Die Manager der Credit Suisse haben sich bis zuletzt gewehrt – und zwar gegen so ziemlich alles: gegen die Auflagen der Aufsichtsbehörde, gegen lebenserhaltende Liquiditätsspritzen, gegen Rettungshilfen, gegen realistische Einschätzungen zum Zustand ihrer Bank – und vor allem gegen den Zwangsverkauf an die UBS.
Noch am Tag vor dem definitiven Aus der Traditionsbank brachten die CS-Oberen mit dem Vermögensverwalter Blackrock einen alternativen Retter ins Spiel. Ein Manöver, das der Bundesrat noch am selben Tag als «Pseudolösung» taxierte, mit der die Behörden «einige Stunden verloren hätten», wie dem PUK-Bericht zu entnehmen ist.
Angesichts des wiederholt renitenten Verhaltens der Credit-Suisse-Bosse ist es wohl nicht verwunderlich, dass ihnen letztlich gar niemand mehr zuhören mochte. Auch dann nicht, als sie davor warnten, die AT1-Anleihen zu entwerten. Sie wurden abgeschrieben: Um 22.01 Uhr, also kurz nach der historischen Pressekonferenz vom 19. März 2023 zum Ende der Credit Suisse, legte die Finanzmarktaufsicht (Finma) die entsprechende Verfügung vor. Damit verloren die Anleihehalter nominell 16 Milliarden Franken, während die Schuldenlast der Credit Suisse um ebendiesen Betrag verkleinert wurde.
AT1-Anleihen sind verlustabsorbierende Papiere, die in dem Fall, dass eine systemrelevante Bank auf staatliche Hilfe angewiesen ist, entweder von Fremd- in Eigenkapital umgewandelt oder – wie im vorliegenden Fall – ganz abgeschrieben werden können. Ob dies im Fall der Credit Suisse zurecht geschehen ist oder ob für einmal die CS-Manager im Recht gewesen wären, das müssen jetzt Gerichte entscheiden.
Und das werden sie: Denn «im Zusammenhang mit den AT1-Kapitalinstrumenten sind am Bundesverwaltungsgericht rund 320 Beschwerden eingegangen», wie das Gericht in St.Gallen auf Anfrage festhält. Diese umfassten ungefähr 3000 Beschwerdeführende. Insgesamt dürften diese Gläubiger – Privatpersonen und institutionelle Anleger wie Pensionskassen – gemessen am Nennwert der Anleihen rund 7 bis 8 Milliarden Franken verloren haben, wie Prozessbeobachter schätzen.
In der Westschweiz hat Jean-Pierre Jacquemoud von der Kanzlei Jacquemoud Stanislas, bei der auch der ehemalige Mitte-Nationalrat Guillaume Barazzone tätig ist, AT1-Gläubiger gesammelt. Die grösste Gruppe führt Thomas Werlen von der international tätigen Anwaltskanzlei Quinn Emanuel an. Die Kanzlei vertritt knapp 1000 Gläubiger mit Forderungen von rund 5,5 bis 6 Milliarden Franken.
Die Anwälte suchen nun im PUK-Bericht nach neuen Indizien, die ihre Argumentationslinie stützen – nämlich, dass die Abschreibung eben nicht angeordnet wurde, weil die Voraussetzungen in den AT1-Vertragsbedingungen erfüllt waren, sondern weil sie Teil des Deals zwischen den Behörden und der UBS war. Dazu haben sie eine Arbeitsgruppe gegründet, in der sich diese regelmässig austauschen.
Ein Indiz hierfür befindet sich auf Seite 424 des PUK-Berichts: Dort heisst es, dass die PUK es für glaubwürdig hält, «dass die UBS dem Zusammenschluss mit der CS ohne Abschreibung der AT1-Anleihen nur zugestimmt hätte, wenn der Bund weitaus höhere Garantien zugesprochen hätte». Mit anderen Worten: Der Bund hätte der UBS eine Verlustgarantie von 25 Milliarden Franken geben können – statt einer von «nur» 9 Milliarden Franken kombiniert mit der AT1-Abschreibung der 16 Milliarden Franken.. Doch die Bundesbehörden hätten einen «zweistelligen Milliardenbetrag (...) kategorisch abgelehnt», wie es im PUK-Bericht an einer anderen Stelle heisst.
In dieser Logik war der AT1-Abschreiber letztlich eine Möglichkeit für den Bund, sein eigenes finanzielles Risiko zu minimieren. Die PUK bezeichnet denn auch «die Vorbereitung der Anordnung zur AT1-Abschreibung» als «zweckmässig». Ob sie auch rechtskonform war, lässt sie offen.
Dem Verwaltungsrat der Finma wurde die Abschreibung der AT1-Anleihen am Krisensamstag, dem 18. März 2023, als «notwendiger, unverhandelbarer Teil und damit als Eckwert des Deals für die UBS» beschrieben. So jedenfalls ist es gemäss PUK in den Verwaltungsratsprotokollen der Finma festgehalten. Weiter wurde festgehalten, dass beim Verkauf Liquidität via Public Liquidity Backstop (PLB) notwendig sei, was staatlicher Unterstützung entspreche und zur AT1-Abschreibung führe.
Allzu vertieft in die Materie hat sich der Bund allerdings nicht eingearbeitet, wie aus dem PUK-Bericht ebenfalls hervorgeht. Das normalerweise für juristisch umstrittene Fragen herangezogene Bundesamt für Justiz (BJ) wurde diesbezüglich erst in den letzten Krisentagen involviert. Am Samstag, 18. März sei dem BJ gegenüber «auch die Abschreibung von AT1-Anleihen erwähnt» worden, heisst es im Bericht. «Der Einbezug des BJ in diesem Thema war oberflächlich. Insbesondere waren die in den Emissionsbedingungen vorgesehenen genauen Bedingungen für eine Abschreibung nicht bekannt.»
Der Bund ging letztlich auf Nummer sicher und hat dafür nachträglich die Notverordnung vom 16. März 2023 angepasst: Am 19. März wurde der Artikel 5a eingefügt, wonach die Finma bei der Gewährung des PLB, also einer Liquiditätsspritze mit staatlicher Ausfallgarantie, die CS anweisen könne, zusätzliches Kernkapital abzuschreiben. Damit wollten die Behörden «der Finma eine zusätzliche, ‹klarere Rechtsgrundlage› für die Anweisung zur Abschreibung zu schaffen», wie es im PUK-Bericht heisst.
Auch innerhalb der Finma scheint es Zweifel gegeben zu haben, wie dem PUK-Bericht zu entnehmen ist. So heisst es dort mit Bezug auf entsprechende Protokolle, dass sich der Finma-Verwaltungsrat am 24. Oktober 2022 vom zuständigen Finma-Dossierführer, Alain Girard, habe erklären lassen, dass ein Einsatz des PLB «die Abschreibung der AT1-Anleihen zur Folge haben könnte». Ein Konjunktiv, der viele Fragen offen lässt.
Auch der Ausschuss Finanzkrisen (AF), dem nebst dem Ex-Finma-Chef Urban Angehrn auch der damalige Nationalbank-Vize Martin Schlegel sowie die beiden Spitzenbeamtinnen aus dem Finanzdepartement, Schatzmeisterin Sabine D'Amelio-Favez sowie Staatssekretärin Daniela Stoffel, angehörten, hat sich im Oktober 2022 mehrmals mit den AT1-Anleihen befasst. Das Gremium erörterte unter anderem die Frage, «ab welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen die AT1-Anleihen abgeschrieben werden könnten». Dabei wurde auch diskutiert, ob der PLB einen «Viability Event» darstellen würde, also ein Ereignis, das die Überlebensfähigkeit der Bank infrage stellt und folglich die Abschreibung zur Folge hat.
Für die klagenden Gläubiger und ihre Anwälte ist klar: Die besagten AT1-Anleihen hätten nur bei einem Eigenkapitalmangel abgeschrieben werden können, nicht bei einem Liquiditätsengpass – und damit auch nicht bei einem PLB. Denn hier übernimmt zwar der Bund die Ausfallgarantie, es bleibt aber ein Liquiditätsinstrument. Die 9 Milliarden Franken staatliche Verlustgarantie kamen zudem nicht der Anleihen herausgebenden Credit Suisse zugute, sondern der UBS.
Deshalb fordern die Beschwerdeführer jetzt vor Bundesverwaltungsgericht, dass die Finma-Verordnung als ungültig erklärt wird. Sollten sie damit abblitzen, weil das Gericht die Abschreibung angesichts der damals dramatischen Lage und einer drohenden Finanzkrise als verhältnismässig taxiert, verlangen einige von ihnen Entschädigung wegen Enteignung. Sollten die Gläubiger hingegen recht bekommen, dann müsste die Abschreibung der Anleihen rückgängig gemacht werden. Oder anders gesagt: Die UBS müsste die Bonds wieder zum Leben erwecken. Die Grossbank dürfte ein solches Verdikt nicht einfach so hinnehmen – und wiederum den Bund in die Verantwortung ziehen.
Die Credit Suisse ist Geschichte, juristisch hingegen dürfte noch so manches Kapitel geschrieben werden. (aargauerzeitung.ch)
Sie haben gezockt und verloren, aber es ist nicht so, dass die meisten von diesen Anleihenbesitzern nicht auch von der Übernahme profitiert haben. Viele hatten auch beachtliche Aktienpakete, die jetzt dank der Übernahme deutlich mehr wert sind als null.
Schuld an diesem Schlamassel sind weder der Bund nocht die UBS. Es sind einzig und allein die CS-Manager.
Eigentlich müssten diese nun auch dafür bluten!