Es ist eine Geschichte, die einem Hollywood-Drehbuch entspringen könnte. Und doch soll sie sich 2018 in Genf zugetragen haben. Die Protagonisten: eine Sexarbeiterin und ein Polizist.
Jetzt hat die Genfer Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eröffnet, um Licht in den Fall zu bringen. Die Ermittlungen wurden aufgenommen, nachdem RTS am Sonntag die Tragweite des Falles aufgedeckt hatte.
Eine Sexarbeiterin – wir nennen sie hier Roxane, auch wenn das nicht ihr richtiger Name ist –, hat dem französischsprachigen Pendent zum SRF, nämlich RTS, von ihrem Martyrium berichtet, das sich im April 2018 in Genf ereignet haben soll. Die Rumänin behauptet, sie sei von einem Polizisten vergewaltigt und in einem Auto gefangen gehalten worden.
Der Fall war bis dahin nie Gegenstand einer offiziellen Untersuchung. Doch die Staatsanwaltschaft beschloss nach der Ausstrahlung der Sendung, zu handeln. Ein Verfahren wurde eingeleitet.
Es ist April 2018 in Genf. Ein Mann geht auf die Prostituierte Roxane zu und bittet sie um ihre Dienste. Sie steigt in sein Auto ein, die beiden suchen sich eine abgelegene Ecke.
So weit, so normal.
Doch die Situation eskaliert schnell. Der Mann zieht laut ihren Aussagen eine Polizeimarke und bedroht die Prostituierte:
Der Mann riecht nach Alkohol. Er schlägt Roxane. Und:
Jetzt packt der Freier sie am Hals, «als ob er mich töten will». Roxane rafft ihre letzten Kräfte zusammen, kickt ihren Angreifer in den Intimbereich und flüchtet halbnackt aus dem Auto.
Roxane gelingt es, sich in einem Taxi in Sicherheit zu bringen. Der Fahrer kontaktiert umgehend die Polizei, als er den Zustand seiner Kundin bemerkt.
Heute sagt Roxane über ihren Peiniger:
Eine Streife kommt und die Prostituierte erzählt den Beamten ihre Geschichte. Die Polizisten bieten ihr an, einen Krankenwagen zu rufen. Roxane sagt:
Doch das ändert sich schlagartig, als die Beamten realisieren, dass der Mann, den Roxane beschuldigt, einer aus ihren Reihen sein soll.
Ein Kommissar wird herbeigezogen – ab jetzt soll sich der hochrangige Polizeibeamte um den Fall kümmern. Roxane wird auf eine Polizeistation gebracht.
Der Kommissar spricht laut auf die Frau ein. Er versichert ihr gemäss ihren Angaben, dass der Mann, der sie angegriffen hat, kein Polizist war.
Dann lässt der Kommissar Roxane allein in einem Raum zurück. Als er wiederkommt, ist der Angreifer an seiner Seite:
Der Kommissar bietet der Sexarbeiterin laut ihren Angaben 500 Franken an, wenn sie über den Vorfall schweigt – und damit sie weiter in Genf ihrem Gewerbe nachgehen dürfe. Roxane lehnt das Geld ab, doch die Polizisten stecken es ihr einfach in die Tasche.
Verängstigt und verzweifelt verzichtete Roxane auf eine Anzeige. Sie fühlt sich hilflos.
Heute, fünf Jahre nach den traumatischen Ereignissen, möchte Roxane eine Klage einreichen. Sie ist bereit, ihrem Angreifer gegenüberzutreten.
Laut RTS wurde der in der Nacht erstellte Polizeibericht geändert, und die schockierendsten Details der Affäre verschwiegen. RTS berichtet:
Die Passagen, die von der Gewalt berichten, die Roxane erlitten habe, sowie die mutmasslichen sadomasochistischen Neigungen des Polizisten wurden aus den Notizen gestrichen. Genauso wie die finanzielle «Abmachung» mit dem offensichtlich betrunkenen Angreifer.
Der Genfer Generalstaatsanwalt wurde damals von der Polizei über den Vorfall informiert. Die Behörden seien jedoch der Ansicht gewesen, dass eine Untersuchung nicht gerechtfertigt sei, da das Opfer keine Anzeige erstatten wollte.
Nachdem RTS den Fall aufgerollt hat, wird sich nun der Genfer Generalstaatsanwalt Olivier Jornot mit dem Fall befassen. In Absprache mit der Genfer Polizei werden für die polizeilichen Ermittlungen drei interne Ermittler der Inspection Générale des Services (IGS) zugezogen. Alle sind erst lange nach den Vorfällen zur IGS gestossen.
Das von der Genfer Staatsanwaltschaft eröffnete Strafverfahren wird sich «sowohl auf den von der Sexarbeiterin erwähnten sexuellen Übergriff» als auch «auf die Art und Weise, wie die Fakten damals von der Polizei erfasst wurden» befassen.
(jah/sda/yam)
Das Vertrauen in unsere Polizei muss einfach gegeben sein. Ein Polizist welcher eine Prostituierte vergewaltigt und zudem noch nötigt, ist untragbar. Aber auch Polizisten, welche Gewalttaten von anderen Polizisten schützen, sind unakzeptabel.