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Um mehr Versicherungen zu verkaufen: Mobiliar erflunkert 450 zusätzliche Schweizer Erdbeben

Um mehr Versicherungen zu verkaufen: Mobiliar erflunkert 450 zusätzliche Schweizer Erdbeben

11.08.2015, 09:4911.08.2015, 12:06
Kian Ramezani
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Kunden der Schweizer Versicherungsgesellschaft Mobiliar (darunter immerhin über eine Million Haushalte) könnten dieser Tage ein Schreiben mit wahrhaft alarmierendem Inhalt bekommen:

Bild
bild: watson

Aus dem Innenteil:

«Die Gefahr eines Erdbebens in der Schweiz wird absolut unterschätzt. Glauben Sie uns: Das kann fatale Folgen haben! Denn auch hier bebt die Erde Jahr für Jahr rund 1000-mal – 2014 doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren! Ein Erdbeben kann alles, was Sie besitzen, in wenigen Sekunden komplett zerstören
mobiliar-flyer Versicherungsschutz «erdbeben»

Die Mobiliar empfiehlt gegen diese «latente Gefährdung» den Versicherungsschutz «Erdbeben»: Für ein Gebäude ab 90 Franken und für den Hausrat ab 18 Franken pro Jahr. 

Zahl stärkerer Beben konstant

Die Zahl von jährlich 1000 Erdbeben in der Schweiz stammt vom Schweizerischen Erdbebendienst (SED). 2014 registrierte diese Fachstelle des Bundes rund 950 Ereignisse und tatsächlich doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Allerdings gibt es dafür einen einfachen Grund:

«Dieser Anstieg lässt sich hauptsächlich damit erklären,
dass sich dank des Ausbaus und der Verdichtung des seismischen Messnetzes in den vergangenen
Jahren mehr Beben mit sehr geringen Magnituden aufzeichnen lassen.»
sed-medienmitteilung 

Es fanden also nicht doppelt so viele Erdbeben statt, es wurden nur dank besserer Technik doppelt so viele aufgezeichnet. «Das Risiko eines stärkeren Bebens irgendwo in der Schweiz ist über die Zeit recht konstant», ergänzt das SED auf Anfrage von watson. Mit stärkeren Beben, die auch gravierendere Schäden anrichten können (ab etwa Magnitude 6), sei in der Schweiz etwa einmal alle 100 bis 150 Jahre zu rechnen. 

Erdbebengefahr Schweiz.
Erdbebengefahr Schweiz.karte: Schweizerischer Erdbebendienst (SED)

Die Mobiliar räumt auf Anfrage ein, dass die Aussage mit der Verdoppelung 2014 irreführend und die Tonalität des Flyers für die Firma ungewöhnlich ist: «Einzelne Passagen mögen etwas übers Ziel hinausschiessen, aber zur Grundaussage stehen wir», erklärt Unternehmenssprecher Jürg Thalmann. Vielen Leuten sei nicht bewusst, dass es auch in der Schweiz schwere Erdbeben geben kann. «Man weiss einfach nicht, wann. Ziel dieses Flyers ist es ein Stück weit, aufzurütteln.»

Wer den Flyer zurückschickt, schliesst nicht automatisch eine Erdbebenversicherung ab, wie Thalmann betont. In einem persönlichen Beratungsgespräch würden Wohnregion, Haustyp, Bauweise, Untergrund und Werte eruiert. Aus diesen Faktoren würde anschliessend für jeden Versicherten ein individuelles Risiko errechnet.

Der SED vertritt dieselbe Haltung: «Ob eine individuelle Versicherung für Erdbebenschäden für Private sinnvoll ist, hängt sehr vom Sicherheitsbedürfnis des Einzelnen ab, von den eventuell betroffenen Werten und von den möglichen Auswirkungen eines Erdbebenschadens. Eine generelle Empfehlung können wir nicht abgeben.» Auf der Website des SED steht ein Tool zur Verfügung, mit dem das eigene Erdbebenrisiko berechnet werden kann.

Obligatorische Erdbebenversicherung auf Eis
2012 reichte der Walliser Ständerat Jean-René Fournier (CVP) eine Motion zur Einführung einer obligatorischen Erdbebenversicherung in der Schweiz ein. Konkret hätte die Elementarschadenversicherung, die bereits Hochwasser, Hagel und dergleichen abdeckt, entsprechend ergänzt werden sollen. Der Bundesrat kam im Juni 2014 zum Schluss, dass sich eine gesamtschweizerische obligatorische Erdbebenversicherung weder als Konkordat aller Kantone noch im Rahmen einer Bundeskompetenz umsetzen lässt. (kri)
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3 Kommentare
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Scaros_2
11.08.2015 09:58registriert Juni 2015
Hatte den Flyer resp. Brief am Freitag auch im Postfach. Hab ihn nicht eimal geöffnet, direkt in den Müll geworfen.
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