Herr Pisaneschi, was sind es für Menschen, die zu Ihnen kommen, weil sie keinen Job finden?
Sandro Pisaneschi: Ich berate Jugendliche, die auf der Suche nach einer Lehrstelle sind und jene, die ihre Lehre abgeschlossen haben, aber keinen Job finden. Ausserdem Menschen, die im Alter von 50 Jahren oder älter ihre Stelle verloren haben – für die gestaltet sich die Suche oftmals schwer. Und dann habe ich noch Klienten, die unter einer Behinderung leiden. Ein Mensch, der zum Beispiel nichts hören kann, braucht bei der Jobsuche unbedingt Hilfe.
Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus?
Ich gehe nicht über die normalen Stelleninserate, sondern versuche das Problem über Netzwerke zu lösen. Ich fahre zu verschiedenen Firmen, zeige dort die Vorteile und Stärken meiner Klienten auf und versuche über das Gespräch eine Lösung zu finden. Ich verstehe mich zum Teil als eine Art Klinkenputzer.
Das heisst, ich komme zu Ihnen, sage, dass ich keine Stelle finde, und dann machen Sie sich für mich auf die Suche?
Ganz so einfach ist es nicht. Viel besser ist es, wenn Sie die Lösung für Ihr Problem selbst finden – das heisst, wenn Sie sich in Ihrem eigenen Netzwerk umhören. Ich nehme dann nur die Position des Coaches ein, damit mein Klient sich besser auf dem Arbeitsmarkt positionieren kann.
Das müssen Sie genauer erklären.
Wenn beispielsweise ein 50-Jähriger eine Online-Bewerbung abschickt, dann wird sein Dossier in vielen Fällen gar nicht erst angeschaut, er bekommt eine Absage. Dasselbe gilt für eine Person, die durch ein Burnout zwei Jahre ausgefallen ist. Ich bringe meinen Klienten bei, wie sie mit diesem «Manko» umgehen, sich besser erklären und ihre Stärken hervorheben können.
Dafür müssen sie aber um die klassische Online-Bewerbung herumkommen.
Ganz genau. Und da kommt die Sache mit dem Vitamin B ins Spiel. Ich motiviere meine Klienten dazu, ihr eigenes Netzwerk zu aktivieren. Wenn eine Bewerbung durch eine Empfehlung eines Freundes beim potenziellen Arbeitgeber ankommt, dann schafft das Vertrauen, das ist sehr viel wert.
Und wenn der Klient kein solches Netzwerk hat?
Das kommt auch vor. Es gibt ja auch Menschen, die einfach sehr zurückgezogen leben. Das ist eben der Moment, in dem ich in meiner Funktion als Klinkenputzer zum Einsatz komme. Dann suche ich ganz konkret nach Firmen, die passen könnten, und gehe auf die zu.
Gibt es hoffnungslose Fälle, für die sich einfach keine Stelle finden lässt?
Ich bin Berufsoptimist. Manchmal suche ich die Nadel im Heuhaufen, weil ich jemanden betreue, den andere als «hoffnungslosen Fall» abgeschrieben hätten. Wenn so etwas klappt, ist die Freude über den Erfolg natürlich besonders gross.
Sie geben die Hoffnung also nie auf.
Auf keinen Fall. Ich suche Menschen, die anderen Menschen eine Chance geben. Das klappt manchmal nach zwei Wochen, manchmal nach zwei Monaten und manchmal dauert es zwei Jahre. Es braucht dabei ja auch etwas Glück. Das schlimmste, was man machen kann, ist den Kopf in den Sand zu stecken und aufzugeben.
Laut einer Studie der Konjunkturforschungsstelle an der ETH Zürich (KOF) ist das Arbeitslosigkeitsrisiko vor allem für Jugendliche gestiegen. Welche Probleme erleben Sie, wenn Sie mit jungen Leuten zusammenarbeiten?
Ich stelle fest, dass viele Eltern ihren Kindern den Weg in einen praktikablen, guten Job verwehren. Das beste Beispiel ist der Beruf des Sanitär-Installateurs.
Warum gerade dieser?
Das ist ein Beruf mit Zukunft, der weder durch Robotertechnik ersetzt, noch ins Ausland verfrachtet werden kann – weil der Schaden sich nun mal da befindet, wo das Haus steht. Trotzdem heisst es dann «Du willst ja wohl nicht dein Leben lang ‹Schiessene› reparieren!» In Wirklichkeit repariert der Sanitär-Installateur auch Heizungen und Lüftungen. Die jungen Leute sind aber gar nicht über die Vielfalt der einzelnen Berufe informiert, weil sie durch die Erwachsenen und deren Meinungen vorbelastet sind.
Also tragen auch die Eltern eine gewisse Schuld.
Zum Teil schon. Deswegen beziehe ich die Eltern auch in die Beratung mit ein. Ein Klassiker ist zum Beispiel der Jugendliche, dessen Vater in jungen Jahren aus dem Ausland in die Schweiz gekommen ist und hier als Bauarbeiter oder Handwerker Fuss gefasst hat. Diese Eltern wollen dann nicht, dass sich das Kind auch noch die Finger dreckig machen muss. Das andere Beispiel ist die Akademiker-Familie – auch da wünschen sich die Eltern für ihren Nachwuchs am liebsten so etwas wie eine Banklehre.
Obwohl das Kind vielleicht besser in einem kreativen Job aufgehoben wäre.
Genau, und dann kommt bei vielen Jugendlichen noch eine grenzenlose Selbstüberschätzung hinzu. Am liebsten würden alle Musikstar werden – und sich bloss nicht die Finger dreckig machen. Schreiner zum Beispiel werden gesucht wie blöde. Das ist ein toller Job – übrigens auch für Frauen. Viele Jugendliche denken aber, dass eine Lehre sie für immer und ewig an den ein und selben Job bindet.
Wie meinen Sie das?
Wer eine handwerkliche Lehre macht, muss sicher nicht sein Leben lang als Handwerker arbeiten. Es gibt Maurer, die später Bauingenieurwesen studieren und am Ende selbst an einer Hochschule unterrichten. Solche Werdegänge erlaubt das Schweizer Bildungssystem – was aber vielen Leuten gar nicht bewusst ist.
In Ihrem neuen Buch vergleichen Sie ein Bewerbungsschreiben mit einem Liebesbrief. Warum das?
Als ich das erste Mal vor einer Gruppe von Jugendlichen gestanden bin und voll motiviert gesagt habe «So, jetzt lernen wir, wie man Bewerbungen schreibt!», haben alle nur laut aufgestöhnt und gesagt, dass sie das bereits zwei Jahre lang gelernt hätten. Dann musste ich mir überlegen, wie ich den jungen Leuten dieses Thema besser schmackhaft machen kann.
Und dann ist Ihnen die Liebe in den Sinn gekommen.
Genau. Liebe ist ein Thema, das die jungen Menschen viel mehr interessiert als die Lehrstellensuche. Also habe ich die Parallelen zwischen dem Liebesbrief und einem Bewerbungsschreiben aufgezeigt und plötzlich wurden die von den Jugendlichen verfassten Texte viel individueller.
An wen richtet sich das Buch?
An Eltern und Lehrpersonen. Ihnen möchte ich zeigen, wie man gemeinsam mit den Jugendlichen herausfindet, welches der richtige Beruf für sie ist. Die meisten Menschen passen nicht in ein einziges Schema – ich biete Methoden an, die bei der individuellen Lösungsfindung helfen können. Ich habe damit sicher nicht das Rad neu erfunden – aber ich habe versucht, meine Techniken für Laien begreifbar zu machen.
Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrer Arbeit?
Ich habe eine relativ hohe Vermittlungsquote von derzeit 85 Prozent. Hoffnungslose Fälle gibt es in diesem Sinne für mich also nicht. Ausser es handelt sich um Menschen mit einem Drogen- oder anderen Suchtproblem. Da sage ich klar: «Das Problem muss zuerst gelöst werden, danach können wir über eine Jobvermittlung nachdenken.» So einen Fall hatte ich mal – heute arbeitet die Person in der Pflege, das hat super geklappt.
Dass Vermittlungsbüros und das RAV die Leute dabei unterstützt ist aber Schwachsinn!
Sie gehen auf Profit aus. Für Vermittlungsbüros ist jeder Arbeitslose ein gefundenes Fressen für eine Provision. Man wird wie eine Ware behandelt, und wird man nicht schnell vermittelt, wird man aufgegeben.
Ich wurde bisher von niemandem so schlecht behandelt wie von Vermittlungsbüro-Angestellten. Dort steht die Provision im Vordergrund, nicht der zu Vermittelende als Person.