Man kann es sich so vorstellen: Letzte Woche, nach einem Champions-League-Abend vor dem Fernseher, kommt David Degen anderntags ins Trainerbüro. Oder soll man sagen: stürmt mit wehendem Mantel zur Türe hinein und schwärmt euphorisch. So nach dem Motto: Geil, wie die Salzburger den Bayern die Hölle heiss gemacht haben. So würde ich gerne auch unsere Mannschaft spielen sehen! Er verwirft noch kurz die Arme, eilt wieder von dannen und hinterlässt einen Trainerstaff, der mit den Augen rollt.
Übertrieben ist an dieser Schilderung wenig. Sie könnte so oder ähnlich auch zu jedem anderen Zeitpunkt passiert sein und sich wiederholt abgespielt haben. Sie passt so wunderbar zu diesem Energiebündel Degen, der vor einer Woche 39 Jahre alt wurde und sich auf einer Mission befindet.
Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, als die Verkaufspläne von Klubbesitzer Bernhard Burgener an einen englischen Investmentfond ruchbar wurden, die Fussballregion und ihre Fans waren in heller Empörung, demonstrierten und der FCB gab mit der Schlammschlacht zwischen Burgener und Minderheitsaktionär Degen das Bild eines chaotischen Vereins ab. Der, nebenbei, mit seiner Mannschaft und Trainer Ciriaco Sforza immer tiefer Richtung Abstiegsstrudel taumelte.
Degen mit seinem Commitment, dem «All-in» beim Millionen-Poker um die Übernahme von Burgeners Aktienpaket, erschien plötzlich den einen als der rettende Engel, anderen galt er als das kleinere Übel und der Rest spürte «Zwecksympathien», wie es die NZZ ausdrückte.
Damals war Fussball-Basel Burgener und dessen CEO Roland Heri überdrüssig, jetzt stöhnt man wieder über die Führung des Klubs, seine Chefs und den Stil. Dani Büchi, der als Delegierter des Verwaltungsrates der FC Basel Holding AG die Rolle des CEO ausfüllt, dreht intern jeden Stein um. Und David Degen hat in acht Monaten 41 Spieler geholt oder weggegeben.
Bremsen scheint ihn niemand zu können, vom Gaspedal runterzugehen gehört auch nicht zur Fahrweise Degens. «Manchmal», sagte Captain Valentin Stocker anfangs des Jahres, «will David Degen alles auf einmal». Und Stocker muss es wissen – er stand mit Degen noch gemeinsam auf dem Platz, als sie mit dem FCB 2013 und 2014 Schweizer Meister wurden.
Manchmal kommt es einem so vor, als ob Degen auf der Playstation FC Basel und Super League spielt, Europacup und Transfermarkt. Spieler rein, Spieler raus. Trainer, Assistenten, Juniorencoaches, Talentscouts, rein, raus. In einem Tempo, bei dem das Publikum kaum mehr mitkommt, und jenes ausserhalb von Basel halb amüsiert, halb bestürzt zuschaut.
Am liebsten würde Degen auf den «Red Bull»-Knopf drücken. So wie die Teams aus dem Imperium der Getränkefirma an ihren besten Tagen die Gegner überrennen – das schwebt Degen mit dem FCB vor.
Dass sein Vorbild eine Fussball-Maschine ist, von den Brause-Milliarden des Dietrich Mateschitz alimentiert und ein Geflecht von Klubs von Leipzig bis New York umspannend, sollte man bei den Träumen des David Degen immer mitdenken. Wie er das auf Basel runterbrechen will, steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist nur: Degen will einen geilen Fussball dieser Machart sehen. Nicht weniger.
Was ihm von der Mannschaft unter Trainer Patrick Rahmen angeboten wurde, reichte ihm nicht. Das sagte er genauso in einem Interview eine Woche vor Weihnachten, womit er eine veritable Aufregung auslöste und die Stellung des Trainers untergrub.
🗣️ «Es ist ein Entscheid, der schmerzt. Aber es ist der richtige Schritt.» – David Degen äussert sich zum Trainerwechsel.#FCBasel1893 #MirSinBasel #rotblaulive pic.twitter.com/DhwEoXPjR8
— FC Basel 1893 (@FCBasel1893) February 21, 2022
Das sei nicht seine Absicht gewesen, beteuerte er anschliessend. Er räumte ein, manchmal zu emotional zu reagieren und behauptete doch glatt, ruhiger geworden zu sein. Was natürlich kein bisschen stimmt. David Degen kann in dieser Beziehung nicht aus seiner eigenen Haut heraus. Er nimmt sich an einem Tag zurück, um am nächsten umso vehementer wieder auf den Plan zu treten. Er nimmt heute einen guten Rat zur Kenntnis, um morgen wieder mit einer neuen Idee zu kommen.
Auf was man sich bei all seiner Sprunghaftigkeit verlassen kann: die Sprunghaftigkeit. An Silvester noch der Treueschwur für Rahmen samt üblicher Floskeln («…100 Prozent überzeugt, dass das die richtige Entscheidung ist»). Sieben Wochen später ist der Trainer geschasst mit handelsüblichem Abschiedsgruss: «fehlende Perspektive» und so weiter.
Wo man sich eine ruhige Hand beim Führen des Klubs und den Menschen darin wünschen würde, oder zumindest vorstellen könnte, fegt Degen im nächsten Moment schon wieder mit Vollgas vorbei. Er hinterfragt alles. Er will aus dem FCB einen professionelleren und profitablen Klub machen. So sagt er das gerne. Und: «Ich mache alles für den FCB. Ich will den maximalen Erfolg.» Alles auf Rot. Oder Schwarz. Oder besser: auf Rotblau. Alles auf Tutti.
Irgendwie steht der FC Basel ein dreiviertel Jahr nach Burgener wieder an einem Punkt, an dem nach dem wohin des Weges gefragt wird. An der Kreuzung steht David Degen und weist die Richtung. Irrwege nicht ausgeschlossen.