Mit jedem Schritt auf das Krankenzimmer zu steigt der beissende Geruch nach Desinfektionsmittel stärker in die Nase. Vor der Zimmertür ziehen Ärzte und Pfleger Schürze, Mundschutz und Handschuhe an. In grossen Lettern und Bildern steht an jeder Tür, welche Schutzmassnahmen auf der Isolationsstation im Kantonsspital Aarau für Personal und Gäste vonnöten sind.
Solche Situationen sind im Klinikalltag von Schweizer Spitälern immer häufiger anzutreffen. Schuld daran sind multiresistente Bakterien. Mikroskopische Winzlinge, die zunehmend zu komplizierten Infektionen bei Patienten führen, da sie gegen verschiedene Antibiotika resistent geworden sind.
Die Fallzahlen solcher Infektionen haben sich hierzulande in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Damit sind auch Behandlungsaufwand und Kosten für Spitäler stark gestiegen. Sie schlagen nun Alarm.
Am Kantonsspital Aarau (KSA) kämpft Christoph Fux, Chefarzt für Infektiologie und Spitalhygiene, gegen die multiresistenten Keime seiner Patienten. «Seit 2008 haben solche Infektionen stark zugenommen», sagt er. Das gilt auch auf Bundesebene. Wie die aus Bern beauftragte Überwachungsstelle Anresis festhält, verzeichnete die Schweiz 2016 knapp 12'600 Infektionen, 2006 waren es noch 6500 Fälle.
Damit müssen Kliniker wie Fux immer öfter gegen die Killerkeime ankämpfen. Das steigert Aufwand und Kosten der Spitäler massiv. «Den Löwenanteil machen aufwendige Isolationen, antibiotische Kombinations-Therapien, allfällige Nachoperationen und der damit längere Spitalaufenthalt aus», sagt Fux.
Was das im Extremfall bedeutet, zeigt ein Schicksal aus der Isolationsstation des KSA. Ein Patient war in Indien mit einem Fahrrad gestürzt und kam nach einigen Wochen mit einem komplizierten Armbruch nach Aarau ins Spital. «Nach fast drei Monaten Behandlung mussten wir Forfait geben, den Unterarm des Patienten amputieren», sagt Fux. Der Keim aus Indien war gegen alle verfügbaren Antibiotika immun – «panresistent» heisst das im Fachjargon.
Diese Keime sind Chefarzt Fux’ gefährlichste Widersacher. «Das sind nach wie vor Einzelfälle, aber sie werden häufiger.» Auch die steigenden Isolationstage zeigen, dass heikle Resistenzfälle zunehmen. Von 2010 bis 2015 haben sich diese am KSA mit jüngst 2500 Tagen fast verdoppelt. Einen klaren Anstieg verzeichnen auch die Unispitäler Basel und Zürich.
Nicht immer überleben Patienten die Keiminfektionen. Offizielle Zahlen zu den Todesfällen aufgrund multiresistenter Keime gibt es bis dato in der Schweiz nicht. Aufgrund einer Hochrechnung des Berliner Uniklinikums Charité rechnet die Schweizer Gesellschaft für Infektiologie mit etwa 300 Fällen in der Schweiz pro Jahr. Globale Schätzungen gehen davon aus, dass die Anzahl Todesfälle bis 2050 auf über 10 Millionen Menschen steigen könnte.
Wie hart der Kampf gegen die Keime ist, weiss auch Andreas Widmer, stellvertretender Leiter der Infektiologie am Unispital Basel. «Die Infektionen mit resistenten Keimen haben sich bei uns in den vergangenen acht Jahren verdoppelt», sagt er. Seit fünf Jahren kämen öfter einzelne panresistente Bakterien dazu.
Kürzlich kämpfte Widmer drei Monate um das Bein einer Patientin. Auch sie war in Indien, mit einem Tuk-Tuk gestürzt und wegen einer offenen Beinfraktur eingeliefert worden. «Alle Antibiotika waren wirkungslos. Wir konnten das Bein der Frau nur noch mit einer hierzulande nicht zugelassenen Substanz aus den USA retten.» Allein die Suche, Bewilligung und Einführung des Mittels habe mehrere tausend Franken gekostet.
Das seien in der Summe Kosten, die grösstenteils zulasten der Spitäler gingen, bemängeln Kliniker. «Weder für die personalintensive Pflege noch allfällige Nachoperationen, teure Diagnostika oder zusätzlichen Medikamente kommen die Krankenkassen und die öffentliche Hand in den Kantonen auch nur ansatzweise auf», sagt Chefarzt Widmer. Ausgehend von gut 5000 Isolationstagen wegen resistenter Keiminfektionen 2016 und einem Aufpreis für den entsprechenden Mehraufwand von 500 Franken pro Tag, «belaufen sich die zusätzlichen Kosten am Unispital Basel 2016 auf 2,5 Millionen Franken», so Widmer. Und das sei eine konservative Schätzung. Ausgehend davon, rechnet Widmer dieses Jahr schweizweit mit Mehrkosten von bis zu 200 Millionen Franken.
Anderer Meinung ist man beim Schweizer Krankenkassenverband Santésuisse. Im Fallpauschalensystem, das in der Schweiz seit 2012 gilt, sei die Behandlung multiresistenter Keime abgebildet, sagt Sprecherin Sandra Kobelt.
Nicht ausreichend, sagen Kliniker. Bei einem Hüft- Patienten etwa, der nach der Operation eine langwierige Keiminfektion erleidet, sei es äusserst schwierig, Zusatzkosten der Resistenz innerhalb von Nachoperationen, Infektionsbehandlung, Isolation und Behandlung von Nebenwirkungen zu ermitteln, sagt Hugo Sax, Chef-Infektiologe am Unispital Zürich.
Fallpauschalen werden anhand der Kosten- und Leistungsdaten der Spitäler berechnet, entgegnet Kobelt. Wenn sich aufgrund der Daten zwischen Spitalaufenthalten mit und ohne Keiminfektion keine Mehraufwände zeigten, lasse sich dies auch nicht kostenrelevant abbilden. Widerspruch im Spital: «Die komplexe Behandlung bei resistenten Keiminfektionen wird finanziell nicht genügend abgegolten», sagt Widmer. Schuld sei das Kostengewicht. Es werde anhand des Durchschnitts aller Abrechnungen einer Behandlungspauschale berechnet. Die Fälle, bei denen es danach zu Komplikationen durch resistente Keime komme, machten nur einen kleinen Anteil aus.
Ein Konsens scheint vorerst nicht in Sicht. Die Parteien schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Die Kassen zahlen nicht, sagen die Einen. Die Spitäler rechnen nicht richtig ab, die Anderen.
Hinter den Türen hiesiger Isolationsstationen ist damit auf längere Sicht erst noch keine Besserung in Sicht.
(aargauerzeitung.ch)