Mit kaum einem Thema tut sich die Schweizer Politik so schwer wie mit dem Eigenmietwert. Er wurde 1915 während des Ersten Weltkriegs erstmals eingeführt, um wegbrechende Zollerträge zu kompensieren. 1958 wurde er durch einen Volksentscheid gesetzlich verankert, und seither gab es immer wieder Bestrebungen, ihn abzuschaffen.
Bürgerlichen Politikern und Hauseigentümern ist diese fiktive Mieteinnahme aus einer selbst bewohnten Liegenschaft schon lange ein Dorn im Auge. Doch bisher sind alle Versuche zur Abschaffung gescheitert, in der Volksabstimmung oder schon im Parlament. Am Dienstag nahm der Ständerat einen neuen Anlauf, um dem Eigenmietwert den Garaus zu machen.
Der Eigenmietwert ist tatsächlich ein seltsames Konstrukt. Man zahlt Steuern auf ein Einkommen, das in der Realität gar nicht existiert. Und doch gibt es Gründe, warum er eingeführt wurde. Wer ein Haus besitzt, wohnt darin «gratis» und kann erst noch diverse Steuerabzüge geltend machen, etwa für Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten.
Mieterinnen und Mieter hingegen müssen fürs Wohnen bezahlen und können steuerlich nichts abziehen. Dadurch entsteht eine Ungleichbehandlung, die gegen das solidarische Steuersystem verstösst. Der Eigenmietwert sorgt für einen Ausgleich. Er entspricht rund 60 bis 70 Prozent des Betrages, den ein Mieter für das Wohnobjekt pro Jahr bezahlen müsste.
Befriedigend ist dieses Konstrukt nicht. Im Raum steht deshalb ein kompletter Systemwechsel, den auch die vorberatende Kommission des Ständerats vorschlägt: Der Eigenmietwert fällt weg, dafür können auch keine Schuldzinsen mehr abgezogen werden.
Es wäre eine auf den ersten Blick elegante Lösung, die einen Anreiz schaffen würde, um die im internationalen Vergleich hohe Verschuldung der Schweizer Privathaushalte zu reduzieren. Sie basiert im Wesentlichen auf Hypothekarkrediten. Doch «der Teufel liegt im Detail», wie Finanzminister Ueli Maurer in der ständerätlichen Debatte erklärte.
Der Eigenmietwert ist für Kantone wie Graubünden und Wallis, die einen hohen Anteil an Zweitwohnungen aufweisen, eine wichtige Einnahmequelle. Ihr Widerstand bei der totalen Abschaffung wäre programmiert. Der Ständerat will die Besteuerung des Eigenmietwerts deshalb nur für selbst genutztes Wohneigentum am Wohnsitz beseitigen.
Eine solche Ungleichbehandlung aber wäre rechtlich fragwürdig. «Wie will man begründen, dass der Eigenmietwert als ‹Naturaleinkommen› am Hauptwohnsitz nicht mehr besteuert wird, im Chalet aber – wo man ein paar Wochen im Jahr verbringt – immer noch? Das geht nicht auf», meint die NZZ. Ein solcher Murks dürfte «kaum mehrheitsfähig sein».
Im Sinne der Wohneigentumsförderung will der Ständerat, dass erstmalige Käufer einer selbst bewohnten Liegenschaft während zehn Jahren einen begrenzten Abzug für Hypozinsen geltend machen können. Das entspricht einer Aufweichung des kompletten Systemwechsels, ist aber nachvollziehbar und weitgehend unbestritten.
Doch auch der Systemwechsel hat es in sich. Die Sache ist komplex. Ein Beispiel ist der Besitzer einer Zweitwohnung, der diese vermietet und die Einnahmen als real existierendes Einkommen versteuern muss, aber keine Schuldzinsen mehr abziehen kann. Dies wäre nach Ansicht des Bundesrats wohl verfassungswidrig, weshalb der Ständerat doch wieder einen allgemeinen Abzug beschloss.
Er soll im Umfang von 70 Prozent der steuerbaren Vermögenserträge erlaubt sein. Das trieb die Linke auf die Barrikaden. Der Solothurner SP-Ständerat Roberto Zanetti rechnete vor, dass «Normalverdiener» im heutigen Nullzins-Umfeld kaum Erträge aus ihrem Vermögen hätten, während Villenbesitzer etwa dank Dividenden hohe Abzüge geltend machen könnten.
Ein weiteres Problem sind Rentnerinnen und Rentner, die im eigenen Haus leben. Sie haben oft ihre Hypotheken abbezahlt und können keine Zinsen mehr abziehen, müssen aber weiterhin den Eigenmietwert versteuern, bei häufig reduziertem Einkommen. Der Hauseigentümerverband lancierte deshalb die Volksinitiative «Sicheres Wohnen im Alter».
Hausbesitzer im Rentenalter hätten demnach wählen können, ob sie den Eigenmietwert versteuern wollen. Falls nicht, hätten sie weniger Abzüge geltend machen können. Der Bundesrat lehnte die Initiative mit dem Argument ab, dass vor allem reiche Rentner profitiert hätten. Auch das Stimmvolk sagte 2012 nach anfänglicher Sympathie knapp Nein.
Die Thurgauer Mitte-Ständerätin Brigitte Häberli sagte dem SRF, für ältere Personen sei «die Last des Eigenmietwerts gewaltig». Die Vizepräsidentin des Hauseigentümerverbands räumte aber ein, dass «noch nichts in trockenen Tüchern» sei. Tatsächlich warnte selbst Bundesrat Ueli Maurer mit Blick auf ein Referendum davor, «das Fuder zu überladen».
In ihrer jetzigen Form ist die Vorlage stark absturzgefährdet. Die Linke will sie bekämpfen, auch die Kantone haben sich skeptisch geäussert. Der Ständerat stimmte am Dienstag mit 20 zu 17 Stimmen bei zwei Enthaltungen nur knapp zu. Einiges deutet darauf hin, dass sie schon im Parlament scheitern und der Eigenmietwert sich als «unzerstörbar» erweisen wird.
Denn eines hat sich über die Jahre nicht geändert: Die Schweiz ist ein Volk von Mieterinnen und Mieter. Mehr als 60 Prozent der Haushalte wohnen zur Miete. Und mit den für breite Kreise immer unerschwinglicheren Preisen für Wohneigentum wird sich daran so schnell nichts ändern.
Die Liegenschaftssteuer in einigen Kantonen geht bereits in diese Richtung.
Wer nur eine bis max. 2 Immobilien besitzt, wird dann profitieren. Wer zahlreiche Immobilien besitzt und viele davon als Spekulationsobjekte leerstehen lässt, zahlt stark drauf.