Am 15. Juni, also in genau einem Monat, startet die Schweiz mit der Partie gegen Ungarn in die Europameisterschaft, die bereits einen Tag zuvor mit dem Eröffnungsspiel Deutschland gegen Schottland beginnt. Im weiteren Verlauf der Gruppenphase bekommt es die Schweiz auch mit diesen beiden Nationen zu tun.
Wer dort das Schweizer Nati-Trikot tragen wird, gibt Trainer Murat Yakin am Freitag um 11 Uhr bekannt. Dann präsentiert der 49-Jährige nämlich sein Kader für die EM in Deutschland. Bevor er dies tut, wollen wir aber noch einen Blick auf die einzelnen Mannschaftsteile werfen, um herauszufinden, wo die Nati gut aufgestellt ist und wo die Problemzonen sind.
Um das Goalie-Duo bestehend aus Yann Sommer und Gregor Kobel beneidet die Schweiz fast die ganze Welt. Der eine brillierte bei Inter Mailand mit den meisten Spielen zu null sowie den wenigsten Gegentoren aller Stammgoalies aus den Top-5-Ligen. Der andere steht mit Borussia Dortmund im Final der Champions League und hatte mit seinen Paraden entscheidenden Anteil daran. Sommer und Kobel könnten beide problemlos das Tor der Nati hüten, Yakin gab jedoch schon lange vor Turnierstart bekannt, dass der 35-jährige Sommer weiterhin die Nummer 1 sei.
In der hintersten Verteidigungslinie offenbaren sich aber bereits kleinere Probleme. Manuel Akanji ist bei Manchester City zwar gesetzt und in guter Form, doch sieht dies bei seinen üblichen Partnern in der Innenverteidigung etwas anders aus.
Fabian Schär plagt sich derzeit mit einer Verletzung herum, aufgrund derer ein weiterer Einsatz für Newcastle in dieser Saison fraglich ist. Wie fit er zum EM-Start ist, ist ebenfalls noch unsicher. Nico Elvedi hingegen ist bei Mönchengladbach zwar auch in seiner neunten Saison gesetzt, jedoch spielt er im Team von Gerardo Seoane, das lange als Abstiegskandidat galt, nicht seine beste Saison. Dafür spielte Gladbach zuletzt öfter mit einer Dreierkette, was Elvedi auch im Nationalteam helfen könnte.
Dahinter stimmen die möglichen Alternativen jedoch durchaus positiv. Becir Omeragic, Eray Cömert und Cédric Zesiger spielen in ihren Klubs alle regelmässig und könnten mindestens als solide Ersatzspieler dienen oder gar Druck auf die bewährten Kräfte ausüben. So wäre die Schweiz auch für allfällige Ausfälle gewappnet. Sollte Yakin wie in den letzten drei Spielen gegen Rumänien, Dänemark und Irland erneut auf eine Dreier- statt einer Viererkette setzen, wäre auch Ricardo Rodriguez eine erfahrene Option.
Bei der WM 2022 war dies der grosse Diskussionspunkt bei der Kader-Nominierung: Weshalb beruft Murat Yakin nur zwei Aussenverteidiger? Damals fanden weder Kevin Mbabu noch Ulisses Garcia oder Jordan Lotomba Platz im Schweizer Kader. Zumindest Mbabu, der bei Augsburg eine starke Saison spielt, dürfte nun jedoch dabei sein. Er konkurriert mit Silvan Widmer, der bei Mainz immer besser in Form findet, seit er im November von einer langen Verletzungspause zurückgekehrt war. Unter Ex-FCZ-Trainer Bo Henriksen, der gerne auf eine Dreierkette setzt, beackerte Widmer beim Bundesligisten zuletzt häufig die rechte Aussenbahn.
Auf der linken Seite dürfte im Falle einer Rückkehr zur Viererkette Ricardo Rodriguez gesetzt sein. Ansonsten wird Yakin sich entweder auf Ulisses Garcia von Olympique Marseille oder auf Dan Ndoye von Bologna verlassen müssen. Garcia wäre die defensiv zuverlässigere Option, da er diese Rolle auch in der Ligue 1 bereits einige Male ausgefüllt hat, während Ndoye die etwas offensivere Lösung wäre. In den Testspielen gegen Dänemark und Irland hat der 23-Jährige bewiesen, dass er die Position auf der linken Aussenbahn durchaus bekleiden könnte.
Zwar sind die Aussenverteidigerpositionen – sowohl in der Viererkette als auch neben der Dreierkette – nach wie vor nicht gerade das Prunkstück der Nati, doch präsentiert sich die Situation deutlich besser als noch vor anderthalb Jahren. Yakin hat sowohl links als auch rechts mindestens zwei verlässliche Spieler zur Verfügung.
Wenn wir schon von Prunkstück sprechen: Bei der Nati ist dies neben den Goalies definitiv das zentrale Mittelfeld. Granit Xhaka ist nicht nur Leitwolf, sondern auch Taktgeber bei Leverkusen, das noch immer ungeschlagen ist und eine absolute Traumsaison spielt. Auch Remo Freuler spielt eine grosse Rolle bei der Erfolgsgeschichte von Bologna, das in der nächsten Saison überraschend an der Champions League teilnehmen wird.
Mit Denis Zakaria wäre eigentlich auch der Dritte im Bunde des bewährten Mittelfeld-Trios in bestechender Form, doch hat sich der 27-Jährige im Training mit der AS Monaco am Oberschenkel verletzt. Hinter seiner EM-Teilnahme steht noch ein dickes Fragezeichen. Nach seinem Fussbruch definitiv nicht dabei sein wird Djibril Sow.
Dennoch sind die Möglichkeiten von Murat Yakin im Mittelfeld gross: So haben Michel Aebischer als Teamkollege von Freuler bei Bologna, Vincent Sierro bei Toulouse sowie Uran Bislimi bei Lugano eine sehr gute Saison gespielt und sich so für eine Berufung ins EM-Kader empfohlen. An Xhaka und Freuler wird zwar kein Weg vorbeiführen, doch kann eine gut bestückte Ersatzbank gerade in engen Spielen nicht schaden.
In den letzten beiden Partien experimentierte Yakin einmal mit einer Doppelspitze und einmal mit einem Duo im offensiven Mittelfeld hinter einem einzelnen Stürmer. Meist setzte der Nati-Trainer in der Vergangenheit jedoch auf einen Dreier-Angriff mit zwei Flügeln. Zwei Profis, die in jedem dieser Systeme auflaufen können, sind Xherdan Shaqiri und Ruben Vargas.
Auf Shaqiri, der in Chicago in dieser Saison noch nicht so richtig in Fahrt gekommen ist, ist in der Nati eigentlich immer Verlass. Ohnehin gibt es für den 32-Jährigen auf dem rechten Flügel oder im offensiven Mittelfeld kaum eine Alternative. Auf der gegenüberliegenden Seite hat sich Ruben Vargas fest gespielt. Der 25-jährige Wirbelwind spielt bei Augsburg eine starke Saison und kam dort zuletzt auch häufig als Zehner zum Einsatz.
Während die Positionen in der Startaufstellung gut besetzt werden können, wird es dahinter etwas dünn. Dan Ndoye ist in Bologna meist lediglich Joker und könnte auch eine Reihe dahinter gebraucht werden, sollte Yakin auf eine Dreierkette setzen. Renato Steffen ist bei Lugano zwar weiterhin in guter Verfassung, kann international aber kaum noch den Unterschied ausmachen. Dereck Kutesa ist auf der ganz grossen Bühne wohl noch zu unerfahren, um eine grössere Rolle zu spielen. Fallen Vargas und Shaqiri aus, wird es auf den Flügeln also schnell dünn.
Während die Schweiz auf vielen Positionen eigentlich zumindest in der Spitze gut besetzt ist, fehlt es im Sturm an einer klaren Nummer 1. Breel Embolo, der eigentlich das Potenzial dazu hätte, kehrte erst im April von einem vor der Saison erlittenen Kreuzbandriss zurück und hat sich nun erneut eine Verletzung – laut blue Sport einen Muskelfaserriss – zugezogen. Dass er rechtzeitig für die EM seine Match-Fitness erlangt, darf durchaus infrage gestellt werden.
Zuletzt brachte sich Haris Seferovic wieder für die Nati ins Gespräch. Der 93-fache Nationalspieler und 25-fache Torschütze traf in dieser Saison immerhin neunmal in 22 Partien – aber halt nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zeki Amdouni traf in der laufenden Saison in 36 Spielen nur sechsmal und verlor deshalb sowohl in Burnley als auch der Nati seinen Stammplatz. Cedric Itten befindet sich bei YB ebenfalls nur bedingt in Torlaune. Noah Okafor profilierte sich bei der AC Milan immerhin als Joker, stand jedoch nur selten von Beginn an auf dem Platz. Ihm kommt aber zugute, dass er auch auf dem linken Flügel eingesetzt werden kann.
So könnte sogar noch Kwadwo Duah – mit zwölf Treffern der beste Schweizer Torschütze in der aktuellen Saison – zum Thema werden. Der 27-Jährige von Ludogorez Rasgrad ist aber noch ohne Länderspiel im A-Nationalteam. Der Sturm ist also einmal mehr die grösste Problemzone der Schweiz vor einem grossen Turnier.