Das Urteil der Analysten und Anleger ist unzimperlich. An der Schweizer Börse verloren die Aktien von Clariant gestern satte 9,6 Prozent. «Was für ein Chaos», schreibt ein deutscher Analyst. Sein Pendant von der Zürcher Bank Vontobel erklärt den Spezialchemiekonzern mit Sitz in Muttenz BL kurzerhand zum Restrukturierungsfall.
Was ist passiert? Am Mittwoch verliess der bisherige Clariant-Chef Ernesto Occhiello das Unternehmen völlig überraschend. Präsident Hariolf Kottmann, der Clariant bis letzten Oktober während zehn Jahren als Konzernchef führte, übernimmt vorübergehend das Ruder. Am Donnerstag folgte der nächste Paukenschlag: Die Baselbieter Firma stoppt das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit dem Chemiekonzern Sabic. Die Saudis sind mit einem Anteil von 25 Prozent zudem der grösste Aktionär von Clariant.
Wäre das Vorhaben mit Sabic gelungen, so hätte sich Clariant noch stärker auf anspruchsvollere und teurere Chemiespezialitäten ausgerichtet. Gleichzeitig wäre Clariant mit einem anvisierten Umsatz von 9 Milliarden Franken in eine höhere Liga aufgestiegen.
Doch nun sind die hochfliegenden Pläne vorerst gestorben: Aufgrund der «aktuellen Marktbedingungen» haben Sabic und Clariant entschieden, die Verhandlungen vorübergehend auszusetzen. Im Gespräch wird Kottmann konkreter. Es sei letztlich eine Frage der Bewertung der Geschäfte gewesen, die in die gemeinsame Firma hätten eingebracht werden sollen.
«Wenn wir den Eindruck haben, dass wir für ein Geschäft zu viel bezahlen müssen, dann steigen wir aus», sagt der Deutsche. Das sei an sich nichts Aussergewöhnliches. Gleichzeitig sei Sabic zu einem ähnlichen Schluss gekommen. Die Firma hätte als Verkäufer ein hervorragendes Geschäft zu schlechten Konditionen verkaufen müssen. Auch wenn die Verhandlungen nur «vorübergehend gestoppt» wurden, legten Clariant und Sabic erst mal eine Pause ein. «Ohnehin werden wir nun nicht mehr das ganz grosse Rad drehen», sagt Kottmann. Einzelne Punkte, die zum Scheitern geführt hätten, würden sicher weiterhin besprochen.
Wie geht es nun weiter? Clariant wird sich auf die drei bestehenden Kernbereiche konzentrieren. Der Verkauf des Pigment-Geschäfts wird wie geplant fortgesetzt. Der Chemiekonzern wird damit nicht wie geplant grösser, sondern schrumpfen. «Natürlich werden wir die Firma, wenn sie kleiner geworden ist, entsprechend anpassen müssen», sagt Kottmann. Das gelte für die einzelnen Regionen, aber auch für die Konzernfunktionen. Clariant werde in den nächsten zwei Jahren damit beschäftigt sein, das in geordneten Bahnen über die Bühne zu bringen. Ob das einen Stellenabbau zur Folge hat, liess Kottmann offen.
Gleichzeitig muss der 63-jährige Deutsche in dieser turbulenten Phase nun einen neuen Chef suchen. Kottmann will sich nicht zu den persönlichen Gründen von Ernesto Occhiello äussern. «Das müsste er schon selber tun», sagt Kottmann. Ein Zerwürfnis zwischen ihm und dem Italiener, wie dies in Medienberichten kolportiert wird, bestreitet er vehement. «Es gab keinerlei Spannungen oder Streitigkeiten zwischen uns.»
Somit liegt der Schluss nahe, dass der geplatzte Deal mit Sabic der Auslöser für den Abgang von Occhiello war. Letztlich war der Italiener als Firmenchef verantwortlich für das Gelingen des Vorhabens. Gut möglich, dass es wegen der gescheiterten Gemeinschaftsfirma zum Bruch mit Grossaktionär Sabic kam. Die Saudis kauften ihr Aktienpaket Anfang 2018 von einem aktivistischen Investoren-Trio aus den USA. Letzteres torpedierte den Versuch Clariants, mit dem US-Konkurrenten Huntsman zu fusionieren. Da die Amerikaner keinen konkreten Plan für die Zeit danach hatten, verkauften sie ihren Anteil an Sabic.
Dass die Saudis Clariant nun ganz kaufen werden, erscheint unwahrscheinlich. Es gibt wenig Gründe, die Baselbieter Firma komplett zu übernehmen, nachdem die geplante Gemeinschaftsfirma nicht zustande kam.