Unablässig greift die russische Armee ukrainische Städte mit Drohnen und Raketen an. Der Verteidigungsschirm ist löchrig, die Angriffe fordern in der Zivilbevölkerung viele Opfer. Mit steigender Dringlichkeit fordert Präsident Wolodimir Selenski vom Westen die Lieferung von Luftabwehrsystemen, namentlich vom Typ Patriot, der als sehr effizient gilt.
Bisher haben die USA – nebst anderen Luftabwehrsystemen – erst eine Patriot-Batterie geliefert, Deutschland zwei und eine weitere in Aussicht gestellt. Andere EU-Staaten sind die Weitergabe am Prüfen.
Seit dieser Woche beschäftigt die Frage auch die Schweiz. Anlässlich des Besuchs von Bundespräsidentin Viola Amherd bei Bundeskanzler Olaf Scholz wurde bekannt, dass sich der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius in der Patriot-Frage auch an den Bund gewandt hat.
Das ist zunächst überraschend. Denn die Schweiz besitzt gar keine Patriot-Einheiten – und wenn, wäre es ihr wegen der Neutralität verboten, diese an die Ukraine abzugeben. Berlins Forderungen zielen trotzdem nicht ins Leere. Denn mit dem Ja zu neuen Kampfjets hat die Schweiz auch die Beschaffung von 5 Patriot-Batterien beschlossen. Für 1,970 Milliarden Franken. Diese sollen ab 2026 geliefert werden – wenn es dabei bleibt.
Denn offenbar drängt Deutschland darauf, dass der Bund den Liefertermin verschiebt – zugunsten der Ukraine. Laut der NZZ bestätigte Amherd in Berlin, sie stehe mit Pistorius in Kontakt. Inhaltlich hüllte sie sich in Schweigen: Sie wolle der Diskussion im Bundesrat nicht vorgreifen.
Der Vorschlag, die Beschaffung der Patriot-Batterien zu verschieben, ist brisant. Wie in allen europäischen Staaten stellt sich die Frage, was höher gewichtet wird: Die Stärkung der Ukraine im Kampf gegen den russischen Aggressor, von dem ganz Europa profitiert. Oder die Stärkung der eigenen Streitkräfte, für den Fall, dass die Ukraine nicht standhält.
Noch hat der Bundesrat die Patriot-Frage nicht diskutiert. Unter den Sicherheitspolitikerinnen und -politikern sind aber die Meinungen gemacht, wie eine Umfrage zeigt.
Die Solothurner SP-Ständerätin Franziska Roth spricht sich für eine Verschiebung der Beschaffung aus: «Die Ukraine und ihre Unterstützer brauchen jetzt dringend unsere Solidarität.» Für einen Angriff auf die Schweiz gebe es derzeit «zum Glück keine realistischen Szenarien». Zudem wäre sie gar nicht in der Lage, das Patriot-System einzusetzen, sei das doch nur im Verbund mit den Nachbarstaaten sinnvoll möglich.
Gerhard Andrey, Nationalrat der Grünen, hält fest, dass im Gegensatz zur Schweiz die Ukraine diese Verteidigungswaffe «offensichtlich jetzt dringend braucht, und nicht erst in zwei oder mehr Jahren». Deshalb wäre es klug, wenn die Schweiz nicht auf einer raschen Lieferung beharren würde. «Ich halte den Vorschlag für prüfenswert», sagt Andrey.
Etwas zurückhaltender ist der grünliberale Patrick Hässig. Es sei zwar richtig, der Ukraine den Rücken zu stärken. Doch ergebe es wenig Sinn, die Beschaffung der Patriot-Systeme bereits jetzt zu verschieben. «Falls die Ukraine 2026 die Systeme immer noch nötig hätte, könnte die Schweiz dann kurzfristig über einen Verzicht oder Teilverzicht beraten.»
Mitte-Ständerätin Marianne Binder macht neutralitätsrechtliche Bedenken geltend, liefe der Verzicht doch auf einen Ringtausch von Rüstungsmaterial hinaus. «Ausserdem muss die Schweizer Armee möglichst schnell wieder selber verteidigungsfähig werden.» Eine Verschiebung des Patriot-Kaufs findet sie deshalb «sehr heikel». Trotzdem müsse der Ukraine dringend geholfen werden. Die Aargauerin verweist auf den Vorstoss für einen 15-Milliarden-Fonds, mit dem die rasche Aufrüstung der Armee bis 2030 und der Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden sollen. Es gehe um die überlebensnotwendige Infrastruktur sowie die Entminung in der Ukraine, sagt Binder. Weil mit dem Fonds die Schuldenbremse ausgehebelt würde, ist der Vorschlag äusserst umstritten, selbst in Binders Mitte-Partei.
«Wir können nicht zehn Jahre auf unser Luftabwehrsystem verzichten», sagt derweil SVP-Nationalrat Mauro Tuena: «Die rasche Lieferung der Patriot-Systeme ist noch dringender als neue Panzer – wenn wir angegriffen werden, dann zuerst aus der Luft.»
Das sieht auch FDP-Ständerat Josef Dittli so. «Wir verfügen derzeit über keine Mittel zur Abwehr von ballistischen Raketen mittlerer und grösserer Reichweiten - die Beschaffung der Patriot hinauszuzögern, wäre gefährlich und kommt für mich nicht infrage.» Dittli setzt bezüglich militärischer Hilfe für die Ukraine auf eine Lösung der seit zwei Jahren umstrittenen Frage der Weitergabe von Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion durch Drittstaaten. Er sei zuversichtlich, dass man bald eine Einigung erziele.
Die Idee aber, zugunsten der Ukraine die Patriot-Batterien später zu beschaffen, wird es schwer haben.
Aber wir sollten sie nicht gratis geben. Wir können dabei von der EU / D zB Entgegenkommen beim Stromabkommen oder so verlangen.