Jäger leid

Seit den 1970er-Jahren sind sie hier: Die Waschbären. Um eine Plage wie in Deutschland zu verhindern, müssen Anwohnende Sichtungen melden und Jäger die Eindringlinge erlegen. Aber sind die Eindringlinge überhaupt noch zu stoppen?
27.02.2025, 11:3927.02.2025, 12:20
Viviane Vogel / ch media
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Wegen des Pelzes führten Menschen in den 1920er-Jahren die Waschbären in Deutschland ein, die dann in den 1930er-Jahren in die Wildnis und in den 1970-er Jahren auch in die Schweiz gelangten. Hundert Jahre später löst ein Waschbärbaby im Baselbieter Sissach den Rücktritt des Jagdaufsehers aus. Dieser hatte, wie vom Gesetz verlangt, einen Waschbären gefangen und getötet. Erst als Rolf Wirz kurz darauf ein unterernährtes Jungtier auf einem Dach findet, merkt er, dass es wohl dessen Muttertier gewesen war. Er rettet das Bärchen mithilfe der Feuerwehr und päppelt es zu Hause auf.

Waschbär mit Revolver getötet
Dieser Waschbär ging dem Jagdaufseher Werner Schaub 2024 in Füllinsdorf in die Falle. Er wurde mit einem Revolver erlegt.Bild: zvg

Eigentlich hätte er es ebenfalls erlegen müssen. Doch Wirz bringt das nicht übers Herz, denn das Junge ist handzahm. Er vereinbart mit einem Tierpark in Olten, dass der kastrierte Waschbär dort aufgenommen wird. Die Jagdverwaltung des Kantons Basel-Landschaft alarmiert jedoch die Solothurner Behörden. Schliesslich wird das Tier eingeschläfert.

Chance zur Rufverbesserung oder gefährlicher Präzedenzfall?

Wirz kann das nicht nachvollziehen und tritt aus Protest als Jagdaufseher zurück. Für ihn hätte sich die Chance geboten, zu beweisen, dass Jäger ein Herz für Tiere haben. Für die Baselbieter Jagdverwaltung kommt eine Ausnahme nicht infrage aus Sorge, einen Präzedenzfall zu schaffen. Weitere Leute könnten sich darauf berufen und versuchen, die Praxis der Einschläferung zu bekämpfen.

Liebe Schweizer, ihr habt Waschbären völlig falsch eingeschätzt

Video: watson/Emily Engkent, Aya Baalbaki

Dieses Risiko ist man nicht bereit, einzugehen, weil der Bund die Ausbreitung dieser invasiven Art in der Schweiz eindämmen will. Schon fast die ganze Alpennordseite hat der Eindringling von Deutschland herkommend eingenommen, weshalb die Jägerinnen und Jäger gesetzlich verpflichtet sind, einen Waschbären zu erlegen, wenn sie einen sehen oder fangen.

Besonders betroffen sind die Kantone Aargau, Baselland und Basel-Stadt. Nur im Tessin ist der Bandit mit den Knopfaugen noch nicht gesichtet worden. Der Gesamtbestand ist unbekannt, doch 2023 sind 44 Tiere «entnommen» worden, wie man im Fachjargon sagt – 35 davon in Baselland.

Hier sind die Waschbären in der Schweiz verbreitet:

Bild
quelle: info fauna/grafik: let

Waschbär-Jäger wider Willen

In Baselland scheint es den Räubern besonders in Füllinsdorf und Umgebung zu gefallen. Sie leben zahlreich im Revier des Jagdaufsehers Werner Schaub und haben ihn unverhofft zu einem Waschbär-Kenner gemacht, der auch schon andere Jägerinnen und Jäger informiert und beraten hat. Der 69-Jährige sagt: «Fast jede Woche meldet mir jemand eine Waschbärsichtung.»

Die Tiere schleichen in Wohnsiedlungen umher, denn was der Mensch so konsumiert, schmeckt ihnen mindestens so gut wie die Nahrung, die sie im Wald finden. Die Basler Waschbären beispielsweise können Schokoküssen nicht widerstehen.

Jagdaufseher Werner Schaub mit einer neuen Kastenfalle. Er hat sie für die Baselbieter Polizei bestellt, sodass sie auch auf Waschbärsichtungen reagieren kann.
Bild: Severin Bigler

Deshalb spielen diese Süssigkeiten auch eine wichtige Rolle bei Schaubs Waschbärjagd. Wenn Anwohnende ein Tier bemerken – «das sind freche Cheibe, die auch selten am Tag ihr Unwesen treiben» -, geht Schaub vorbei und versucht, herauszufinden, welchen Pfad der Waschbär genutzt hat. Dort stellt Schaub eine Kastenfalle auf. Auf dem Auslöser: ein Schokokuss oder andere Waschbär-Versuchungen wie gekochte Eier, Pralinen, Hundebiscuits und gedörrte Zwetschgen. Aktuell sind sechs solcher Fallen gestellt.

Die Anwohnenden müssen morgens und abends nachschauen und Schaub melden, sobald ein Waschbär in die Falle getappt ist. «Das kann bis zu einem Monat dauern, weil sie so schlau sind und die Veränderung bemerken.» Deshalb ist die Jagd auf Waschbären auch so schwierig. Der Jagdaufseher lädt dann die Falle auf sein Auto, abgedeckt von der Blache, um das Tier nicht zu stressen, und fährt mit ihm an einen abgeschiedenen Ort. Dort zielt er auf den Kopf oder Nacken und erlegt so den Waschbären.

Mit einem solchen kleinkalibrigen Revolver erlegt Jagdaufseher Werner Schaub die gefangenen Waschbären.
Mit einem solchen kleinkalibrigen Revolver erlegt Jagdaufseher Werner Schaub die gefangenen Waschbären.Bild: Severin Bigler

Der Kampf des Menschen gegen den Jö-Effekt

«Das geht einem immer ans Herz – bei jedem Tier», sagt Schaub. «Man hält inne und ist sich bewusst, dass man jetzt ein Leben beendet.» Um eine Waschbärenplage zu vermeiden, wie sie beispielsweise im deutschen Kassel derzeit stattfindet, sei das jedoch notwendig. «Dort hat man die Tiere zu lange herzig gefunden. Eine solche Invasion wollen wir in der Schweiz verhindern», sagt Schaub.

So wurden in Deutschland von 2023 bis 2024 über 230'000 Waschbären erlegt. Auch Baden-Württemberg gehört zu den Ausbreitungsgebieten. Dort wie hier bedroht der flinke Allesfresser einheimische Vögel und deren Eier, Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien. Er kann ausserdem ein Träger von Tollwut und Bandwürmern sein und richtet massive Schäden in Wohnsiedlungen an: Mit seinen flinken Händen und seinen Kletter- und Schwimmkünsten ist nichts vor ihm sicher.

Ein Waschbär in der Fotofalle in Baselland.
Ein Waschbär in der Fotofalle in Baselland.Bild: zvg

Doch Schaub merkt selbst, wie stark der Jö-Effekt auf den Menschen wirkt. «Der letzte Waschbär, der mir in die Falle ging, war beinahe handzahm», erzählt er. «Der ist eindeutig angefüttert worden.» Schaub ist sich sicher: «Wenn wir den Waschbärenbestand nicht regulieren, könnte es bei uns in fünf bis zehn Jahren auch eine Plage wie in Deutschland geben.»

Deutschland ist bereits ein Waschbärenland

Der Wille zur Eindämmung hängt auch davon ab, wie viel Erfolg man sich verspricht. Sara Wehrli, die bei Pro Natura Projektleiterin für Jagdpolitik und Grosse Beutegreifer ist, sagt: «In der Schweiz kann man der weiteren Ausbreitung noch versuchen, Einhalt zu gebieten.» In deutschen Ausbreitungsgebieten wie Baden-Württemberg und Hessen gelte der Waschbär jedoch mittlerweile als einheimisch. Eine Ausmerzung sei dort nicht mehr realistisch.

Der Schädel eines Waschbären, den der Jagdaufseher Werner Schaub erlegt hatte – er zielte extra auf das Herz, um den Schädel zu bewahren.
Der Schädel eines Waschbären, den der Jagdaufseher Werner Schaub erlegt hatte – er zielte extra auf das Herz, um den Schädel zu bewahren.Bild: Severin Bigler

Und wieso hat es knapp hundert Jahre gedauert, bis zunehmend Waschbären in der Schweiz gesichtet werden? Wehrli erklärt: «Waschbären – insbesondere die Weibchen – sind mässig wanderfreudig.» Sie leben wenig territorial und in losen Gruppen, weshalb in einem relativ kleinen Gebiet eine hohe Dichte möglich ist, ehe ein Abwanderungsdruck entsteht. Zudem können die Waschbären und vor allem ihre Jungen hier von Greifvögeln und Eulen, Füchsen, Wölfen oder Luchsen gefressen werden. Hinzu kommt der grosse Jagddruck durch den Menschen und viele Todesfälle auf Strassen.

Das alles führt dazu, dass der Waschbär sich eher langsam ausbreitet. Wehrli geht dennoch davon aus, «dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Art auch das restliche Deutschland und die Schweiz mehr oder weniger flächig besiedelt haben wird».

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111 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Clatos
27.02.2025 12:30registriert November 2024
Der Mensch handelt oft irrational. Warum fällt es uns so schwer, einen Waschbären zu töten, während wir bedenkenlos Kälbchen, Lämmchen und Ferkel essen? Auch das Nutzen von Waschbärenfell gilt als „unethisch“, ebenso wie die tausenden Fuchsfelle regulierter Füchse, die jährlich entsorgt werden – während synthetische Alternativen aus Mikrofasern die Umwelt mit Mikroplastik belasten. Vielleicht sollten wir unsere moralischen und ethischen Massstäbe überdenken.
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Narrentanz
27.02.2025 12:39registriert Juli 2019
"Dort wie hier bedroht der flinke Allesfresser einheimische Vögel und deren Eier, Kleinsäuger, Reptilien und Amphibien."

Das ist bei unseren Hauskatzen nicht anders (wenn sie freien Auslauf haben).
Wird deren Bestand auch reguliert und regelmässig Tiere dem Bestand entnommen?
Faktisch gesehen müsste man.
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Narrentanz
27.02.2025 12:37registriert Juli 2019
" Zudem können die Waschbären und vor allem ihre Jungen hier von Greifvögeln und Eulen, Füchsen, Wölfen oder Luchsen gefressen werden."

So es denn welche hat. Da diese Tiere angeblich genau so reguliert werden müssen, kann sich schlussendlich nichts mehr selbst regulieren...
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