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Long-Covid-Studie zeigt einen enormen Placeboeffekt

Ein Pflegefachmann untersucht in einer gestellten Praesentation den Rachen eines Patienten, die Daten der Untersuchung werden dank des Diagnosekoffers, der die vernetzten medizinischen Geraete enthael ...
Die Studie zeigt: Hoffnung und gute Betreuung steigern das Allgemeinbefinden bei Long Covid extrem.Bild: KEYSTONE

Long-Covid-Studie zeigt einen enormen Placeboeffekt

Die Pharma-Jungfirma Berlin Cures hat die Auswertung ihrer Studie abgebrochen. Eine zweite Studie mit dem Medikament BC 007 zeigt nun aber eine Wirkung und ausserdem: Wie sehr es Patienten besser geht, wenn man sich kümmert und ihnen Hoffnung gibt.
05.01.2025, 12:23
Sabine Kuster / ch media
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Im November hatte sich die grosse Hoffnung zerschlagen, die viele Betroffene in das Medikament BC 007 der Firma Berlin Cures gesetzt hatten: Eine Studie der Firma mit über hundert Patientinnen und Patienten hatte bei BC 007, das bei Long-Covid-Patienten einen bestimmten Autoantikörper neutralisieren soll, keine bessere Wirkung als ein Placebo ergeben. Die weitere Auswertung musste abgebrochen werden, weil sich die Investoren zurückzogen.

Nun liegt aber die Auswertung einer kleineren, noch nicht offiziell publizierten Studie mit BC 007 aus der Universitätsklinik Erlangen vor. Hohberger Recover Preprint. In dieser wurden die 30 Patientinnen und Patienten während dreier Monate nicht nur vorher und nachher nach ihrem Befinden gefragt, sondern insgesamt 14-mal. Dabei erhielt die eine Gruppe das Medikament beim zweiten Besuch, die andere ein Placebo. Beim achten Besuch war es umgekehrt.

Verbesserung auch ohne Placeboeffekt

Das Ergebnis: Am Ende ging es allen Patienten signifikant besser bezüglich allgemeiner Fatigue (Erschöpfung) und Lebensqualität. Im Durchschnitt verbesserte sich das Befinden laut Studien-Co-Autor Christian Mardin um rund 70 Prozent. Gemessen wurde dies unter anderem mit dem üblichen Bell-Score. Es kam zu einer Verbesserung bei allen in der ersten Hälfte der Studiendauer, doch während es der Gruppe, die das Medikament am Anfang erhalten hatte, kontinuierlich besser ging, stagnierten die Werte der zweiten Gruppe zwischenzeitlich, bis sie das Medikament dann auch erhielten.

Dies deutet auf einen tatsächlichen Effekt des Medikaments hin, doch weil diese Werte per Selbsteinschätzung erhoben wurden, ist der Placeboeffekt enthalten. Bei zwei belastungsabhängigen Tests, dem sechsminütigem Gehtest (6MWT) und der Messung der Post-Exertional-Malaise (DSQ-PEM), einer Symptomverschlechterung nach Anstrengung, war kein Effekt von BC 007 zu sehen.

Dass wahrscheinlich trotzdem ein medikamentöser Effekt besteht, zeigt die Analyse der Autoantikörper GPCR-fAAb, welche das Medikament neutralisieren soll. Diese sanken bei allen, und bei einem Drittel der Patienten waren am Ende der Studie gar keine solchen Autoantikörper mehr im Blut zu messen. Bei jenen zwei Dritteln, am Ende noch solche Antikörper im Blut hatten, war der medizinische Effekt laut Mardin nicht vom Placeboeffekt zu unterscheiden. Die Forschenden vermuten, dass nicht alle auf das Medikament ansprechen oder es alleine nicht ausreicht.

Die Forschenden stellten fest, dass diese Autoantikörper nicht nur dann sanken, wenn jemand BC 007 erhalten hatte, sondern manchmal schon vorher. Das zeigte sich in jener Gruppe, die BC 007 erst beim achten Besuch erhalten hatte. Das ist möglich, weil Antikörper im Laufe der Zeit natürlich sinken können. Doch einen besseren Bell-Score erreichten nur jene, bei denen die Antikörper erst mit BC 007 sanken.

Vielleicht waren die Antikörper bloss nicht mehr messbar

Die Autorinnen vermuten, dass bei jener Gruppe, bei der schon vor dem Medikament keine Autoantikörper mehr im Blut zu finden waren, die Autoantikörper nicht komplett verschwunden waren, sondern nur unter ein nicht mehr messbares Niveau gesunken sind – das aber genügen könnte, um immer noch Erschöpfung auszulösen. BC 007 hingegen entferne alle Immunglobuline, inklusive GPCR-fAAb, aus dem Blut.

Christian Mardin, leitender Oberarzt an der Uniklinik Erlangen und Co-Autor der Studie, sagt zu den Ergebnissen: «Auch wenn man die Wirkung des Medikaments ohne Placeboeffekt noch sieht, so ist dieser doch massiv. Die Hoffnung auf Heilung der Patienten und das ernsthafte Kümmern spielen also eine enorme Rolle beim Krankheitsempfinden.» Vor diesem Hintergrund müssten alle Behandlungsstudien kritisch hinterfragt werden.

Long Covid Symbolbild
Die Hoffnung auf Heilung der Patienten und das ernsthafte Kümmern spielen gemäss Mardin eine enorme Rolle beim Krankheitsempfinden.Bild: Shutterstock

Aber vor allem, sagt Mardin, sei das Immunsystem noch fast gar nicht verstanden. «Wir sahen in MRI-Scans der Patienten, dass sich auch im Gehirn während der Behandlung etwas veränderte. Aber wir können die Veränderungen nicht deuten.» Es helfe auf jeden Fall niemandem, wenn man den einen oder den anderen Wirkmechanismus kategorisch ausschliesse: Wenn also die einen darauf bestünden, die Psyche habe gar keinen Einfluss auf Long Covid, und die anderen, Long Covid sei eine rein psychische Krankheit.

Die Studie weist auf einen grossen Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und der Psyche hin. «Viele Patienten genesen langsam, und die Beschleunigung erreicht man auf vielen Wegen», sagt Mardin.

Eine hoffnungsvolle Therapie steigert das Wohlbefinden bei allen

Doch die meisten Long-Covid-Kranken haben schon sehr vieles versucht – einige genesen dennoch nie. «Es kommt wohl darauf an, zu welcher Gruppe man gehört», sagt Mardin. Bei jener mit einer Virus-Persistenz nütze die Beeinflussung des Immunsystems nichts. Sehr wohl aber steigert eine gute Behandlung trotzdem ihr Allgemeinbefinden.

So oder so geht auch Mardin von einem ursprünglichen körperlichen Schaden aus, der Long Covid auslöst. Er sagt: «Die Krankheit ist unglaublich komplex. Wahrscheinlich kratzt auch das Medikament BC 007 nur an der Oberfläche des Problems. Es ist ein teuflisches Virus.»

Warum aber hat die grössere Studie von Berlin Cures keinen Unterschied zwischen Medikament und Placeboeffekt gezeigt? Dazu gibt es bisher nur vage Vermutungen. Der grösste Unterschied ist, dass nur zwei Fragebögen ausgefüllt wurden. Mardin weist ausserdem darauf hin, dass Berlin Cures nach dem Rückzug der Investoren keine detaillierteren Auswertungen mehr durchführen konnte, um eventuell doch einen Unterschied zum Placeboeffekt zu sehen.

Das Erlanger Forschungsteam um Bettina Hohberger glaubt immer noch an BC 007 und verhandelt nun mit den Insolvenzverwaltern der Firma Berlin Cures, um weiterhin Medikamentenlieferungen für eine zweite Studie 2025 zu erhalten. Dabei wird BC 007 an die Long-Covid-Untergruppe mit der schwersten Ausprägung, dem ME/CFS, verabreicht.

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80 Kommentare
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die seltsamen
05.01.2025 13:08registriert Januar 2024
Ich kann mir nur vorstellen wie schwierig eine aussagekräftige Studie hier durchzuführen ist. Ich kann diese Krankheit auch nach über zwei Jahren, nur schon für mich alleine, nicht einschätzen. Vieles fühlt isch im Moment gut oder schlecht an, was aber überhaupt nicht heisst das es langfristig auch so ist.
Das es aber hilft wenn sich Menschen gut versorgt und ernst genommen fühlen ist hoffentlich klar. Das wünsche ich allen Betroffenen.
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Stubbly
05.01.2025 13:47registriert Januar 2025
Objektiv ging es den Teilnehmer nicht besser. Weder PEM noch der 6MWT hat sich verbessert. Und wo genau ist also der Placeboeffekt?

Die Studie zeigt, dass sich Menschen, die kompetent behandelt werden und sich ernst genommen fühlen ein grösseres Wohlbefinden haben. Wow...

Ist jetzt nicht so überraschend.
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Ktwo
05.01.2025 14:17registriert Februar 2024
2/2
Treffe ich mich mit Familie oder Freunden, geht das für ein paar Stunden gut. Gleiches gilt fürs Einkaufen oder Aussenreizen generell. Das bezahle ich aber später mit einem Zustand der totalen Erschöpfung.
Mein Leben ist dadurch ziemlich eingeschränkt. Heilung gibt es keine. Alles muss dosiert und sorgsam durchgeführt werden.
Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich keine Verpflichtungen habe und es mir mit mir selber nicht langweilig ist.
Es geht mir also sehr gut, trotz allem.😊

Damit will ich nur aufzeigen, dass das ein ernstzunehmender Zustand ist.
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