Ich gebe zu, lange war ich wie viele der Ansicht, Roger Schawinski sei arrogant, vorlaut, der eitelste Mensch weit und breit und sonst nicht viel. Jedenfalls, bis ich mit ihm im Bett war. Also, bis mein Liebesleben plötzlich ausrief: «Du bis ja mit Schawinski im Bett!» und ich zur Antwort gab: «Ja, und ich kann jetzt auch noch nicht aufhören.» Mit Lesen nämlich. In Roger Schawinskis Autobiografie, die er sich selbst zur angemessen langen Vorbereitung seines siebzigsten Geburtstags 2015 geschenkt hat. Und uns.
Und ich muss sagen: Wenn ein Mensch in der Schweiz ein Recht auf Eitelkeit hat, dann Roger Schawinski. Nicht nur, weil er mindestens zwanzig Jahre jünger aussieht, als er ist. Sondern weil sein Leistungsausweis riesig ist. Weil er Pionier, Pirat und ein anhaltender Projektjunkie war und ist. Weil er sich nie hat verbiegen lassen, weil er auch im Alter nicht nach rechts gedriftet ist, wie das so viele tun, die einmal zu Geld gekommen sind, weil er immer wieder ganz von vorn und ganz klein angefangen hat, weil er von Konzernen unabhängig geblieben ist. Und weil er selbst ganz einfach ein hervorragender Journalist ist.
Jedenfalls ein TV- und Radiojournalist. Ein Rede-Journalist. Einer, dessen Interviews so gründlich und hart recherchiert sind wie sonst in der Schweiz nur noch diejenigen von Sonja Hasler, Sandro Brotz und Mona Vetsch. Schreiben ist nicht sein Kernmetier. Sonst wäre seine Autobiografie nämlich noch besser geschrieben und dramaturgisch geschliffener, und ein Freudscher Fehler wie der, dass er Milena Moser als Schriftsteller und nicht als Schriftstellerin bezeichnet, wäre ihm auch nicht passiert.
Aber auch so liest sie sich höchst süffig als ein buntes Stück Schweizer Medien- und Mentalitätsgeschichte und berührt. Weil Schawinski ein Leben lebt. Eines, das sich liest wie ein grosser Abenteuerroman, angefangen mit glücklichen jüdischen Kindheit im Kreis 4 in Zürich, in denkbar bescheidenen Verhältnissen, der Vater ein tendenziell erfolgloser Textilvertreter, der sich gelegentlich am Sparbuch der Kinder verging, um die Miete bezahlen zu können.
Da findet sich wohl auch der Urgrund von Schawinskis unermesslichem Antrieb, der oft auch zur Getriebenheit wird, die radikale Abgrenzung von der doppelten Bescheidenheit, der zweifachen Zurückhaltung, der jüdischen und der schweizerischen nämlich. Zur ersten hat ihn der Vater aufgefordert, die zweite war sowieso omnipräsent.
Und so kam es, dass sich Roger Schawinski ganz alleine in die Welt hinauskatapultierte, dass er im Selbststudium die Matura nachholte, dass er mit 20 in einem israelischen Kibbuz arbeitete, wie es unter engagierten jungen Leuten damals üblich war, und mit 22 einen Essay-Wettbewerb gewann, was ihn zum ersten mal nach Amerika brachte. Dass er die Hippies kennen lernte und als Reiseleiter, später als TV-Reporter durch die Welt tingelte, immer auf der Suche nach Krisenherden und Revolutionen. Mit 25 heiratete er die schöne Puerto Ricanerin Priscilla, mit 26 schrieb er seine HSG-Dissertation mit dem Titel «Die sozio-ökonomischen Faktoren des Fremdenverkehrs in Entwicklungsländern: Der Fall Guatemala». Mit 27 erfand er den «Kassensturz». Und fand sich damit als der junge Wilde mit den publikumswirksamen Ideen mitten im Herzen der schweizerischen Medienszene wieder.
Wahrscheinlich ist der «Kassensturz», ohne den das Schweizer Fernsehen auch heute noch nicht denkbar wäre, sein Monument. Ein anderes ist natürlich Radio 24, der Piratensender auf dem italienischen Pizzo Groppera mit einem Studio in Como. Und wieder liest sich das grossartig, die damalige Anmassung, ein durch Werbung finanziertes Radio zu machen, der Kleinstkrieg mit italienischen und schweizerischen Behörden, die Volksaufstände in der Schweiz für Radio 24 und die Baugeschichte des Senders an sich, gemeinsam mit einem Techniker, dessen Verfassung schwankte zwischen total genial und vollkommen irr.
Überhaupt hat sich Schawinski immer wieder auf höchst kreative Mitarbeiter verlassen, die er in der halben Welt anheuerte, so, wie er sich auch seine Inspiration von überall her geholt hat. Er erkannte früh die Attraktivität des amerikanischen Serienschaffens und als er 2003 in Berlin zum Geschäftsführer von Sat.1 wurde, da gelang ihm mit der Daily Soap «Verliebt in Berlin» ein Coup, wie ihn das deutsche Fernsehen seit der Erfindung von Dschungelcamp und Castingshows nicht mehr gesehen hatte.
Was allerdings nicht stimmt in seinem Buch, ist die Feststellung, dass er Ende Februar 2005 «die erste Telenovela im deutschen Fernsehen» lanciert habe. Das war dann leider doch fast vier Monate vorher das ZDF mit «Bianca – Wege zum Glück». Aber ja, Schawinskis Soap war um Welten besser, und auch das «Schnattchen», die dickliche Lisa Plenske, die sich trotz Zahnspange einen Traummann aus der Modewelt angelt, wird ein kleines Schawinski-Monument in den Herzen enorm vieler Zuschauerinnen bleiben.
Und er? Der Mann, mit dem Trudi Gerster nachweislich und Nella Martinetti, Alice Schwarzer und sogar die heilige Heidi Abel angeblich eine Affäre wollten? Der Mann, der oft wie Don Quixchote für seine medialen Kinder focht und sie dann doch verlieren musste an grössere Mächte mit mehr Geld? Der sich immer wieder mit Leib und Seele verliebte, der eine wahre Drama-Queen des Herzschmerz sein konnte, der seine Frauen an andere Männer oder gar an den Tod verlor oder sehr schnell sehr entschlossen verliess. Und ja, liebe Leserinnen, logisch sind das die schönsten Stellen des Buchs, aber, das sei den lieben Lesern an dieser Stelle gesagt, manchmal geht’s auch um Fussball.
Oft fiel er auf die Schnauze und stand danach umso selbstbewusster wieder auf und sagte sich, dann mach ich halt einfach was Neues. Er ist der subversivste der drei Schweizer Medien-Rogers (auch de Weck und Köppel kommen im Buch als Jogging- beziehungsweise Sparring-Partner vor), und der zupackendste. Der Mann ohne Angst. Der Amerikaner unter den Schweizern
Die Frage «Wer bin ich?» kann er natürlich nicht beantworten, das Buch «Wer bin ich?» sollte ab sofort Pflichtlektüre werden für alle angehenden Medienschaffenden, die sich noch nie überlegt haben, dass es ausserhalb eines Internetzugangs auch noch ein paar andere Dinge braucht um zu reüssieren, nämlich Gradlinigkeit, Tollkühnheit, Selbstverschwendung und die Frechheit dessen, der die besseren Ideen hat. Sonst schreibt man keine Mediengeschichte. Aber dann darf man ruhig auch sehr, sehr eitel sein.