Bis Claudia* mit ihren vier Kindern zum Arzt geht, muss viel passieren. «Ich bin keine dieser Mütter, die ein Monatsabo beim Arzt haben und wegen jeder Kleinigkeit dorthin rennen», sagt sie zu watson.
Die vierfache Mutter lebt mit ihrer Familie abseits der Stadt und greift eher auf die Ratschläge ihrer Mutter zurück als auf die kostspieligen und zeitaufwendigen Lösungen des Gesundheitssystems. «Wegen leichtem Fieber oder einer kleinen Wunde gehen wir nicht zum Kinderarzt. Wenn ein Kind aber tagelang Ohrenschmerzen hat, dann schon», sagt sie.
Claudia hatte Glück: Sie fand im Nachbardorf eine Kinderarztpraxis, bei der sie ihren Nachwuchs unterbringen konnte. Doch solche Situationen seien für Familien mittlerweile eher die Ausnahme, wie die «Zürichsee-Zeitung» schreibt. Speziell im Kanton Zürich würden 100 Vollzeit-arbeitende Kinderärzte fehlen.
«Die Situation ist prekär», sagte gegenüber der Zeitung Corina Wilhelm, Kinderärztin aus Thalwil und Präsidentin der Vereinigung Zürcher Kinder- und Jugendärzte (VZK). Viele Praxen rund um den Zürichsee würden so stark von Anfragen überrannt, dass sie nur noch Kinder und Jugendliche aus dem gleichen Ort aufnehmen. Einige hätten gar keine Kapazitäten mehr für neue Patienten.
Weil die Eltern teilweise so verzweifelt seien, würden diese auf Bewerbungsschreiben inklusive Fotos ihres Nachwuchses zurückgreifen, um die Kinder unterzubringen, so die «Zürichsee-Zeitung». Im Kanton Zürich sei es deswegen auch schon zu Drohungen von Eltern gekommen, deren Kinder nicht von der Praxis aufgenommen wurden.
Gesamtschweizerisch bleiben Drohungen gegenüber Kinderärzten aber eher ein seltenes Phänomen, weiss Marc Sidler, Präsident von Kinderärzte Schweiz (KIS), dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in der Praxis. «Uns sind keine konkreten Fälle bekannt», sagt er auf Anfrage von watson.
Auch Bewerbungsschreiben würden die Chancen nicht verbessern, sein Kind unterzubringen. Sidler sagt: «Die Kinderärztin oder der Kinderarzt hat entweder noch Platz für neue Patienten oder nicht.»
Eine Tatsache ist für den KIS-Präsidenten aber, dass es schweizweit zu wenig praktizierende Kinderärzte gibt. Genaue Zahlen wie im Kanton Zürich kann er jedoch keine nennen. «Es besteht ein zunehmender Mangel an Kinderärztinnen und Hausärztinnen. Die Berufsverbände weisen seit Jahren darauf hin. Doch in der Politik ist man zurzeit aber noch mehr damit beschäftigt, die Zulassung von Ärzten zu regulieren, anstatt den drohenden und teils manifesten Mangel anzugehen», sagt Sidler. Gerade ländliche Regionen seien davon stärker betroffen als urbane Gebiete.
Im Kanton Zürich wird deswegen schon länger eine Beratungsstelle gefordert, an die sich die Eltern wenden können. Damit soll verhindert werden, dass Kinder bei Kleinigkeiten wie Husten in die Arztpraxis müssen. Schweizweit gebe es in gewissen Kantonen bereits solche Initiativen, betont Sidler. Auch Krankenkassen würden solche Hotlines anbieten.
Der Mangel an Kinderarztpraxen könne damit aber nicht gelöst werden. Marc Sidler sagt: «Die Telefonhotlines der Krankenkassen decken bestimmt gewisse Bedürfnisse ab, gerade bei sehr jungen Kindern ist aber der persönliche Kontakt vom Arzt zum Kind und zur Familie unabdingbar in der Betreuung.»
*Name der Redaktion bekannt
Regelt endlich die Betreuung eindeutig und pragmatisch in einem Gesetz. Es ist doch idiotisch, wenn ich krank bin und erst nach 3 Tagen ein Attest bringen muss jedoch am ersten Tag, wenn mein Kind krank ist und jemand daheim bleiben muss.