Orange auf grauem Grund prangen die Werte auf der Website des Global Slavery Index 2018. Es handelt sich um die Länder-Daten für die Schweiz. Sie sind das Resultat einer umfassenden Untersuchung, welche die International Labour Organization und die Menschenrechtsorganisation Walk Free Foundation am Donnerstag veröffentlicht haben.
Weltweit leben gemäss dem Bericht 40,3 Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. Am prekärsten ist die Situation in Nordkorea, wo jeder zehnte Einwohner Zwangsarbeit leisten muss. Dahinter folgen unter anderem Eritrea, Burundi, Afghanistan und die Zentralafrikanische Republik.
Die Schweiz landet auf Platz 146 der 167 untersuchten Länder. Sie ist damit im internationalen Vergleich kein Brennpunkt – die Problematik bereitet den Behörden aber auch hierzulande Kopfzerbrechen. «Es ist eine traurige Realität, dass moderne Sklaverei in der Schweiz existiert», bekräftigt Lulzana Musliu, Sprecherin des Bundesamts für Polizei (Fedpol).
Ein paar Fakten:
Am meisten Opfer konnten in den letzten Jahren in der Schweiz im Bereich der Prostitution identifiziert werden. Allerdings kamen laut Fedpol auch vermehrt Fälle ans Licht, in denen Personen auf dem Bau, in Hotels, im Catering-Sektor, in der Landwirtschaft oder in privaten Haushalten unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten mussten.
Während international auch immer wieder Menschen von Organhändlern ausgebeutet werden, haben die Schweizer Behörden bislang keine Kenntnis von solchen Fällen.
Die bisher identifizierten Opfer stammen gemäss Fedpol häufig aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Thailand, China und Nigeria. Oftmals kommen sie aus bitterarmen Verhältnissen und haben in ihrer Heimat keine wirtschaftliche Perspektive. Eine besonders gefährdete Gruppe stellen laut Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu Asylsuchende dar.
Die Menschenhändler sind häufig Landsleute ihrer Opfer. Sie sind vorwiegend männlich, in thailändischen und westafrikanischen Menschenhändlerringen haben jedoch teilweise auch Frauen eine Schlüsselrolle inne.
Einen Eindruck davon, was die Betroffenen durchmachen müssen, vermittelte der Prozess gegen eine Thailänderin, der Anfang Monat in Biel stattfand. Die 58-jährige Frau, die von ihren Opfern nur mit «Ma’am» angesprochen wurde, lockte thailändische Frauen und Transsexuelle in die Schweiz. Hier mussten sich die Opfer an 7 Tagen pro Woche 24 Stunden für Freier bereithalten. Die Prostituierten schliefen meist im gleichen Zimmer, in dem sie auch anschafften. Ohne Erlaubnis durften sie das Bordell nicht verlassen.
Laut einem Fedpol-Bericht kommt es vor, dass die Betroffenen eingeschlossen oder permanent überwacht werden. «Den Opfern wird teilweise jeglicher Kontakt zur Aussenwelt verwehrt. Die Menschenhändler nehmen ihnen die Papiere ab und zwingen sie, fiktive Schulden in horrenden Höhen abzuzahlen», so Fedpol-Sprecherin Musliu. Häufig würden die Betroffenen psychisch und physisch misshandelt.
Häufig locken die Menschenhändler ihre Opfer mit falschen Versprechen ins Land – etwa, indem sie ihnen einen gut bezahlten Job oder eine Ausbildung in Aussicht stellen. «Von einem Leben in der Schweiz erhoffen sich die Betroffenen ein besseres Leben und die Möglichkeit, ihre Familie zu Hause finanziell zu unterstützen», so Musliu.
Ein bekannter Modus Operandi sei auch die sogenannte «Lover-Boy»-Masche: Ein junger Mann gaukelt einer Frau aus armen Verhältnissen die grosse Liebe vor und überredet sie, mit ihm in die Schweiz zu kommen. Hier angelangt, zeigt der angebliche Liebhaber sein wahres Gesicht. Als Zuhälter verkauft er die Frau an Freier und beutet sie aus.
Nicht immer leben moderne Sklaven illegal in der Schweiz. Frauen aus dem EU-Raum reisen unter Umständen ganz legal ein und verfügen hier über die nötigen Aufenthaltsrechte.
125 Fälle von Menschenhandel tauchen in der polizeilichen Kriminalstatistik des vergangenen Jahres auf. Ob die Schätzung des Global Slavery Index, wonach 14’000 moderne Sklaven in der Schweiz leben, zutrifft, kann Musliu nicht sagen. «Tatsache ist, dass es unglaublich schwierig ist, den Menschenhändlern das Handwerk zu legen, und die Dunkelziffer darum enorm hoch sein dürfte.»
Die Taten spielen sich oft im Verborgenen ab. Die Betroffenen gehen nicht zur Polizei, weil sie Konsequenzen von ihren Peinigern fürchten oder den Behörden misstrauen.
Vor zehn Tagen hat das Fedpol eine neue Massnahme im Kampf gegen den Menschenhandel angekündigt. Mit einer Kampagne sollen Fachpersonen im Gesundheitswesen sensibilisiert werden, damit sie potenzielle Opfer erkennen. Auch Mitarbeiter von Arbeitsinspektoraten, Staatsanwaltschaften, Polizeien und Migrationsbehörden werden entsprechend geschult.
Bis 2020 soll ein nationaler Aktionsplan mit insgesamt 28 Punkten umgesetzt sein. Dazu gehört etwa eine Arbeitsgruppe, die ihr Augenmerk speziell auf den Asylbereich richtet. Weiter habe das Fedpol die internationale Zusammenarbeit verstärkt und mit Herkunftsländern wie Rumänien oder Bulgarien Polizeiabkommen abgeschlossen, so Musliu. «In Bangkok hat die Schweiz gar eigens einen Polizeiattaché stationiert, der die Ermittlungen der Schweizer Strafverfolgungsbehörden vor Ort unterstützt.»
Im Global Slavery Index erhält die Schweiz für ihre Anstrengungen im Kampf gegen die moderne Sklaverei die zweitbeste Bewertung «BBB». Noch besser schneiden im Vergleich unter anderem die Niederlande, die USA, Grossbritannien, Schweden, Belgien, Kroatien und Montenegro ab.
Während die Bürger der grossen Industriestaaten ein relativ geringes Risiko haben, selber in die Fänge von Menschenhändlern zu geraten, konsumieren sie viele Güter, die unter menschenrechtswidrigen Umständen hergestellt wurden. Darauf machen die Autoren des Global-Slavery-Berichts aufmerksam. Computer, Smartphones, Kleider, Fische, Kakao und Zucker sind die Importprodukte, die am häufigsten von modernen Sklaven gefertigt oder verarbeitet werden.
Neben der Politik und der Wirtschaft müssten sich auch die Konsumenten dessen bewusst werden und Verantwortung übernehmen, so die Studienautoren. Lobend erwähnen sie in diesem Zusammenhang die Konzernverantwortungs-Initiative, über die das Schweizer Stimmvolk in naher Zukunft abstimmen soll. Das Begehren will Schweizer Konzerne verpflichten, Menschenrechte und Umwelt auch im Ausland zu respektieren.
Für den Global Slavery Index haben die Autoren öffentliche Daten sowie Informationen von NGOS und Universitäten aus 167 Ländern untersucht. Ausserdem befragten sie 50 Menschen, die aus Nordkorea geflohen waren.