Eigentlich ist's erstaunlich, dass es nicht früher passiert ist. Nachdem ich in der Vergangenheit so ziemlich jede Mietwagenkategorie unter der Sonne ausprobiert hatte, setzte man mich beim letzten USA-Besuch erstmals ans Steuer eines Pickup-Trucks.
Meist mietet man ja irgend eine billige Bänne. Manchmal aber einen etwas teureren Hybrid, in der Hoffnung, dass man dafür beim Benzin einspart. Und oft bekommt man ein Upgrade, weshalb ich mal von Phoenix nach Las Vegas in einem Dodge Challenger R/T fahren durfte, obwohl ich einen Ford Focus bestellt hatte. Nice.
Doch als ich letzthin auf der Mietauto-Suchmaschine die Angebote nach Preis sortierte, schwang ein Fullsize Pickup oben auf. Ein Chevrolet Silverado mit Double Cab zum selben Preis eines Ford Fiestas. Nämmemer.
Und, wie ich feststellen durfte, als ich jenes Monstrum abholte, war das nicht etwa irgendeine Basis-Spar-Version, sondern das richtige V8-Ding mit zuschaltbarem 4x4 mit Sperrdifferential, Klimaautomatik, Apple CarPlay und wasweissich. Meine 11-jährige Tochter ist begeistert.
Dass das Vehikel derart billig zu haben war, ist bald erklärt. Die Benzinpreise seien ordentlich gestiegen, so meine Freunde vor Ort, weshalb niemand mehr Trucks will (nur so: 70 Rappen bis einen Franken pro Liter ist für uns Europäer immer noch billig). Und am Flughafen von L.A. Ankommende wollen sowieso keinen Truck – die Touris wollen Mustang-Cabrios, die Ami-Wochenendausflügler irgendeinen SUV mit Platz für sieben Personen und die Geschäftsleute einen Camry mit allem Elektronikschnickschnack.
Das Vater-Tochter Duo Infernale aus Europa, aber, fährt nun einen weissen Silverado. Yee f***ing haw.
Bereits auf den Freeways von Orange County leuchtet es mir ein, allerspätestens aber während der vierstündigen Fahrt von Palm Springs nach Phoenix: Ich verstehe, weshalb die Amis ihre Pickup Trucks derart mögen. Zähneknirschend muss ich, der sich bisher wie die meisten Europäer herablassend über die Amis mit ihren doofen übergrossen Benzinschluckern mokierte, feststellen: Man, ist das ein angenehmes Fahrgefühl!
Die Rundumsicht, die Sitzhöhe, die Fahrruhe, das Wissen um eine Unaufhaltbarkeit, sollte es mal hart auf hart kommen. Der Motor hat Power und Drehmoment bis zum Abwinken, bietet aber etwas namens Active Fuel Management, was bedeutet, dass bei sparsamer Fahrweise die Hälfte der Zylinder abgestellt werden, um den Verbrauch zu drosseln. Letzteres ist natürlich sehr willkommen, denn der Verbrauch ist logischerweise hoch (allerdings nicht so schlimm wie erwartet – mein 2009er Volvo schluckt genau gleich viel – und das bei einem Motor, der halb so gross ist). Tja, im Südwesten der USA, wo Platzprobleme kein Thema sind und die Distanzen riesig, macht so ein Vehikel durchaus Sinn.
Versteht mich nicht falsch, ich behaupte keineswegs, das Ding sei besonders praktisch. Gewiss, sechs Personen hätten darin Platz – aber einen abschliessbaren Kofferraum hat's nicht. In unserem Fall liegen die Reisekoffer auf dem Rücksitz. Und ebensowenig behaupte ich, ein derart grosses Auto sei nötig. Ganz klar: Mit etwas Kleinerem liesse sich die Reise ebenso machen. Es wäre einfach erheblich weniger angenehm.
Im Zeitalter von E-Mobilität müssen Trucks und Konsorten gerne mal als Feindbilder herhalten. Auch für mich steht ausser Frage: Die Ära des Verbrennungsmotors neigt sich dem Ende zu. Noch ist es aber nicht ganz so weit. Der Grund lautet: Geografie. Gerne vergisst man, wie gross deren Einfluss auf unsere Alltagskultur ist: Deswegen sieht man in Italien viele Kleinwagen, in Vietnam derart viele Mofas und in den USA Trucks. Alleine schon die von mir gefahrenen 440 Kilometer von Palm Springs nach Phoenix gingen mit heutigen E-Autos nicht am Stück. Zumindest nicht mit derselben Geschwindigkeit. Und Air Conditioning. Und der aufgedrehten Stereoanlage.
Aber die Entwickler sind ja dran. Sobald die Akkus längere Real-World-Reichweite ermöglichen (und die Ladestationen noch ein wenig schneller funktionieren) werden immer weniger Leute einen V8-Pickup wollen. Und wenn das dann so weit ist, ... nun dann ist dieser Rivian da doch sehr, sehr verführerisch!
In den Worten von Tim McGraw:
Voilà.
Ende der Diskussion.