Weshalb U-Boote Piratenflaggen hissen
Hier sehen wir das Atom-U-Boot HMS Conqueror, wie es am 4. Juli 1982 nach seinem Einsatz im Falklandkrieg zu seinem Heimathafen in Faslane-on-Clyde, Schottland, zurückkehrt:
Dabei fällt auf (abgesehen davon, dass Commander Chris Wreford-Brown mit seinem Vollbart perfekt das Klischee eines U-Boot-Kapitäns erfüllt): Die haben ja eine Piratenflagge gehisst!
Die schwarze Flagge mit Totenkopf und gekreuzten Knochen, Jolly Roger genannt, gilt spätestens seit dem sogenannten Goldenen Zeitalter der Piraterie (circa 1690 bis 1730) als globales Erkennungszeichen, um ein Piratenschiff zu identifizieren.
So weit, so sattsam bekannt. Aber warum um alles in der Welt hisst ein Schiff der königlichen britischen Marine eine Piratenflagge?
Wie sich herausstellt, ist dies kein Einzelfall, sondern eine Tradition. Hier etwa die Besatzung des U-Boots HMS Utmost, die im Februar 1942 ihre Piratenflagge präsentiert:
Und hier fertigt ein U-Boot-Matrose Ergänzungen an der Piratenflagge von HMS Taku an, März 1943, bei Malta.
Wie sich herausstellt, ist der Jolly Roger ein Symbol, das bereits seit dem Ersten Weltkrieg von U-Booten, vor allem denen des Royal Navy Submarine Service, weithin verwendet wird. Die Praxis geht auf den First Sea Lord (= Oberbefehlshaber der britischen Seestreitkräfte) Admiral Sir Arthur Wilson zurück:
Anfang des 20. Jahrhunderts, als die U-Boot-Technologie noch in den Kinderschuhen steckte, lehnte Wilson allein schon das Konzept eines Überraschungsangriffs aus der Tiefe mit der Begründung ab, es sei «unsportlich» und «feige». Als Verfechter von «Britannia Rules the Waves» war er der Ansicht, man solle vor Beginn einer Schlacht dem Gegner stets Flagge zeigen.
In einem Statement anno 1901 erklärte Wilson, U-Boote seien «hinterhältig, unfair und verdammt unbritisch», und er werde die Admiralität davon überzeugen, die Besatzungen feindlicher U-Boote, die in Kriegszeiten gefangen genommen würden, «als Piraten hängen zu lassen».
Wilson hin oder her – die U-Boot-Entwicklung wurde gleichwohl fortgesetzt und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs besass auch die Royal Navy eine U-Boot-Flotte. Im September 1914 torpedierte das britische U-Boot HMS E9 erfolgreich den deutschen Kreuzer Hela. In Erinnerung an Wilsons Aussage wies der Kommandant seinen Funker an, eine Piratenflagge anzufertigen, die beim Einlaufen des U-Boots in den Hafen gehisst wurde.
Bei jeder erfolgreichen Versenkung eines feindlichen Schiffes hisste HMS E9 eine weitere Piratenflagge – bis kein Platz mehr für Flaggen vorhanden war, woraufhin eine grosse Piratenflagge angefertigt wurde, auf die Streifen aufgenäht wurden, die die von der E9 versenkten Schiffe kennzeichneten. Bald übernahmen weitere U-Boote diesen Brauch. Die Admiralität missbilligte diese Praxis, konnte sie jedoch nicht unterbinden.
Bis heute ist dieser Brauch nicht offiziell sanktioniert. Als Ausdruck jenes rebellischen Stolzes von U-Boot-Besatzungen – und aus Dankbarkeit ihnen gegenüber – wird er jedoch toleriert.
Das Hissen der Piratenflagge auf einem U-Boot bedeutet also die erfolgte Versenkung eines feindlichen Schiffes. Des Weiteren werden der Flagge oft diverse Symbole hinzugefügt – Balken für die Anzahl der einzelnen Abschüsse, etwa, oder ein Rettungsring für die Rettung von Personen aus abgestürzten Flugzeugen oder versenkten Schiffen.
Ein Widderkopf symbolisiert das Versenken eines Schiffes durch Rammung, eine Tomahawk-Axt das Abfeuern von Tomahawk-Marschflugkörpern.
Die eingangs erwähnte HMS Conqueror trägt das Symbol eines Atoms – da die Conqueror das erste und derzeit einzige Atom-U-Boot ist, das ein Schiff versenkt hat, nämlich die ARA General Belgrano im Falklandkrieg.
Im August 1982, nur wenige Wochen nach Ende des Falklandkrieges, führte die Conqueror die streng geheime Mission Operation Barmaid durch. Dabei drang sie in sowjetische Hoheitsgewässer in der Barentssee ein und kappte mit einem Spezialwerkzeug das Schleppsonar eines unter polnischer Flagge operierenden U-Jagd-Schiffs. Das Schleppsonar wurde entwendet und von britischer und amerikanischer Seite untersucht.
Derartige geheime Operationen heissen im Militärjargon «cloak and dagger operations» (Mantel-und-Degen-Operationen), weshalb ein Degen auf der Flagge die Teilnahme an einem solchen Einsatz kennzeichnet.
Obwohl der Jolly Roger nach wie vor meist mit britischen U-Booten in Verbindung gebracht wird, ist seine Verwendung nicht auf diese beschränkt. Während des Zweiten Weltkriegs übernahmen U-Boot-Besatzungen der Alliierten diese Tradition, die auch heute noch fortbesteht.
Mindestens zweimal im Jahr 2017, etwa, kehrte die USS Jimmy Carter, ein Angriffs-U-Boot der US-Marine, das für Spezialeinsätze umgerüstet wurde, mit einem Jolly Roger in seinen Heimathafen zurück:
Bis heute ist der Grund für das Hissen der Flagge nicht bekannt.
PS:
Bild: wikicommons