Die Idee war bestechend und stiess auf Zuspruch: 2015 schickten der Bund und der Schweizerische Bauernverband (SBV) in einem Projekt anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene zur Arbeit auf das Feld oder in den Stall.
Man sprach von einer Win-win-Situation: Die Flüchtlinge – viele von ihnen erwerbslos – kriegten Arbeit, Lohn und damit Selbstständigkeit und machten so einen wichtigen Schritt in Richtung Integration. Die Bauern dürften auf zupackende Hände hoffen, und – eigentlich müsste man ein drittes «Win» hinzufügen – das nach dem Ja zur Zuwanderungsinitiative der SVP von 2014 oft beschworene Inländerpotenzial würde besser ausgeschöpft. Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene gehören schliesslich zu den Inländern. Auf alle Fälle könnten ein paar Schutzbedürftige in der Landwirtschaft zumindest zum Teil die Hunderten von Gastarbeitern aus Portugal und Polen ersetzen, die jedes Jahr temporär auf Schweizer Höfen aushelfen.
Der Versuch ist nun zu Ende, und SBV-Direktor Jacques Bourgeois zog gestern Bilanz zusammen mit Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration (SEM). Als Ort dafür auserkoren worden war sinnbildlich das kantonale landwirtschaftliche Bildungszentrum Inforama in Zollikofen bei Bern.
Die Bilanz nach drei Jahren in Zahlen: Total 30 Teilnehmer begannen zwischen Mai 2015 und Dezember 2017 auf einem der 17 Betriebe in 8 Kantonen ihre Arbeitseinsätze. 17 fanden danach eine Anschlusslösung, 10 blieben nach dem Arbeitseinsatz beim selben Arbeitgeber.
Die Betriebe hatten insgesamt sogar 45 Arbeitseinsätze angeboten, dafür konnten jedoch nicht genug Teilnehmer gefunden werden. 24 der 30 Teilnehmer führten den Einsatz auch regulär zu Ende, 6 brachen frühzeitig ab. Zu den Abbrüchen kam es etwa aufgrund mangelnder Arbeitsleistung, untragbarer Arbeitsbedingungen bis hin zu Konflikten, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einhaltung des Ramadans.
Hinzu kamen weitere Schwierigkeiten: So kommt die von der Berner Fachhochschule verfasste Evaluation über das Projekt zum Schluss, dass die Arbeitseinsätze der Integration gar nicht in jedem Fall förderlich waren. Zum einen bei der Sprache, weil gerade auf Grossbetrieben meist nicht die Landessprache vorherrscht, sondern jene der Erntehelfer aus Ost- oder Südeuropa.
Zum anderen waren manche der abgelegenen Betriebe ohne Auto kaum zu erreichen. Weil aber die wenigsten der Flüchtlinge über einen Führerschein oder ein Auto verfügen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Wohnung zu kündigen und für den Einsatz auf den Betrieb zu ziehen. Was für manche bedeutete, dass sie unmittelbar nach dem Einsatz auf dem Bauernhof ohne Bleibe dastanden. Doch nicht nur das. Weil die Sozialhilfe wegen des temporären Erwerbs eingestellt worden war, mussten die Teilnehmer ohne Anschlusslösung unmittelbar nach dem Arbeitseinsatz erst wieder Sozialhilfe beantragen und waren bis dahin ohne Betreuung.
Trotz diesen Schwierigkeiten und den Problemen, überhaupt genügend geeignete Teilnehmer zu finden, wollen die Verantwortlichen keinesfalls von einer mageren Ausbeute sprechen. Mehr noch: Staatssekretär Gattiker setzt auch künftig auf die Landwirtschaft und sieht in den Lehren des Pilotprojekts wichtige Erfolgsgaranten für die sogenannte Integrationsvorlehre, die dieser Tage beginnt (siehe Infobox unten).
«62 Prozent der anerkannten Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen sind unter 26 Jahre alt», sagte Gattiker gestern. Diese Leute müssten ausgebildet werden. «Mit der Integrationsvorlehre können wir pro Jahr bis zu 1000 von ihnen eine Perspektive auf eine reguläre Berufslehre oder einen Einstieg in den Arbeitsmarkt geben.»
Die Landwirtschaft leistet dazu einen Bärenanteil. Gemäss SEM sind bis zu 12 Prozent der Stellen aus dem Landwirtschaftsbereich, mehr Angebote gibt es nur in der Gastro- und Logistikbranche.
«Primäres Ziel des Projekts mit dem Bauernverband war nicht die Arbeitsvermittlung, sondern herauszufinden, welche Rahmenbedingungen es braucht, damit eine solche Vermittlung auch nachhaltig funktioniert», sagte Gattiker. Was das heisst, zeigt sich anhand der Integrationsvorlehre im Kanton Bern, der neben den Kantonen Aargau, Freiburg, Neuenburg und Tessin ein solches Angebot in der Landwirtschaft hat. Letzte Woche startete 12 Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene ihre Anlehren auf Berner Höfen. Statt an fünf Tagen pro Woche wie im nationalen Pilotprojekt verbringen sie nur drei Wochentage auf dem Betrieb. An zwei Tagen gehen sie zur Berufsschule. Das wichtigste Fach: Deutsch. Schliesslich gilt die Landessprache zusammen mit der Arbeitstätigkeit als A und O der Integration.