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Jeder 5. will eine KV-Lehre machen – doch KI bedroht die Büro-Jobs

Jeder 5. will eine KV-Lehre machen – doch KI bedroht die Büro-Jobs

Gilt die Regel noch, dass eine kaufmännische Ausbildung der Universalschlüssel für die Berufswelt ist? Ein Bildungsforscher hat einen Rat für Lehrstellensuchende.
31.08.2025, 07:0631.08.2025, 07:06
Pascal Ritter / ch media
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Es riecht nach Blumen und Popcorn. Das Rattern eines Glücksrades vermischt sich mit Hammerschlägen und dem Stimmengewirr von Hunderten Jugendlichen. An der Ostschweizer Bildungsausstellung OBA auf dem Olma-Gelände in St. Gallen können sich seit dieser Woche Oberstufenschüler verschiedene Berufe anschauen: vom Hochbauzeichner über die Kaminfegerin bis zum Schweizergardisten.

KV Symbolbild
Das KV ist weiter beliebt – doch die Bürowelt verändert sich rasch.Bild: keystone

Die Ausbildungsbetriebe überbieten sich mit kleinen Geschenken und möglichst unterhaltsamen Ständen. Eine Gruppe Mädchen steckt am Floristen-Stand Blumen zu einem Strauss zusammen, eine Gruppe Buben versucht mit einer Art Bagger an einen Geschenk-Sack zu kommen. Beim Bäcker flechten Buben und Mädchen Teigrollen zu einem Zopf. Auf Arbeitsblättern notieren sie Löhne, Anschlussmöglichkeiten sowie Vor- und Nachteile der Berufe.

Hunger nach Wurst grösser als nach einer Metzgerlehre

Der Augenschein auf der OBA, der ersten Berufsmesse seit dem Ende der Sommerferien, ergibt kein exaktes Bild der Berufswünsche der Schülerinnen und Schüler. Klar, der Stand des lokalen Bankenverbandes ist gut besucht, aber das könnte auch an den Goldbarren aus Schokolade liegen, die es dort zu gewinnen gibt. Und drei Mädchen, die in der langen Schlange vor einem Fleischverarbeitungsbetrieb stehen, lassen durchblicken, dass der Hunger nach Wurst grösser ist als der Wunsch nach einer Metzgerlehre. Angesprochene Jugendliche wirken unentschlossen. Einer will Hochbauzeichner werden – oder Fussballprofi.

Die Statistik zeigt eindeutig Richtung Schoggi-Goldbarren. Die kaufmännische Lehre, KV genannt und unter anderem von Banken angeboten, ist mit Abstand die beliebteste Lehre. Jeder Fünfte im Alter zwischen 14 und 17 Jahren und auf der Suche nach einer Ausbildung interessiert sich konkret für eine KV-Lehre. Diese Beliebtheitsquote ist seit Jahren konstant und wurde zuletzt im März und April dieses Jahres erhoben. Sie schwankt zwischen Erhebungsbeginn durch das Forschungsinstitut GFS Bern im Jahr 2018 und heute zwischen 17 und 21 Prozent. Die KV-Lehre ist sowohl bei Mädchen (23 Prozent) als auch bei Buben (17 Prozent) beliebt. Auch auf Onlinebörsen für Lehrstellen gehören KV-Lehrstellen regelmässig zu den meistgesuchten.

Beliebtester Beruf erfährt Rückschläge

Warum ist das KV so hoch im Kurs? Die Frage geht an Melissa. Die 17-Jährige ist im dritten Ausbildungsjahr der kaufmännischen Lehre und spricht an der Bildungsausstellung in St.Gallen mit potenziellen Nachfolgerinnen.

«Ich wusste damals nicht genau, was ich später machen will, und wählte das KV als gute Grundausbildung, mittlerweile gefällt mir der Job sehr.»

Natürlich gibt es Lehrlinge, die für den Beruf brennen, aber die Vielseitigkeit des Berufs und die Unentschlossenheit der Bewerber tragen zur Beliebtheit bei.

Auch Realismus spielt eine Rolle, denn die Präferenzen der Lehrstellensuchenden decken sich mit dem Angebot. In den letzten Jahren begannen gemäss Bundesamt für Statistik rund 12’500 Personen nach ihrem Schulabschluss eine KV-Lehre. Keine andere Ausbildung wird so oft angeboten. Die Träume passen sich der Realität an. Dennoch bereuen die wenigsten diesen Schritt. So hatten im November 2024 gemäss einer Befragung des Kaufmännischen Verbandes Schweiz 92 Prozent der Lehrabgänger eine Anschlusslösung. Zwei Drittel hatten eine Festanstellung.

Weniger offene Stellen und was ist mit KI?

Ist es also eine gute Idee, dass so viele junge Menschen auf einen Bürojob setzen? Im letzten Jahr ist die Zahl der offenen Stellen im Bereich Fachkräfte Büro gemäss Swiss Job Market Index um 12 Prozent zurückgegangen. Gewisse Schwankungen sind nicht ungewöhnlich, doch der kaufmännische Beruf steht auch langfristig vor grossen Herausforderungen. Künstliche Intelligenz (KI) dürfte den Beruf stark verändern – und Arbeitskräfte ersetzen.

Der Kaufmännische Verband Schweiz verfolgt die Entwicklung genau, wagt aber keine Prognose zur Anzahl künftiger Jobs für KV-Absolventen. «Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern kaufmännische Berufsbilder grundlegend. Manche Aufgaben entfallen, andere werden durch neue Anforderungen ergänzt. Chancen ergeben sich vor allem für jene, die digitale und soziale Kompetenzen mitbringen», heisst es auf Anfrage. Die berufliche Grundbildung befähige Lernende dazu, KI-Anwendungen verantwortungsvoll zu nutzen und deren Ergebnisse kritisch zu hinterfragen.

Der Bildungsforscher Jürg Schweri von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB geht davon aus, dass die Künstliche Intelligenz die kaufmännischen Berufe relativ stark verändern wird.

«Es wird künftig sehr wahrscheinlich weniger, aber im Umgang mit der neuen Technologie geschultes Personal benötigt.»

Er empfiehlt Lehrstellensuchenden darum, sich die Berufswahl noch genauer zu überlegen. «Wer aus Überzeugung eine KV-Lehre macht, dürfte auch künftig eine sichere Stelle haben. Wer aber den Beruf aus Verlegenheit wählt, dürfte es schwieriger haben», sagt Schweri.

Elternrat nicht immer passend

Viele Eltern würden ihren Kindern die KV-Lehre empfehlen, weil der Beruf zu ihren Zeiten sehr sicher und eine gute Grundlage war, sagt Bildungsforscher Schweri.

«Doch es lohnt sich für Lehrstellensuchende, Berufe anzuschauen, die weniger bekannt sind, aber unter Umständen besser passen.»

Er gibt zu bedenken, dass die Entscheidung für eine kaufmännische Ausbildung zum Teil eher ein Schritt in ein soziales Milieu als eine interessengeleitete Berufswahl ist. «Manchen wäre es vielleicht in einem handwerklichen Beruf wohler. Weil aber viele mit Büroarbeit einen höheren Status verbinden, bewerben sie sich für eine KV-Lehrstelle.»

Auf der Berufsmesse in St.Gallen sind einige, aber nicht alle interessiert an einer KV-Lehre. «Das wäre nichts für mich. Da muss man Englisch können und die Sprache liegt mir nicht», sagt eine Schülerin mit Berufsziel Fachangestellte Betreuung. Eine andere pflichtet ihr bei:

«Es gibt ja schon genug Leute, die im Büro sitzen.»

(aargauerzeitung.ch)

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Die beliebtesten Kommentare
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Lieblingsidiot
31.08.2025 07:55registriert September 2021
Das Handwerk ist die Goldgrube der Zukunft.
Mein alter Lehrmeister hat mir immer wieder gepredigt, wenn ich Motivationsprobleme hatte. "Gott hat die Welt erschaffen, den Rest haben Handwerker gebaut"
Mit dem Abgang der Babyboomer spür ich das im Handwerk schon langsam. Fachwissen, alte Tricks und Tipps die vom Handwerk verschwinden. Man wird in der näheren Zukunft etwas Geduld aufbringen müssen wenn man einen Handwerkerin braucht. Die Rechnung ist schnell geschrieben, dafür hab ich mein Tablet mit entsprechendem Programm dass mir Hilft. Aber die KI kann nicht improvisieren und oder zupacken.
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