Ich erinnere mich noch gut an den 3. Juni 2011, ans Abschlusstraining der Schweizer Nationalmannschaft im Wembley vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen England. Ich fragte Granit Xhaka an jenem Freitagnachmittag, ob er bereit sei, tags drauf in diesem Stadion vor über 80'000 Zuschauerinnen und Zuschauern aufzulaufen. Die Antwort war kurz und knapp – und Programm für die danach folgende Karriere von Granit Xhaka: «Kein Problem, Trainer, dafür bin ich hier.»
Diese Reaktion und auch diese Entschlossenheit waren umso erstaunlicher, als dass Granit zu diesem Zeitpunkt zwar zum Kader der 1. Mannschaft des FC Basel gehörte, aber noch kein Stammspieler war. Ich ging also ein erhebliches Risiko ein, in der Nationalmannschaft in jener Phase auf einen Mittelfeldspieler zu setzen, der aus dem Vereinsfussball noch wenig Erfahrungen auf höchstem Niveau hatte sammeln können. Aber mir waren sein Talent, seine Klasse, sein Erfolgshunger und sein Wille nicht verborgen geblieben. Ich war mir sicher: Auf diesen Spieler kann man setzen.
Ein wichtiger Orientierungspunkt für mich waren seine Auftritte an der U17-Weltmeisterschaft in Nigeria knapp zwei Jahre zuvor. Er war in der Mannschaft von Trainer Dany Ryser, die für viele überraschend den WM-Titel gewann, ein Leader. Er führte das Team auf dem Platz, erst in einer schwierigen Gruppe mit unter anderem Brasilien als Gegner, später durch die K.O.-Phase bis in den Final gegen das Heimteam. Die Bedingungen waren für die Europäer nicht einfach, doch von der Schweiz gab es keine Klagen. Das Team blieb fokussiert auf sein Spiel und übernahm die absolute Winner-Mentalität von Granit Xhaka.
Er ist einer, der auch im Training immer gewinnen will. Granit fordert von sich und seinen Mitspielern stets, dass sie alles für den Erfolg tun. Er lebt das vor, in jeder Trainingseinheit, in jedem Spiel. Er war und ist in der Schweizer Equipe der Kopf des Teams, das Gehirn der Mannschaft, der absolute Leader. Als Trainer konnte ich nur dankbar sein, einen solchen Spieler im Team zu haben.
Und ich stellte auch eine entsprechende Dankbarkeit der Mitspieler fest. Für sie ist er immer anspielbar. Er leistet aber nicht nur Erste Hilfe in brenzligen Situationen für das eigene Team, sondern ist in der Lage, mit einem einzigen Zuspiel dafür zu sorgen, dass der Gegner sich einer solchen wiederfindet. Sein Verhalten in der Spielphase, in der es gilt, den Ball zu erobern, ist beispielhaft. Seine Passqualität ist absolute Weltklasse. Seine Spielintelligenz ist aussergewöhnlich. Er weiss, was seine Mannschaft jeweils am dringendsten benötigt. Und er sorgt dafür, dass sie es erhält. Er bringt dafür absolut alles mit. Sein Gespür für die Spielanlage haben nur ganz, ganz weniger Mittelfeldspieler.
Von daher ist für mich nicht überraschend, dass er sich im Klubfussball in den anspruchsvollsten Ligen der Welt durchgesetzt hat und jeder Schweizer Nationaltrainer voll auf ihn setzt. Ich wusste immer, dass Granit Xhaka, wenn er von schweren Verletzungen verschont bleibt, die Rekordmarke von Heinz Hermann nicht nur erreichen, sondern bei weitem übertreffen können würde. Sein Hunger nach Erfolg ist ungebrochen. Das spürt man manchmal in Interviews, aber vor allem spürt man es immer auf dem Platz. Spiel für Spiel. Egal wo, egal wann, egal gegen wen. Darum ist für mich die herausragende Qualität von Granit Xhaka, mit welcher Konstanz er seine Leistungen auf absolutem Weltklasseniveau abzurufen vermag.
Übrigens: Das Spiel gegen England endete 2:2. Die Presse bejubelte die Entdeckung eines neuen Topspielers für die Schweiz. Doch dieser war nicht vollauf zufrieden. Nicht mit seiner Leistung, nicht mit dem Resultat. Und er hatte, noch keine 19 Jahre alt, grad eben vor fast 90'000 im Londoner Wembley den Grundstein zu einer grossartigen Karriere gelegt … (aargauerzeitung.ch)