Der Brief ging am 19. März an die zuweisenden Ärztinnen und Ärzte des Universitäts-Kinderspitals Zürich und ist voller verwirrender Aussagen. Klar ist: Die Post-Covid-Sprechstunde für Kinder, geschaffen im April 2022, wird nicht mehr weitergeführt.
Zuerst wird gesagt, das Kispi erhalte zwar weiterhin «eine relevante Zahl» von Zuweisungen von Kindern mit Post-Covid-Verdacht. Doch während in die Sprechstunde anfangs Kinder gekommen seien mit ausgeprägter Müdigkeit im Sinne eines postviralen Fatigue-Syndroms bis hin zur Chronischen Fatigue (ME/CFS), sei heute der häufigste Zuweisungsgrund Schulabsentismus ohne sicheren Zusammenhang mit einer Infektion. Häufig lägen schon umfassende Abklärungen «ohne richtungsweisende Befunde» vor.
Im gleichen Atemzug schreibt das Kispi, bei jedem dieser Kinder sei «eine umfassende Abklärung notwendig», da postvirale Fatigue eine Ausschlussdiagnose sei und andere Ursachen für den Leistungsabfall ausgeschlossen werden müssten. Insbesondere Kinder mit einer Depression oder einer Autismus-Spektrum-Störung bedürften eines anderen Therapiekonzepts als solche mit postviraler Fatigue, schreiben im Brief die Abteilungsleiterin Allgemeine Pädiatrie, Lara Gamper, und Chefarzt Infektiologie, Christoph Berger.
Dann folgt ein Beschrieb der postviralen Fatigue. Zu den Symptomen gehören nebst Fatigue auch Schmerzen, Gehirnnebel «bis hin zur Unmöglichkeit der Alltagsbewältigung» und einer Überreizung des autonomen Nervensystems. Mit dem Energiemanagement «Pacing», bei dem der Patient nie überfordert werden darf, gehe man davon aus, dass sich die Symptome über die Zeit verbesserten und die meisten genesen würden.
Im nächsten Abschnitt heisst es nicht nachvollziehbar: «Aus diesen Überlegungen kommen wir zum Schluss, dass die Post-Covid-Sprechstunde nicht fortgeführt wird.» Also wegen des anfangs erwähnten Schulabsentismus ohne gesicherten Zusammenhang mit einer Coronainfektion?
Aber wer soll dann künftig überhaupt eine qualifizierte Erstmeinung abgeben? Das Kispi verweist auf die Kinderärztinnen und -ärzte, an welche der Brief gerichtet ist, und auf die aufgelisteten Abklärungen, die beim postviralen Fatigue-Syndrom gemacht werden könnten.
Ob das Kispi die Sprechstunde so nicht weiterführen will oder kann, bleibt unklar. An anderer Stelle steht: «Zurzeit sind wir nicht in der Lage, eine entsprechende interprofessionelle Sprechstunde anzubieten.»
Und doch soll eine neue entstehen: «Das Bedürfnis kennend ist es uns ein Anliegen, ein entsprechendes Angebot in den kommenden Jahren aufzubauen.» Wann die neue Sprechstunde startet, kann Christoph Berger nicht sagen, aktuell fehlten die finanziellen Ressourcen dafür.
Warum führt man die bestehende nicht einfach weiter? Berger erklärt auf Anfrage, man wolle künftig eine Sprechstunde, welche sich mit jeder postviralen Fatigue befasse, das «Post-Covid» müsse aus dem Namen raus. Einfach umbenennen will das Kispi die Sprechstunde aber nicht, «der Ansatz soll neu ganzheitlich psychosomatisch sein», sagt Berger. Auf die Frage, ob dann nicht untergehen könne, dass die Ursachen für die Fatigue rein körperlich sein können, sagt Berger, man habe die Pädiater und Pädiaterinnen daher im Brief auf die Abklärungen hingewiesen.
«Grundsätzlich sind immer sie für die Behandlung zuständig und wir am Kispi können die Hausärztinnen und Hausärzte in komplexen Fällen punktuell unterstützen», so Berger. Das Chronische Fatigue-Syndrom bedürfe eines interprofessionellen Ansatzes in Zusammenarbeit mit Psycho-, Physiotherapeuten und Schulsozialarbeiterinnen. Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen würden die Kinder und ihr therapeutisches Umfeld viel besser kennen als ein Zentrumsspital.
Das sehen die Patientenorganisationen Long Covid Kids und Long Covid Schweiz anders. Sie schreiben, sie seien «zutiefst bestürzt über den Entscheid» und: «Mit dem Wegfall dieser spezialisierten Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche mit Long Covid in der Schweiz fehlt den ca. 18'000 Betroffenen und ihren Familien nun jegliche medizinische Anlaufstelle.»
Die Kinder und Jugendlichen seien massiv unterversorgt und die vom BAG und von den Kantonen geforderte Versorgung werde sogar noch verschlechtert. «Die betroffenen Kinder, ihre Familien und Angehörigen bleiben sich selbst überlassen.» Sie nähmen Risiken und Kosten auf sich, doch eine Versorgung zu erhalten und organisierten Crowdfundings, um von Krankenkassen nicht übernommene Behandlungen bezahlen zu können. Nur von den Kinderärztinnen seien die Patienten nicht genügend versorgt: «Es gibt bis heute nur wenige Kinderärztinnen und Kinderärzte in der Schweiz, die sich mit Long Covid oder ME/CFS befassen.» Viele würden daher bei Erwachsenenmedizinerinnen Hilfe suchen.
Chantal Britt, Präsidentin von Long Covid Schweiz, sagt: «Die Sprechstunde am Kispi war nicht nur wegen ihrer Kompetenzen im Bereich ME/CFS die wichtigste, sie hatte auch den besten Ruf und die höchsten Fallzahlen.» Kinder und Jugendliche könnten nicht ohne weiteres von überfüllten Sprechstunden für Erwachsene übernommen werden.
Die Patientenorganisationen schreiben, die Eröffnung mehrerer Sprechstunden in verschiedenen Kantonen während der Pandemie habe bei den Betroffenen die Hoffnung geweckt, dass ihre Anliegen endlich ernst genommen würden und die Versorgungslage verbessert werde. Doch nun seien die Betroffenen erneut auf sich allein gestellt sind.
Und was ist mit dem Argument des Schulabsentismus? «Die Tatsache, dass das Kispi Schulabsentismus als häufigsten Zuweisungsgrund nennt, gibt uns zu denken», sagt Chantal Britt. Sie sagt man spreche von Schulabsentismus, wenn Schülerinnen und Schüler der Schule fernbleiben, ohne krank zu sein. Im Zusammenhang mit Long Covid oder ME/CFS sei der Begriff inakzeptabel und Teil der Stigmatisierung der Betroffenen. Christoph Berger will das nicht so verstanden haben. Er sagt: «Schulabsentismus ist nicht Schulschwänzen. Schulabsentismus muss immer gründlich abgeklärt und die Kinder ernst genommen werden.»
Ob tatsächlich 18'000 Kinder in der Schweiz von Long Covid immer noch betroffen sind, können die Patientenorganisationen nicht sagen. Sie stützen sich bei dieser Aussage auf Studien aus dem Ausland, wonach mindestens 1 Prozent aller Kinder schon einmal von Long Covid betroffen waren. Claudia Schumm, Präsidentin von Long Covid Kids, sagt: «Wir können die Zahl nicht korrigieren. Da die Schweiz keine Daten erheben will, wissen wir nicht, wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich gesund werden.» Ausserdem könnten mit neuen Covid-Wellen neue Betroffene hinzukommen. (aargauerzeitung.ch)
Oder muss ich nach der Lektüre dieses Artikels schreiben: war? Wir wurden nicht informiert! Ich bin schockiert und traurig. Die Behandlung dort war bisher super. Dr. Gamper ist tol!! Doch wer führt jetzt die äusserst erfolgreiche off label-Behandlung weiter? Der unerfahrene Kinderarzt??? Unser Sohn ist noch weit davon entfernt, gesund zu sein … Für uns als ganze Familie ist das eine furchtbare Entwicklung!! Und wie lange heisst es jetzt schon, die Post Covid-Unterstützung komme dann schon noch - as brauche halt Zeit? 😤😤😭