Schweiz
Wahlen 2019

Wahlen 19: Weshalb so viele Senioren in den Nationalrat wollen wie noch nie

Marsch auf Bern: Weshalb so viele Senioren in den Nationalrat wollen wie noch nie

Bis jetzt war nur die Rede von der Frauen- und der Klimawahl. Doch im Schatten dieser Bewegungen wird nun ein weiterer Trend sichtbar: Die Senioren und Seniorinnen drängen nach Bern. Die Parteien vermelden eine Rekordzahl von Seniorenlisten.
16.08.2019, 12:00
Othmar von Matt / ch media
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Es ist Milieu-Anwalt Valentin Landmann, 69, der den symbolträchtigen Ort aussuchte. Die Zürcher SVP präsentiert ihre Seniorenliste 55plus am Mittwoch im Restaurant Biergarten an der Hohlstrasse 25 in Zürich. Er gilt als Zentrum des berüchtigten «Bermudadreiecks» im «Chrais Chaib» zwischen Strip-Klub «Chilli’s» und Restaurant «Sonne».

Landmann, Stammgast des «Biergartens», ist Spitzenkandidat der Seniorenliste, auf der weitere Prominente zu finden sind wie Bob-Olympiasieger Erich Schärer und Ex-Fifa-Mediendirektor Guido Tognoni.

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Will für die SVP nach Bern: Milieu-Anwalt Valentin Landmann.Bild: KEYSTONE

35 Köpfe umfasst die Liste. 18 davon posieren auf dem Gruppenbild, das Fotograf Mirko Ries für CH Media machte. Ries arbeitet an einem Buch über Landmann. Sein Foto wirkt wie ein aus der Zeit gefallenes Dokument: Es ist ein analoges, körniges Schwarz-Weiss-Bild. Abgelichtet mit einer Canon EOS 1N und dem Kodak-Film tri-x400. Ries hat es im Labor belichtet.

Rot-Grün und der Kanton Aargau als Trendsetter

Das Bild passt zum Retro-Trend, der bei den Wahlen 2019 sichtbar wird. Im Schatten der Frauen- und Klimastreiks. Und im Schatten von Operation Libero, die mit ihren 24 Kandidatinnen und 17 Kandidaten aus sechs Parteien ein progressives Mitte-Links-Parlament installieren will.

Besonders aktiv in Sachen Senioren ist Rot-Grün. Die SP-Seniorenvereinigung 60+ präsentiert gleich in neun Kantonen Seniorenlisten: Aargau, Freiburg, Luzern, Solothurn, Schwyz, Tessin, Thurgau, Wallis und Zug. Es handelt sich dabei um Unterlisten-Verbindungen mit der Mutterpartei.

Ihr Hauptziel: Die SP-Senioren sollen Stimmen bringen für die eigene Partei. Die 2013 gegründete SP 60+ zählt inzwischen 1850 Mitglieder und ist bereits halb so gross wie die Juso.

«Wir wollen, dass diese Generation ihre Erfahrung an die nächste Generation weitergibt. Das passiert zu wenig.»
Matthias Leitner, FDP

Die Grünen sind in fünf Kantonen aktiv. In Baselland und im Thurgau treten sie mit Listen der Grünen Panther an, in St. Gallen und im Wallis mit Listen grüner KlimaseniorInnen. Und in Basel-Stadt schicken sie die «Die Alternativen» ins Rennen. Auch die CVP (Schwyz und Basel-Stadt), SVP (neben Zürich auch Wallis) und GLP (Zürich) haben Seniorenlisten.

Keine solchen Listen präsentiert die FDP. Sie hat die Senioren aber ebenfalls entdeckt und will sie stärker in die Parteiarbeit integrieren, wie Matthias Leitner sagt, Chef der Parteiorganisation. «Zurzeit befindet sich eine 60plus-Organisation der FDP in der Gründungsphase», sagt er. «Wir wollen, dass diese Generation ihre Erfahrung an die nächste Generation weitergibt. Das passiert zu wenig.»

Als eigentlicher Senioren-Trendsetter gilt aber der Kanton Aargau. Dort hat SVP-Nationalrat Maximilian Reimann die Aargauer Seniorenliste Team 65+ auf die Beine gestellt. Für ihn ist klar, dass ein Senior auf einer herkömmlichen Unterliste, wie sie alle Parteien präsentieren, «schlicht nicht den Hauch einer Chance hat, um gewählt zu werden».

Maximilian Reimann, SVP-AG, stellt eine Frage, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 13. Juni 2017 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Seine Gruppierung sei «eine Art ‹Versuchskaninchen›»: SVP-Nationalrat Maximilian Reimann.Bild: KEYSTONE

Anders beurteilt er seine persönlichen Aussichten mit Team 65+. «Das ist eine parteiunabhängige Senioren-Basisbewegung», sagt Reimann. Er bezeichnet die Bewegung als «eine Art ‹Versuchskaninchen›»: «Haben wir Erfolg, kann ich mir vorstellen, dass es solche Bewegungen in Zukunft auch in anderen grossen Kantonen geben wird.» Im Aargau tritt zudem SVP-Nationalrat Luzi Stamm, 66, an, mit einer eigenen Liste.

Die Augen der Politauguren sind aber vor allem auf Reimann gerichtet. Sollte er gewählt werden, wäre das selbst für Susanne Leutenegger Oberholzer «ein Meisterwerk», wie die ehemalige SP-Nationalrätin sagt.

«Wir teilen mit den Juso die Narrenfreiheit. So fordern wir 4000 Franken Altersrenten für alle.»
Marianne de Mestral, Co-Präsidentin SP60+

Zurzeit sind die Senioren noch gut vertreten im nationalen Parlament. 29 Parlamentsmitglieder sind 65 Jahre alt oder älter, fünf davon sind über 70 Jahre alt. Zählt man die National- und Ständeräte dazu, die zwischen 60 und 64 Jahre alt sind, kommt man auf 81 Mitglieder oder 33 Prozent.

Alte könnten künftig untervertreten sein

Das könnte sich 2019 ändern. «Es ist höchste Zeit, dass die Senioren etwas tun», sagt Reimann. Im Aargau etwa habe keine der etablierten Parteien Senioren auf der Hauptliste berücksichtigt. «Ruth Humbel ist mit 62 Jahren die älteste Kandidatin mit echter Wahlchance. Ein Viertel der Stimmberechtigten im Aargau ist aber älter und wäre damit in der Volkskammer Nationalrat nicht mehr mit eigenen Jahrgängern vertreten.»

Für Marianne de Mestral, 83, Co-Präsidentin SP60+, hat sich das Bild der Menschen über 60 Jahren geändert. Das zeige sich bei den Senioren der SP 60+. «Sie bringen Erfahrung, Ressourcen und Unbeschwertheit ein», sagt sie. «Wir teilen mit den Juso die Narrenfreiheit. So fordern wir 4000 Franken Altersrenten für alle.»

Eine gewisse Narrenfreiheit nehmen sich auch die Zürcher SVP-Senioren heraus. Obwohl sie sich im Zürcher Bermudadreieck trafen, fielen die Stichworte «Ausländer» und «Kriminalität» in eineinhalb Stunden kein einziges Mal. Valentin Landmann betonte sogar: «Die SVP ist zwar die grösste Partei, für Mehrheiten müssen wir aber auch den anderen zuhören und Kompromisse eingehen.» Der Milieu-Anwalt, der im «Biergarten» als einziger Flugblätter verteilte, meint es ernst. Er will nach Bern.

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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Brett-vorm-Kopf
16.08.2019 12:14registriert Mai 2016
Mein Schwiegervater sagt es aus meiner Sicht richtig. Es sollte für's Abstimmen eine Altersgrenze geben. Genau so wie es eine Altersgrenze für die Jungen gibt ab der sie wählen dürfen.
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Ass
16.08.2019 12:16registriert Januar 2017
Warum nicht. Zeit hat man genug und 150'000 für ein 30% Pensum, davon nur ca. 1/3 steuerbar. Ja das ist nicht schlecht!
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Arneis
16.08.2019 13:26registriert Januar 2017
Wenn man die Zahlen zusammenrechnet (33+13) sind somit 46% aller Volksvertreter 60 oder älter.
Von einer Untervertretung zu reden ist dementsprechend bizarr.
Da betagte Leute eher zur Besitzstandwahrung neigen sind progressive Projekte mit Ihnen schwer vorstellbar.
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