Schweiz
Zürich

Brutaler Angriff in Zürcher Tram Nummer 13: Jetzt spricht ihr Freund

Tram Nr. 13 in Zürich
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Zuerich-vbz-tram-13-swpsigbbc-893680.jpg
Im Tram der Linie 13 wurde am Samstagabend eine Frau angegriffen. Die Polizei war nicht zur Stelle.Bild: Wikimedia

Brutaler Angriff in Zürcher Tram – das Protokoll

Am Samstagabend wurde Patrycja Pakiela übel angegriffen. Die Stadtpolizei Zürich hatte keine Kapazitäten, um ihr zu helfen. Pakiela und ihr Freund erzählen von der Nacht – und von den Verletzungen, die sie hinterlässt.
16.09.2025, 19:4317.09.2025, 13:26

«Ich empfinde Frust und Machtlosigkeit», so beschreibt Alvaro R.* gegenüber watson seine Gefühle, drei Tage nachdem Patrycja Pakiela in einem Zürcher Tram brutal attackiert wurde. Alvaro R. ist der Freund von Pakiela. Und der Grund, warum der Angriff nicht noch schlimmer ausging. Alvaro R. war es, der den Angreifer überwältigen konnte.

Gegenüber watson erzählt Alvaro R. von der Nacht, die seine Freundin und ihn noch lange beschäftigen wird. Am Ende der Geschichte stehen Verletzungen, Angst und Vertrauensverlust. Eine Chronologie in fünf Akten.

1. Akt: Der Angriff

Es ist Samstagabend, kurz vor Mitternacht, als Patrycja und Alvaro ins Tram Nummer 13 in Richtung Zürich Hauptbahnhof steigen. Ein gemeinsamer Freund begleitet sie, sie setzen sich in ein Viererabteil, plaudern.

Aus dem Nichts schlägt ihr ein Unbekannter mit der Faust ins Gesicht. Während Patrycja das Bewusstsein verliert, stürzen sich Alvaro und der gemeinsame Freund auf den Angreifer. Gemeinsam gelingt es ihnen, ihn zu überwältigen und auf den Boden zu drücken. Er habe einfach funktioniert, sagt Alvaro:

«Ich habe mich nur noch auf die Hände des Angreifers konzentriert. Angst hatte ich keine, dazu war ich zu sehr im Tunnel.»

2. Akt: Die Polizei, kein Freund und Helfer

Irgendwie gelingt es Alvaro, mit einer Hand den Angreifer in Schach zu halten. Mit der anderen wählt er die Nummer der Polizei, bittet um Hilfe. Dort heisst es aber: «Keine Kapazität.» Es wird keine Patrouille ausrücken.

Es vergehen lange Minuten, wie viele kann Alvaro nicht mehr genau sagen. Minuten, in denen der Angreifer stetig Widerstand leistet – es kostet die beiden Männer alle Kraft, ihn zu kontrollieren. Dazu beschimpft der Angreifer Patrycja, droht ihr mit dem Tod: «I will kill you, bitch!»

Irgendwann kommt der Tramchauffeur hinzu und reicht Patrycja ein Taschentuch. Sie wischt sich das Blut aus dem Gesicht. Der Tramchauffeur versucht erneut, die Polizei dazu zu bewegen, auszurücken. Erfolglos.

Patrycja, Alvaro, der Freund und der Tramchauffeur – sie sind auf sich allein gestellt:

«Ich hatte gehofft, dass wir es geschafft haben, dass uns nun die Polizei hilft. Als klar wurde, dass sie nicht kommen wird, da habe ich mich verloren gefühlt.»

In ihrer Not entscheiden die Beteiligten, den Angreifer aus dem Tram zu werfen. Mit vereinten Kräften gelingt es Alvaro, dem Freund und dem Tramchauffeur, ihn aus dem Tram zu bugsieren. Der Chauffeur schliesst die Tür, bevor der immer noch Todesdrohungen ausstossende Mann wieder einsteigen kann. Das Tram fährt ab.

3. Akt: Odyssee am HB

Am Hauptbahnhof steigen Patrycja und Alvaro aus. Sie stehen unter Schock. Sie suchen die Permanence-Apotheke. Sie ist geschlossen.

An der Bahnhofstrasse treffen sie auf zwei Polizisten. «Freunde haben uns geraten, unbedingt zuerst zur Polizei und erst dann ins Spital zu gehen», sagt Alvaro.

Die beiden Polizisten schicken Patrycja und Alvaro zum nächsten Polizeiposten. Dort stehen die beiden aber vor verschlossenen Türen. Zum dritten Mal rufen sie die Polizei an. Zum dritten Mal werden sie vertröstet. Sie sollen am nächsten Tag auf dem Posten vorbeikommen.

Mittlerweile ist es kurz vor drei Uhr morgens. Alvaro und Patrycja beschliessen, ins Spital zu gehen.

4. Akt: Im Spital

Im Unispital wird Patrycja gefragt, ob sie den Angriff schon der Polizei gemeldet habe. Alvaro versucht ein letztes Mal, aus dem Spital heraus die Polizei zu rufen. Er blitzt wieder ab. Es handle sich nicht um einen Notfall, sie sollen am nächsten Tag auf dem Posten Anzeige erstatten. Alvaro resigniert:

«Dann haben wir aufgegeben und uns auf die medizinischen Untersuchungen konzentriert.»

Das Verdikt: starke Schwellungen, Kopfschmerzen, Kratzer. Alvaro bestellt Patrycja und sich selbst ein Uber. Um sechs Uhr morgens sind sie zu Hause.

5. Akt: Das Vertrauen verloren

Stärker als die körperlichen Verletzungen wiegen die seelischen. Auch mehrere Tage nach dem Angriff steht Patrycja noch unter Schock. Bis jetzt hat sie sich in Zürich immer sicher gefühlt, war auch oft allein unterwegs: «Das mache ich jetzt nicht mehr.»

Das liegt auch daran, dass sie und Alvaro ernüchtert sind. «Ich hätte gedacht, dass in Zürich die Polizei ausrückt, wenn jemand so einen Notfall schildert, unabhängig davon, was sonst in der Stadt los ist», sagt Patrycja.

Und Alvaro doppelt nach: «Ich habe definitiv nicht erwartet, dass man in Zürich von der Polizei zu hören bekommt, sie habe keine Kapazitäten.»

Stadtpolizei bedauert – und nimmt mutmasslichen Angreifer fest

Die Stadtpolizei Zürich hat in einer Medienmitteilung Stellung bezogen. Zu besagtem Zeitpunkt seien sämtliche Patrouillen der Stadtpolizei Zürich im Einsatz gewesen – einerseits musste ein Besetzungsversuch mit massiver Gewaltausübung gegenüber den Einsatzkräften im Raum des Kasernenareals unterbunden werden; andererseits waren die Patrouillen mit dem Knabenschiessen und drei Verkehrsunfällen mit verletzten Personen beschäftigt.

Die Stadtpolizei bedauert, dass man der Frau nicht unmittelbar helfen konnte, heisst es weiter in der Medienmitteilung. Gleichzeitig gibt sie bekannt, den mutmasslichen Angreifer festgenommen zu haben. Es handelt sich um einen 28-jährigen Syrer.

Was bleibt für Patrycja und Alvaro von der Geschichte? Ein Gefühl von Unsicherheit einerseits, ein Vertrauensverlust in die Behörden andererseits, sagt Alvaro.

«Ich komme aus Mittelamerika und habe mein halbes Leben damit verbracht, mich in öffentlichen Verkehrsmitteln unsicher zu fühlen, die Leute zu scannen, ihnen auf die Hände zu schauen. Es würde mich unglücklich machen, wenn sich dieses Gefühl hier in der Schweiz wieder einschleichen würde.»

*Name geändert

Virales Video: Frau wird in Zürcher Tram von Mann ins Gesicht geschlagen

Video: watson/lucas zollinger
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    224 Kommentare
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    dick & durstig
    16.09.2025 20:39registriert Mai 2021
    Der letzte Absatz sollte schon zu denken geben. Was unsere Nachbarländer ereilt, trifft uns erfahrungsgemäss mit zeitlicher Verzögerung auch. Taten wie diese, oder kürzlich die Randale in Lausanne sind Vorboten dessen, was uns erwartet, wenn wir so weiter machen, wie bisher. Wir müssen uns ernsthaft die Frage stellen, ob wir solche Zustände wollen. In kurzer Frist werden wir kaum die Stukturen schaffen können, um Zustände wie in DE, FR oder Norditalien verhindern zu können.
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    Pascal69
    16.09.2025 20:17registriert April 2017
    Das grundlegende Problem liegt doch darin, dass wir im Stil von “wir schaffen das” alles in unser (noch?) schönes Land lassen und es über uns ergehen lassen (müssen?). Dieser Kriminelle ist wahrscheinlich schon wieder auf freiem Fuss und suchst sich sein nächstes Opfer. Und irgendwann kommt eine Waffe ins Spiel.
    Wenn dieser Problematik nicht endlich der Riegel geschoben wird, dann gnade uns Gott!
    Die Polizei wird je länger je mehr nicht mehr skalieren können. Zustände wie in Schweden werden so nicht mehr lange auf sich warten lassen ….
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    DerAlteBenisun2
    16.09.2025 20:13registriert März 2024
    SP, GLP und die eine Hälfte der Grünen verweigert die Aufstockung der Stellen der Stadtpolizei um die Hälfte, AL und andere Grüne komplett.


    Jedes Jahr dasselbe Ritual im Stadtzürcher Budget. Nur FDP/Mitte/SVP wollen jeweils die Polizei aufstocken.
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