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Das sagt der Veranstalter zur kommenden Street Parade in Zürich

Hundreds of thousands of participants dancing through the streets during the 27th Street Parade, an annual dance music parade, in the city center of Zurich, Switzerland, Saturday, August 11, 2018. The ...
Tausende tanzen zu Technobeats an der Street Parade 2018 in Zürich. Bild: KEYSTONE

«Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die Parade schon wieder stattfinden kann»

Am 13. August ist Street Parade – zum ersten Mal seit Corona. Im Interview sagt Joel Meier, Präsident des Vereins Street Parade, wie er durch die Pandemie kam und was sich dadurch verändert hat.
10.07.2022, 15:5110.07.2022, 15:51
matthias scharrer und sven hoti / schweiz am wochenende

Hinter ihm an der Wand hängt ein älteres Street-Parade-Plakat im Grossraumbüro nahe der Zürcher Langstrasse. Neben dem Sofa lehnen zwei elektrische Gitarren an der Wand. Willkommen in der Welt des Joel Meier.

Der 49-Jährige ist Präsident des Vereins Street Parade und Herausgeber des Magazins «Rckstr»; zudem veranstaltet er Events an Festivals, vom Caliente, dessen Fortsetzung dieses Wochenende auf dem Zürcher Kasernenareal stattfindet, über das Greenfield bis zum Gampel-Open-Air. Allmählich zieht das pandemiegeschädigte Geschäft wieder an. Auch die Street Parade, die grösste Technoparty der Welt, findet am 13. August in Zürich wieder statt, nachdem sie 2020 und 2021 wegen Corona ausgefallen war.

Zum ersten Mal seit 2019 gibt es wieder eine Street Parade in Zürich. Was löst das für Gefühle aus?
Joel Meier
: Nach 1000 Tagen! Natürlich haben wir Freude. Aber es ist auch anstrengend wie noch nie. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die Parade dieses Jahr schon wieder stattfinden kann. Nachdem wir wegen Corona zwei Jahre nacheinander finanzielle Reserven abschreiben mussten, wurde nur noch das Nötigste getan: Telefon hüten, Briefkasten leeren und den Ball flach halten. Unser Team schrumpfte von 13 auf sechs Personen, der Rest ist abgewandert, weil es keine Arbeit gab.

Trotzdem: Worauf freuen Sie sich speziell?
Ich freue mich, dass die Leute Freude haben, dass es diese Art von Veranstaltung wieder gibt. Das spüren wir an den Festivals, das Echo ist enorm.

Joel Meier (49) ist seit 2008 Präsident des Vereins Street Parade. Er wohnt in Wilen bei Wollerau SZ.
Joel Meier (49) ist seit 2008 Präsident des Vereins Street Parade. Er wohnt in Wilen bei Wollerau SZ.bild: keystone

Wie spüren Sie das?
Am Gesichtsausdruck und an der Art, wie die Menschen miteinander umgehen, auch jetzt am Caliente. Ich habe noch nie so ein friedliches Caliente-Festival erlebt wie letztes Wochenende. Weil die Leute einfach Freude haben, dass es das wieder gibt – und nicht destruktiv drauf sind. Sie geniessen es, aus dem Alltag auszubrechen.

Die Corona-Fallzahlen sind zuletzt wieder angestiegen. Löst das bei Ihnen als Veranstalter auch Angst aus, dass die Street Parade doch noch zum Superspreader-Event werden könnte?
Wir haben eine ganz andere Ausgangslage als in den ersten beiden Pandemiejahren. Das Erste, was wir gelernt haben, ist: Für die jüngeren Leute – klar, es gibt auch Long Covid – ist Corona nicht lebensbedrohlich. Und: Wir haben eine hohe Grundimmunität in der Bevölkerung. Praktisch jeder ist geimpft und/oder hat Corona gehabt. Das alles hilft, dass Spitaleinlieferungen sich in Grenzen halten. Die Devise der Politik lautet im Moment: Die Leute müssen sich selber schützen. Wenn wir die Parade jetzt nicht machen, wird es sie nie mehr geben. Denn unsere letzten Reserven haben wir für die diesjährige Ausgabe aufgebraucht. Für uns gibt es nur die Flucht nach vorn – ausser der Staat sagt die Veranstaltungen wieder ab und zahlt Entschädigungen.

Gibt es Anpassungen am Street-Parade-Konzept wegen der Pandemie?
Aktuell sind ja alle Massnahmen aufgehoben. Und: Das Ansteckungsrisiko ist minim. Die Street Parade findet draussen statt, die Besucherinnen und Besucher zirkulieren mit den Love Mobiles. Man steht eigentlich nie zehn Minuten neben der gleichen Person, sondern ist ständig in Bewegung. Anders ist es bei der An- und Abreise. Aber das gilt jetzt auch für die Arbeitswege. Das Gesundheitsrisiko an der Street Parade ist wahrscheinlich kleiner, als wenn man ins Grossraumbüro zur Arbeit geht.

«Wir hoffen, dass wir an 2019 anknüpfen und die Street Parade in gewohnter Qualität oder sogar noch besser durchführen können.»

Also wird alles wie immer sein?
Ja, wir hoffen, dass wir an 2019 anknüpfen und die Street Parade in gewohnter Qualität oder sogar noch besser durchführen können. Es wird allerdings mehr Handwasch-Gelegenheiten geben.

Der Eventbranche ist in der Pandemie viel Personal davongelaufen. Wie wirkt sich das aus?
Es ist Horror. 90 Prozent der Leute, die wir jetzt haben, haben das noch nie gemacht. Diesen muss man jeden Handgriff erklären. Viele haben die Eventbranche verlassen, weil sie sich die pandemiebedingten Lohneinbussen schlicht nicht leisten konnten. Dass sie jetzt nicht zurückkommen, verstehe ich. Wer inzwischen andernorts einen sicheren Job hat, will das Risiko nicht mehr eingehen, dass vielleicht im Herbst wieder Veranstaltungen abgesagt werden.

Nachdem die Reserven weitgehend aufgebraucht sind, hat der Verein Street Parade auf seiner Website eine Spendensammlung lanciert. Wie viel Geld ist da schon reingekommen?
Nicht viel.

BILDPAKET -- ZUM JAHRESRUECKBLICK 2018 AUGUST, STELLEN WIR IHNEN HEUTE FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG -- Hundreds of thousands of participants dancing through the streets during the 27th Street ...
Feiern bis tief in die Nacht. Auch das ist die Street Parade. Bild: KEYSTONE

Hunderttausende kommen zur Party, aber niemand will etwas spenden?
Es sind bislang wirklich eher wenige. Viele wissen noch immer nicht, dass wir ein Non-Profit-Verein sind und meinen, wir kämen mit dem Lamborghini zur Arbeit.

Dann ist hier die Gelegenheit, zu erklären. Wie sind Sie eigentlich ohne Street Parade durch die Pandemie gekommen?
Wir haben Impfzentren aufgebaut, darunter auch das Pop-up-Zentrum in Dietikon.

Stand dahinter der Verein Street Parade?
Nein, das war meine Firma Youngcom, die auch das «Rckstr»-Magazin herausgibt und im Eventbereich tätig ist. Der Verein Street Parade hat keine Angestellten. So versuchen wir, die Fixkosten tief zu halten. Denn die Street Parade ist extrem wetterabhängig. Haupteinnahmequelle ist der Getränkeverkauf. Um ein Regenjahr überstehen zu können, hatte der Verein zuletzt knapp eine Million Franken Rücklagen. Davon ist wegen der Pandemie jetzt die Hälfte weg.

«90 Prozent der Leute, die wir jetzt haben, haben das noch nie gemacht. Diesen muss man jeden Handgriff erklären.»

Medial wurde breit ausgeschlachtet, Sie hätten sich gegen den Parade Market im Hauptbahnhof gewehrt, um Konkurrenz zu vermeiden. Wie sehen Sie das?
Fakt ist: Die SBB wollen nicht, dass wir im Evakuationsfall die Leute in den Bahnhof Stadelhofen oder in den Bahnhof Enge schicken, weil es dort zu wenig Platz gibt. Unser Sicherheitskonzept der letzten Jahre besagt, dass im Evakuationsfall diese beiden Bahnhöfe gesperrt und alle Leute in den Hauptbahnhof geschickt werden. Denn dort ist genug Platz. Darauf haben wir die SBB, unseren langjährigen Transportpartner, hingewiesen.

Die Stadt hat daraufhin keine Bewilligung für den Parade Market erteilt, ein Rekurs dagegen ist hängig. Was, wenn der Stadtrat den Anlass im HB doch noch zuliesse?
Falls uns die SBB kurzfristig kein anderes Evakuationskonzept anbieten können, müsste ich mir schon sehr gut überlegen, ob ich die Verantwortung übernehmen will, so viele Menschen mit dem Zug nach Zürich zu bringen – wenn sie nicht auch sicher wieder nach Hause kommen können. Darüber müsste ich mindestens zweimal schlafen.

Es gab ja früher während der Street Parade die Mainstation Party im Hauptbahnhof. Wie lief es denn damals?
2009 gab es die Situation, dass wegen schlechten Wetters sehr viele Leute in den Hauptbahnhof drängten. Damals gab es einen Toten. Herzversagen. Das war das Ende der Mainstation-Party. Auch sonst gab es viele Verletzte, worauf der Stadtrat keine Bewilligungen mehr für Aussenbars in der Stadt während der Street Parade erteilte und wir zusätzliche Sanitätsstationen einrichten und eine Zivilschutzanlage in Betrieb nehmen mussten. Die damalige Polizeivorsteherin Esther Maurer mahnte, die Zahl der Spitaleinlieferungen müsse um mindestens 50 Prozent zurückgehen, sonst gebe es keine Bewilligung mehr für die Street Parade.

Haben Sie diese Quote erreicht?
Ja. Die Leute kommen seither viel weniger alkoholisiert an die Street Parade. Und es gab viel weniger Scherben, weniger Schnittverletzungen. Aber auch keine Mainstation-Party mehr. Dann kam Duisburg ...

Fancy dressed participants of the annual technoparade "StreetParade" cheer in the city center of Zurich, Switzerland, Saturday, 12 August, 2017. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Ein Wagen voller bunter Menschen: die Street Parade 2017. Bild: KEYSTONE

Wo bei einer Massenpanik im Jahr 2010 an einer Techno-Parade 21 Menschen starben ...
Danach wurde das Konzept entwickelt, die Besucher im Evakuationsfall in den Hauptbahnhof zu lenken, dort mit leeren Zügen einzufahren und so von dort schnell sehr viele Besucher wieder abzutransportieren. Das war eine der Lehren aus Duisburg. Es wäre fahrlässig, diese wieder aufzugeben. Denn ein Unwetter wie vor einem Jahr der Sturm Bernd könnte auch die Street Parade treffen, wenn alle Läden schon geschlossen sind. Und dann wollen sich die Leute nur noch in Sicherheit bringen. Dafür bräuchte es im aktuellen Sicherheitskonzept den Hauptbahnhof. Wir hätten, gestützt auf Meteo-Prognosen, eine Stunde Vorlaufzeit, um zu evakuieren.

Kurz zurück zu Ihrer Zeit als Organisator von Corona-Impfzentren: Hat das auch einen Perspektivenwechsel ausgelöst?
Es war mega bereichernd, dabei zu sein bei so einer Geschichte, die die ganze Welt beschäftigt hat. Ich habe sehr viel gelernt über Politik, den Rechtsstaat und die Zusammenarbeit mit Ämtern und Medizinern. Zudem war es extrem herausfordernd, weil man sich permanent neu auf die sich ändernde Situation einstellen musste.

Sie sind seit 2008 Präsident der Street Parade. Wie lange wollen Sie das noch machen?
Ich sagte mal, ich mache es zehn Jahre. Aber jetzt sind zwei Leute, von denen ich dachte, sie könnten das Präsidium übernehmen, in der Coronazeit abgesprungen. Mal schauen, wie es weitergeht. Wir konnten zum Glück die Parade immer erneuern, musikalisch und auch inhaltlich. So ist die Street Parade auch nach 30 Jahren noch immer frisch und sehr zeitgemäss. Mittlerweile werden aber auch meine Haare grau, und von der Generation TikTok bin ich dann doch eher weit entfernt. Drum freue ich mich, mein Wissen und spätestens bei meinem nächsten Schnapszahl-Geburtstag auch mein Amt an junge Mitstreiter weiterzugeben.

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quelle: keystone / michele limna
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Wasserspray unterwegs an der Street Parade!
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