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Hier erfahren Sie alles, was Sie schon immer über krasse Büsi-Titel wissen wollten. Punkt 7 treibt Ihnen die Tränen in die Augen, garantiert!

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montage: simone meier
Das Verhalten von Internet-Medien

Hier erfahren Sie alles, was Sie schon immer über krasse Büsi-Titel wissen wollten. Punkt 7 treibt Ihnen die Tränen in die Augen, garantiert!

11.06.2014, 20:4424.06.2014, 09:39
Simone Meier
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Meine neues Lieblingswort ist «umhauen». Also umhauen wie in «Sie dachten, Sie wissen alles über Katzenbabies? Dann schauen Sie sich mal an, was dieses Grosi gefilmt hat: Das haut Sie um!» Oder: «17 Tipps, wie Sie sich im Stau verhalten sollen. Tipp 9 haut Sie um, Tipp 13 treibt Sie in den Wahnsinn». Oder: «Bundesrat Ueli Maurer machte eine Rauchpause. Was dann geschah, haut Sie um».

Auf Englisch heisst das ja «blows your mind». Das ist noch etwas raffinierter. Denn natürlich geht es in erster Linie um den Geist oder den Verstand, der mit diesen Überschriften angestachelt werden soll und nicht darum, dass jemand tatsächlich umfällt. Aber ja, ich gestehe, es haute mich fast um, als ich mich vom Druck der allgemeinen Welle zum ersten Mal gezwungen sah, einen derartigen Titel auszuprobieren.

In Amerika, wo sie herkommen wie fast jeder mediale Furz, wenn er nicht gerade in Holland von Endemol erfunden wurde, sind sie seit gut zwei Jahren en vogue, dank Upworthy, BuzzFeed oder Jezebel, hier sind sie im Frühling 2014 in die Höhe geschossen, mit der Erfindung von Portalen wie Heftig! oder Storyfilter, und ja, auch watson entzieht sich dieser neuen Bewegung nicht. Sie, liebe Userinnen und User, haben zunächst heftigst dagegen protestiert. Ich auch. 

Wir lügen nie. Oder? Nein.

Ich habe hoch und heilig – natürlich über die sozialen Medien – versprochen, das nie wieder zu tun. Also, die hässliche neue «Schlagzeilenprosa», wie die substantielle, die vornehme «Frankfurter Allgemeine Zeitung» das nennt, zu bedienen. Oder, um es in den Worten einer blutjungen Kollegin zu sagen: «Wenn ich so einen Titel schreibe, muss ich nachher duschen.» Ich fand das anbiedernd, eklig, ich dachte, da fühlen Sie, liebe Userin, lieber User, sich aber ganz schön am Gängelband der emotionalen Bevormundung herum geführt beziehungsweise, um es kurz und bündig zu sagen: verarscht.

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Ich kann Ihnen und mir die Angst nehmen: Niemand will Sie verarschen. Ganz im Gegenteil. Und am Ende, das ist vollkommen klar, geht es Ihnen nicht um das fünfzigtausendste Büsi, das sich als Miley Cyrus verkleidet, sondern um den guten alten Inhalt. Den Content also. Nicht zufällig heisst «content» auf Englisch ja auch «zufrieden». Guter Inhalt macht uns viel Arbeit und Sie zufrieden. So ist es ja auch richtig. Wir verdienen unser Geld damit, Sie zufrieden zu stellen. Wir sind eine Neugier-Befriedigungsanstalt. So, wie ja auch das ganze Internet dazu dient, Neugierden und andere Begierden zu erfüllen.

Natürlich kämpfen wir um Ihre Aufmerksamkeit. Mit vielen Mitteln. Und eines davon ist nun mal einfach diese Emotions-Titel-Bombe. Sie will Ihnen zunächst das Gefühl geben, dass wir Sie zu einer Community zählen, die wir lieben. Was selbstverständlich stimmt. Deshalb die persönliche Ansprache. Sie will Ihnen ein emotionales Versprechen unterjubeln, ein ungläubiges Staunen, ein Lächeln, ein Umgehauenwerden. Oft werden diese Versprechen zwar zu hoch gehängt, aber grundsätzlich gelogen wird nicht. Oder? Nein.

Oft hab ich schon den Vorwurf gehört: «Ich will doch nicht schon im Titel darauf hingewiesen werden, wie ich mich zu fühlen habe!» Bitte, seien Sie uns nicht böse! Und seien Sie locker! Wir könnten das Ganze auch traditionell trocken formulieren, dann wüssten Sie, wie sich der Autor eines Beitrags fühlt. Und der Autor ist ja beim Herstellungs- und dem anschliessenden Konsumationsprozess eines Artikels bloss das Teilchen einer Menge, das im eigenen Namen für viele zu sprechen glaubt. Das pars pro toto. Eine Kritikerin oder ein Kommentator will sich immer mit einem Publikum verschwestern oder verbrüdern, sonst würde er oder sie nicht in den Medien arbeiten. Wieso also soll man dieses Suche nach dem «Wir» nicht gleich ganz ehrlich im Titel auflösen?

Am Ende bleiben Sie die Goldgräber. Denn das ist die wahre Währung in der Wühlkiste des Internets. Der Content, der Sie «content» macht. Zufrieden.

Wir versprechen Ihnen auch ein gewisses vitales Erlebnis, wir arbeiten für diese Titel nämlich überdurchschnittlich oft mit Verben, was normalerweise eine angelsächsische Tugend ist, aber sicher keine deutsche. Die deutsche Sprache ist die Sprache grossmächtiger Feldherren-artiger Substantive. Lieber ein Stilleben als ein Leben. Die englische Sprache ist da direkter, sie sagt: Hallo, komm mit mir, sprich zu mir, brauch mich, ich gehöre genauso sehr dir wie der Queen und Shakespeare. Im Gegensatz zum Substantiv fühlen Sie sich durch ein Verb bewegt, mitgerissen. Hoffen wir jedenfalls.

Aber am Ende bleiben Sie die Goldgräber. Denn das ist die wahre Währung in der unendlichen Wühlkiste des Internets. Sie suchen nach dem Goldklumpen, dem «Nugget», dem Kern, der Sie klüger macht oder Ihr Lachen breiter. Und Sie suchen dabei nicht nach der Kopie eines viralen Virus, denn der befriedigt Sie nur kuzfristig, der ist quasi die knusprige Cornflakes-Garnitur auf Ihrem Frühstücksmüsli. Sie suchen nach einem Original, nach einem Content, der Sie content macht.

Wenn wir den nicht liefern, hinter all unseren Orgasmen versprechenden Titelschleudern, dann hätten wir nicht nur Sie verarscht, sondern auch uns. Bleiben Sie uns gewogen. Und wenn Sie erst wüssten, wie sehr wir Sie lieben, verehren und über alle Massen begehren, das würde Sie ganz und gar umhauen. Ehrlich.

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