Es ist eines der grössten Problemfelder der Schweizer Politik: das Gesundheitswesen. Die Kosten für die Bevölkerung – für jeden einzelnen – steigen seit Jahren. Und damit auch die Krankenkassenprämien. Doch was hilft dagegen? Sollen die Prämien fix gedeckelt werden? Oder hilft eine Kostenbremse? SP und CVP haben dazu je eine Volksinitiative eingereicht. Am Mittwoch hat der Bundesrat erklärt, welche Rezepte er bevorzugt.
Der Bundesrat lehnt eine Kostenbremse im Gesundheitswesen ab, wie das die CVP mit ihrer Volksinitiative fordert: Steigen die Kosten jährlich stärker als die Löhne, müssen Kostensenkungsmassnahmen durchgesetzt werden. Diese Koppelung an die Lohnentwicklung hält die Landesregierung aber für zu starr und undifferenziert. Es bestehe sogar die Gefahr, dass eine fixe Ausgabenregel zu einer Zweiklassenmedizin führe. So könnten notwendige Behandlungen aufgeschoben werden. Das grundsätzliche Anliegen der Initianten teilt der Bundesrat jedoch. Deshalb will er neu eine Zielvorgabe im Krankenversicherungsgesetz einführen – er hat einen indirekten Gegenvorschlag zum Volksbegehren beschlossen.
Konkret will er zusammen mit den Kantonen und den weiteren Akteuren festlegen, wie stark die Kosten in den einzelnen Bereichen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wachsen dürfen. Werden diese Vorgaben überschritten, sollen in erster Linie die gesundheitspolitischen Akteure Massnahmen ergreifen müssen. Neu ist die Idee nicht: Der Bundesrat hatte bereits früher angekündigt, im Rahmen des zweiten Kostendämpfungspakets eine Zielvorgabe einzuführen.
Auch davon hält er wenig. Zwar ist er sich bewusst, dass die Prämien eine «bedeutende Belastung für die Haushalte darstellen». Im Schnitt geben die Schweizerinnen und Schweizer 14 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Prämien aus. Aber der Bundesrat kritisiert, dass die SP-Initiative keinen ausreichenden Anreiz zur Kostendämpfung schaffe. Diese verlangt, dass die individuelle Prämienverbilligung neu zu mindestens zwei Drittel durch den Bund und der verbleibende Betrag durch den jeweiligen Kanton finanziert wird. Die Kantone können die Gesundheitskosten beeinflussen, also sollen sie auch den Hauptteil der Prämienverbilligung bezahlen, argumentiert der Bund.
Stattdessen will er auch zur SP-Initiative einen indirekten Gegenvorschlag unterbreiten: Dieser sieht vor, dass der Kantonsbeitrag an die Prämienverbilligungen neu an die Bruttokosten im Gesundheitswesen geknüpft wird. Gemäss diesem Mechanismus müssten Kantone mit höheren Kosten und stärkerer Prämienbelastung insgesamt mehr zahlen als die Kantone mit tieferen Kosten. Der bereits heute kostenabhängige Bundesbeitrag bliebe unverändert.
Konkret soll die Prämienverbilligung aufgrund von zwei Faktoren berechnet werden: Einerseits der kantonalen Gesundheitskosten (Prämien plus Kostenbeteiligung der Versicherten), andererseits der verbleibenden Prämienbelastung (Prämie zulasten des Haushalts im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen).
Auf 777 Millionen Franken schätzt der Bund die zusätzlichen Kosten der Prämienverbilligung, basierend auf Zahlen von 2017. «Im Vergleich zur Volksinitiative der SP steigen diese zusätzlichen Kosten im Laufe der Zeit deutlich weniger», hält der Bundesrat fest. 17 der 26 Kantone müssten mit Mehrkosten rechnen. Mit Abstand am stärksten betroffen wäre Bern mit Mehrkosten von 248 Millionen Franken, es folgt Zürich mit 135 Millionen. Die beiden Grosskantone machen damit bereits die Hälfe aus. Jeweils rund 70 Millionen betragen die Mehrkosten in den Kantonen Aargau, St. Gallen, Baselland und Luzern. Bei einem Ja zur SP-Initiative rechnet der Bund im Jahr 2025 mit zusätzlichen Kosten von 6 Milliarden Franken.
Bundesrat Alain Berset erinnerte an ein Gentlemen's Agreement zwischen dem Bund und den Kantonen. Demnach teilen sich die beiden Akteure die Kosten für die Prämienverbilligungen hälftig. Im Laufe der letzten Jahre ist der prozentuale Anteil der Kantone jedoch zurückgegangen, der Bund zahlt hingegen mehr als die 50 Prozent. Der Bund kann sich nicht so einfach aus der Finanzierung zurückziehen wie die Kantone. Der Bundesbeitrag ist fixiert auf 7.5 Prozent der Bruttokosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.
Der Gegenvorschlag zur SP-Initiative würde dazu führen, dass mehr Geld für die individuelle Prämienverbilligung zur Verfügung stünde. Das würde bedeuten, dass entweder mehr Personen von der Verbilligung profitieren würden – oder dass der Betrag pro Person erhöht wird, wie der Bundesrat in einem Bericht schreibt. Beide indirekten Gegenvorschläge sollen zudem das Wachstum der Gesundheitskosten – und damit auch der Krankenkassenprämien – bremsen.
Nein. Die SP spricht von einem «Schlag ins Gesicht aller Prämienzahlenden». Der Gegenvorschlag sei eine «Trickserei», wird SP-Nationalrätin Barbara Gysi in der Mitteilung zitiert. Die Prämien seien in den letzten 20 Jahren im Vergleich zu den Löhnen und Renten explodiert – und die Coronakrise werde dieses Ungleichgewicht weiter verschärfen, warnt die SP. Der Gegenvorschlag sei ungenügend.
Etwas zufriedener zeigt sich die CVP. Sie ist zwar enttäuscht, dass der Bundesrat ihre Initiative ablehnt. «Einmal mehr zeigt er damit, dass er nicht bereit ist, die Kostenexplosion im Gesundheitswesen rasch und entschieden anzugehen», kritisiert sie. Dass der Bundesrat mit einem indirekten Gegenvorschlag eine konkrete Zielvorgabe anstrebt, begrüsst die CVP hingegen.
Beim Gegenvorschlag zur Prämienverbilligung ginge die Zusatzbelastung einseitig zulasten der Kantone. Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren erklärt auf Anfrage, man müsse den Gegenvorschlag zuerst näher prüfen; auch vor dem Hintergrund, dass die Kantone in sehr unterschiedlicher Weise betroffen seien.
Der Verband Santésuisse äussert sich zurückhaltend positiv. Es sei «zu begrüssen, dass der Bundesrat die Anliegen der Prämienzahler ernst nimmt und etwas gegen das ungebremste Kostenwachstum unternimmt», erklärt Sprecher Manuel Ackermann. Santésuisse will nun im Detail prüfen, «inwiefern der Gegenvorschlag des Bundesrates zur CVP-Initiative für die Prämienzahler eine Entlastung bringen könnte» - sprich: ob dieser tatsächlich taugt. Zum anderen Gegenvorschlag äussert sich Santésuisse ähnlich.
Über die indirekten Gegenvorschläge wird das Parlament entscheiden. Es kann diese abändern – oder auch versenken. Halten die Parteien an ihren Initiativen fest, wird das Stimmvolk dereinst darüber abstimmen.
Erinnern wir uns doch noch an den letzen Versuch die Abzockerei der Prämienzahler zu stoppen.
1. Ärmere müssen sich extra mit Formularen, Anträgen und Beamten rumschlagen für ein Vielleicht?
2. Die Reichen juckt es weiterhin gar nicht.
3. Der Mittelstand darf es ausbaden und wird weiter reduziert?