Zehn Medaillen gewann Giulia Steingruber an Europameisterschaften, sechs Mal Gold, das letzte Mal im Frühling in Basel in ihrer Paradedisziplin, dem Sprung, wo sie 2017 auch Bronze an Weltmeisterschaften gewonnen hatte. Ihr Meisterstück lieferte die Ostschweizerin bereits ein Jahr zuvor in Rio de Janeiro ab, als sie – ebenfalls im Sprung – mit Bronze als erste Schweizer Turnerin überhaupt eine Medaille bei Olympischen Spielen gewann.
Bereits mit 13 Jahren wollte Steingruber nach Magglingen, wo die Besten des Landes trainieren, mit ihrer Freundin Jennifer Rutz. Doch die Eltern liessen sie nicht gehen. Als sie ein Jahr später ankam, war Rutz schon da. Einmal sagte Steingruber ihrer Gastfamilie, sie übernachte bei Rutz, und Rutz sagte ihrer Gastfamilie, sie übernachte bei Steingruber. In Wahrheit gingen sie zelten. Der Schwindel flog auf, Steingruber erhielt Hausarrest. Die Freundschaft ist geblieben, Magglingen wurde zur zweiten Heimat.
Für sie ist die Gemeinde über dem Bielersee kein Unort wie für einige frühere Kunstturnerinnen und viele ehemalige Gymnastinnen, die im Verbandszentrum unter übergriffigen Trainerinnen und Trainern litten.
Giulia Steingruber sagte, sie sei immer sehr gut behandelt worden. Die Rahmenbedingungen hielt sie für ideal. Sie sagte: «Training, Sportmedizin, Sportwissenschaft, die Schule in Biel – alles ist da, die Wege sind kurz.»
Und doch stehen die Irrungen und Wirrungen im Verband am Ursprung ihres Rücktritts: Anfang September war der Franzose Fabien Martin im Zuge der Aufarbeitung der Ethikverstösse entlassen worden. Martin war seit 2017 Schweizer Cheftrainer, nachdem er zuvor über ein Jahrzehnt als Assistent von Zoltan Jordanov gearbeitet hatte, unter dem Steingruber ihre grössten Erfolge gefeiert hatte. Die Turnerinnen waren auch nach Veröffentlichung der «Magglingen-Protokolle» hinter Martin gestanden.
Die Olympischen Spiele waren nicht nur der Höhepunkt ihrer Karriere, sondern auch ein Wendepunkt. Denn im Final am Boden war Steingruber mehrfach gestürzt und hatte sich dabei einen Teilanriss des Aussenbandes sowie Knochenabsplitterungen im Sprunggelenk zugezogen. Anfang 2017 verstarb ihre von Geburt an körperlich und geistig behinderte Schwester Désirée 26-jährig an einer Lungenentzündung. Im Sommer 2018 folgte der nächste Tiefschlag: Steingruber riss sich bei einem Dreiländerkampf das Kreuzband im linken Knie. Im Jahr davor hatte sie mit WM-Bronze im Sprung immerhin noch die letzte Lücke in ihrem Palmarès geschlossen.
Auch dieses Jahr verlief nicht ohne Komplikationen. Mitte April erlitt sie einen Muskelfaserriss im linken Oberschenkel, der dazu geführt hatte, dass sie bei den Europameisterschaften auf den Bodenfinal verzichten musste. Im Juni brach die Beinverletzung erneut auf. Die ständigen Rückschläge haben Steingruber zermürbt und verhindert, dass sie ihr Repertoire am Sprung erweitern konnte Seit acht Jahren war es unverändert: zuerst ein Tschussowitina, dann ein Jurtschenko mit Doppelschraube. Entsprechend ernüchternd verliefen die Olympischen Spiele in Tokio: Steingruber verpasste alle Gerätefinals, im Mehrkampf klassierte sie sich im 15. Rang.
«Mir war wichtig, alles aufzusaugen und zu geniessen», sagte Steingruber nach ihrem letzten Wettkampf in Tokio. Der Frage, ob der Mehrkampffinal der Schlussakt ihrer Karriere war, gab sie keinen Raum. «Ich bin extrem müde, körperlich und mental. Ich werde mir nun Gedanken machen. Alles ist offen.» Nach der Rückkehr in die Schweiz mache sie mindestens einen Monat Ferien. Genug Zeit, um sich dem zu stellen, was unausweichlich geworden war: der Konfrontationen mit der eigenen Vergänglichkeit.
Die Olympischen Spiele in Tokio – sie waren der letzte Höhepunkt und auch der Schlusspunkt in der glanzvollen Karriere von Giulia Steingruber.
Stets ein Vorbild und unglaublich sympathisch. :-)
ist mir zu negativ gehalten, immerhin war sie auf dem 1. Ersatzplatz im Sprung und Top 15 der Welt an Olympischen Spielen (!)
alles Gute Giulia und Danke für spannende Wettkämpfe!!