Die Werbeflut kommt vor der Welle am Meer: Wenn Ferienhungrige ab Zürich in die Ferne fliegen möchten, werden sie zuvor mehrmals mit Marketingbotschaften konfrontiert. Genauso bei ihrer Rückkehr. Denn der Flughafen Zürich macht nicht nur mit abhebenden und landenden Passagieren Umsatz, sondern auch mit Werbung. Auf knapp 200 extragrossen Postern, 180 Plakatflächen und an zahlreichen weiteren Ecken und Enden – vom Parkhaus bis zum Fingerdock – werden PR-Bilder präsentiert. Von Uhren, Autos, Airlines oder Banken.
Diesen Umsatz will der Flughafen Zürich steigern. In Zusammenarbeit mit der Werbefirma APG-SGA plant er 44 zusätzliche Bildschirme auf der Seite nach der Sicherheitskontrolle. Damit stehen den Werbetreibenden insgesamt 234 digitale Flächen zur Verfügung.
Doch der grosse Schritt erfolgt auf der technologischen Ebene. Neu sollen gewisse Zielgruppen direkt angesprochen werden können. Denn APG-SGA erhält nun vom Flughafen Zürich die aktuellsten Verkehrsdaten. «Das macht die Sache spannend für uns», sagt APG-SGA-Manager Nicolas Adolph. «So können wir Werbung gezielt für gewisse Passagiergruppen planen.»
Was Adolph damit meint: Die Firma weiss künftig genau, wann welche Maschine landet und an welchem Gate sie andockt. «Wenn zum Beispiel ein Flug aus London ankommt, könnte dies für die eine oder andere Uhrenfirma attraktiver sein als ein Flug aus Mallorca.» Zudem sei es möglich, dass die Werbung nur für die Dauer des Aussteigeprozesses beim Gate gezeigt wird. Sind die Passagiere weg, verschwindet auch die PR-Botschaft.
Die Werbereise ist damit aber noch nicht vorbei. Beim Warten auf das Gepäck könnten ebenfalls individualisierte Kampagnen geschaltet werden, sagt Adolph. Denn die Firma erhalte vom Flughafen die Information, wie lange es dauert, bis alle Koffer auf dem Band sind. Und er nennt ein Beispiel: «Wenn wir wissen, dass beim Gepäckband Nummer 5 die Passagiere eines New-York-Flugs der Swiss stehen, könnte die Airline sich auf den Bildschirmen bei ihren Gästen für ihre Buchung bedanken und sie auf die nächste Reise einstimmen.»
Auch das Wetter und die Tageszeit sollen das Werbeangebot verbessern: «Wenn es draussen regnet, könnte beim Gepäckband eine Werbung für ein Taxiunternehmen erscheinen.» Frühmorgens könnte laut Adolph McDonald’s zum Beispiel zum Kauf eines Frühstücksmenüs anregen, am Mittag hingegen eher zum Verzehr eines Big Macs.
Und was ist mit dem Datenschutz? Adolph sagt, das neu eingesetzte Modell funktioniere nur anhand anonymisierter Daten. Es würden weder Kameras noch andere Sensoren dafür eingesetzt. Und vom Flughafen erhalte man bloss die Informationen zu den Flugbewegungen. «Wir wissen auch nicht, wie viele Passagiere in einem Flugzeug sitzen.»
Klarer sind die finanziellen Ziele. Adolph verweist auf eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens PWC, die mittelfristig mit jährlich 15 Prozent mehr Werbeumsätzen rechnet. «Solche individualisierten Werbemöglichkeiten wie am Flughafen Zürich sind für dieses Wachstum Voraussetzung.»
Die Gefahr, dass es den Passanten vor und nach den erholsamen Ferien zu viel des Guten in Sachen Werbung sein könnte, erachtet Adolph als klein. «Wir führen immer wieder Umfragen durch, die zeigen, dass die Leute die Werbung mehrheitlich als bereichernd wahrnehmen.» Natürlich wolle man es aber nicht überstrapazieren.
Für Christian Hänggi ist es dafür allerdings bereits zu spät. Er ist Präsident der Interessensgemeinschaft IG Plakat – Raum–Gesellschaft, die sich für einen öffentlichen Raum ohne Werbung einsetzt. So, wie es kürzlich auch eine Initiative in Genf forderte, wenn auch ohne Erfolg. «Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass die Menschen am Flughafen gerne mehr Werbung hätten», sagt Hänggi. Niemand buche einen weiteren Swiss-Flug, weil nach dem Flug bei der Gepäckabholung eine Werbung für die Airline gezeigt werde. «Das sind absurde Fantasien, die nur die Werbeindustrie selber glaubt, falls überhaupt.»
Er spricht von einer Ökonomie des Exzesses, in welcher jeder den anderen mit noch mehr Werbung übertrumpfen müsse. «Die Zeche bezahlen die Konsumentinnen und Konsumenten, denn jeder Rappen, der in die Werbung für Konsumgüter und Dienstleistungen gesteckt wird, wird von ihnen bezahlt.» (aargauerzeitung.ch)